Serbien/Deutschland 2010 · 103 min. · FSK: ab 12 Regie: Srdjan Koljevic Drehbuch: Srdjan Koljevic Kamera: Goran Volarevic Darsteller: Nebojsa Glogovac, Anica Dobra, Branka Katic, Vuk Kostic, Nada Sargin u.a. |
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Das Herz hat den Atem völlig abgewürgt |
»Jetzt hört man ganz deutlich, dass in der Stadt gesungen wird. Wenn er doch nur mehr Luft einatmen könnte, wenn doch der Weg nur weniger steil wäre, und wenn er bis zu seinem Haus kommen könnte, um sich auf sein Lager zu legen und noch jemand von den Seinen zu hören und zu sehen. Das ist das einzige, was er wünscht.«
(Ivo Andric, Die Brücke über die Drina)
Es ist die Musik, die diesen Film und seine Geschichten zusammenhält, die Lieder einer anderen Zeit. Jugoslawische Schlager der 1960er und 1970er, die selbst in Mitteleuropäern noch vage Erinnerungen an ein Urlaubsland wecken dürften, in dem an die Mladics und Hadzics von heute nicht einmal zu denken war. Dass es auch damals schon um die propagierte Vielvölkerharmonie nicht so eindeutig bestellt war, davon hat nicht nur der große Ivo Andric in seinen Romanen erzählt. Aber damals gab es noch Tito und den Kalten Krieg, der zusammenhielt, was vielleicht nie zusammengehörte. Und heute – zwanzig Jahre nach dem Anfang vom Ende des Vielvölkerstaats Jugoslawien, nach Krieg und Auflösung der alten Landesgrenzen? Da gibt es Srdjan Kojevic, der das Heute in einem wunderbaren Film vermessen hat und dabei Geschichten erzählt, die nicht nur berühren, sondern auch grandioser Subtext zur politischen Lage auf dem Balkan sind. Umso mehr als die Gegenwart in Belgrad sich, wie Kojevic es selbst ausdrückt, an einem Punkt befindet, den Bertolt Brecht einmal wie folgt umrissen hat: »Uns gefällt nicht, wie es bisher war. Für die Zukunft sieht es auch nicht besser aus, aber wir müssen trotzdem weitermachen.«
Kojevic bedient sich dabei eines beliebten filmischen Genres, des Taxifilms. Aber sein Taxifahrer erinnert nicht einmal entfernt an die Geschichten von Scorsese, Pirès oder Jarmusch. Wohl auch, weil Kojevics Taxifahrer nur einer von mehreren Hauptprotagonisten ist, die sich in Belgrad Radio Taxi immer wieder begegnen, regelmäßig auf der die Altstadt und Neustadt verbindenden Brücke über die Donau. Die Brücke hat nicht anders als in Ivo Andrics Roman symbolhaften Charakter. Denn alle Beteiligten haben ihre Probleme mit den neuen Zeiten, mit der Fahrt von Alt nach Neu. Der bosnische Taxifahrer Gavrilo wird für seine bosnische Herkunft im serbischen Belgrad penetrant angefeindet und besitzt selbstverständlich eine Waffe und kommt dabei noch wie zufällig zu einem Baby, weil sich eine junge Frau im Stau auf der Brücke aus dem Taxi in die Fluten der Donau stürzt. Biljana, eine Apothekerin und die Lehrerin Anica, die beide mit den Toten in ihrer eigenen Vergangenheit hadern, beobachten diesen Vorfall. Wie die Geschichten dieser drei Personen und ihrer Freunde und Angehörigen im weiteren Verlauf dann verwoben werden, mag erzählerisch ein wenig konstruiert wirken. Doch die Musik eines von der Schließung bedrohten Radiosenders, dessen ausgesprochen retrospektive Musik alle Beteiligten schätzen, unterfüttert dieses Konstrukt über einen kongenialen Schnitt emotional derartig intensiv, das an Kritik kaum mehr zu denken ist.
Und dann sind da noch die plastischen Bilder einer Stadt im Umbruch, in die man eintaucht, als wäre man Teil der Geschichte selbst und nicht nur Betrachter. So dicht und intensiv gelingen Kojevic diese Bilder, dass selbst die Gerüche der besuchten Wohnungen und Straßenzüge ethnografisch präsent werden. Und auch wenn das Ende den immer wieder dezent gebrochenen Takt einer Komödie mit einem letzten überraschenden Schlag versöhnlich beschließt, füllt sich die letzte Leerstelle des Films langsam mit etwas anderem, mit einer Synthese aller erzählten Geschichten, die unweigerlich an das Ende von Ivo Andrics »Brücke über die Drina« denken lässt: »Aber er kann nicht. Er kann nicht mehr das rechte Verhältnis zwischen Atem und Herz herstellen; das Herz hat den Atem völlig abgewürgt, so wie es manchmal im Traum geschieht; nur gibt es hier kein rettendes Erwachen.«