Südkorea/Japan 2004 · 88 min. · FSK: ab 12 Regie: Kim Ki-duk Drehbuch: Kim Ki-duk Kamera: Jang Seong-back Darsteller: Lee Seung-yeon, Lee Hyun-kyoon, Kwon Hyuk-ho, Ju Jin-mo u.a. |
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Sleeping Beauty: Lee Seung-yeon |
Früher hat er lebende Frösche zerteilt, Hunde verprügelt, seine Figuren Angelhaken erst essen, dann sich selbst wieder herausziehen lassen, und mit alldem die Besucher internationaler Filmfestivals kräftig schockiert – ohne dass sich solche ungesehenen, einfallsreichen, an Höhepunkte der europäischen Avantgarde anknüpfenden Bilder in Form von Wettbewerbspreisen auszahlten. Seit kurzem nun ist der koreanische Regiestar Kim Ki-duk zahm geworden und macht etwas andere Filme: zärtlich-poetische Etüden im Schatten junger Menschenblüte, Filme voller Zurückhaltung, ebenso buddhistisch wie französisch angehaucht, mit zartem Satie-Klimpern im Hintergrund, ein bisschen braver, aber immer wunderschön – und siehe da: die Preise purzeln. Für seine letzten drei Filme bekam er welche, Bin-Jip, Kims neuestes Werk, das jetzt ins Kino kommt, gewann in Venedig.
Bin-Jip ist ein Film, der von Andeutungen lebt. Die Kunstgriffe, das Irreale sind hier das Schönste, hinter dem die konstruierte Handlung schnell verschwindet. Der Titel heißt möglicherweise »Leere Häuser«, anderen Angaben zufolge (für Hinweise per Email von koreanischen native speakers ist der Autor überaus dankbar) verweist er auf das »Dreiereisen«, einen Golfschläger.
Golf dient hier jedenfalls als merkwürdige, doppelte Metapher. Einerseits für die
nouveaux riches von Korea: Ihre Wohnungen sind wie ein Miniaturversailles mit viel Pseudo-Gold und Pseudo-Marmor eingerichtet, als Statussymbol steht im Garten noch ein kleiner Golf-Abschlagplatz, inklusive Netz, das die Bälle auffängt. Andererseits auch für Gewalt, denn mit einem Golfschläger kann man schließlich prima auf andere einprügeln. Direktes Mittel sind hier aber kurioserweise tatsächlich Golfbälle.
Auch am Beginn des Verhältnisses zweier Namenloser steht hier ein kleines Spiel mit einem Golfball, der zwischen ihnen hin und her rollt. Wie ein Geist ist der junge Mann, der äußerlich von fern an den jungen Alain Delon erinnert, in der Wohnung eines alternden Fotomodells aufgetaucht, das sich inzwischen im Goldenen Käfig einer Ehe lebendig begraben fühlt. Sie müssen sich nur einmal ansehen, da wissen sie, dass sie füreinander bestimmt sind. Ihr Mann schlägt sie – überhaupt müssen, den Filmen der letzten Jahre nach zu urteilen, die Ehen in Korea noch etwas schlechter sein, als anderswo – und so ist sie schnell bereit, sich mit ihm auf sein Motorrad zu schwingen und in den Großstadtdschungel abzutauchen. Ihr Begleiter lebt überhaupt in fremden Wohnungen, durch einen Trick findet er heraus, welche gerade verlassen sind (der Trick ist allerdings, wie sich in der Folge herausstellt, nicht sehr zuverlässig), dort wäscht er sich, kocht und schläft. Zum Spaß repariert er immer irgendwelche kaputten Hausgeräte, oft Messgeräte wie Uhren und Wagen. Und er wäscht die Klamotten der Bewohner mit der Hand, ein wenig zwanghaft um Reinheit bemüht. Das letzte Ritual ist schließlich, dass er sich in der fremden Wohnung fotografiert.
So sind die beiden Hauptfiguren in einer kinderleichten und etwas schrägen Amour fou vereint. Bis zum Ende werden sie dabei kein Wort miteinander sprechen, es quasseln immer nur die anderen. Woher der junge Mann kommt, ob er nicht doch ein Geist ist, oder ein modernes Heinzelmännchen erfährt man nicht. Und wenn sie nicht gestorben sind... Was dann da am Ende genau passiert, wenn der Film immer verrücktere Einfälle hat, darüber kann man sich lange den Kopf zerbrechen – muss man aber nicht.
Ob uns das aber tatsächlich etwas über die Realität der koreanischen Großstadtgesellschaft und ihre Erbarmungslosigkeit erzählt? Handelt es sich wirklich um »meditative Schönheit und entrückte Ruhe« oder nicht doch nur um Kitsch, Ethno-Klischees und eine subtilere Variante des Orientialismus?
Beim Festival in Venedig 2004 entzückte der Film jedenfalls die deutschen Kritiker. Wie bei Truffaut fühlten sie sich, wollten fliegen und verglichen die Hauptfigur auch mal mit
Chaplin, mal mit Keaton, mitunter sogar im gleichen Text, was zumindest für eine gewisse Verwirrung spricht. Nur Rainer Gansera spürte in der SZ die »Aura kalter Berechnung«.
Keine Frage: in punkto Gestaltungskraft, in seiner Fähigkeit, aus kleinen Mitteln viel zu machen, ist Kim im Weltkino nur von sehr wenigen zu übertreffen. Aber bei aller Schönheit verblasst Bin-Jip dann doch viel schneller als Kims frühere Filme. Man fragt sich, was er hier eigentlich erzählen will, und ob die Andeutungen, in die er sich zurückzieht, nicht einfach unpräzise sind. Und wenn dann das Klavier noch ein weiteres Mal gar melodisch klingt, die Figuren wieder gar poetisch schweigen, dann keimt der Verdacht, dass es sich der Regisseur diesmal doch etwas zu einfach gemacht hat, dass er seine Originalität für den Erfolg beim westlichen Publikum verkauft und statt Kunst diesmal weltflüchtiges Kunsthandwerk produziert hat – freilich auf äußerst hohem Niveau.