USA 2000 · 98 min. · FSK: ab 6 Regie: Raja Gosnell Drehbuch: Darryl Quarles, Don Rhymer Kamera: Michael D. O'Shea Darsteller: Martin Lawrence, Nia Long, Paul Giamatti, Jascha Washington u.a. |
Aufgehorcht und, liebe Leser, stillgeschwiegen meinen Kollegen gegenüber, denn ich verrate Ihnen jetzt ein Zunftgeheimnis: Der Verriss ist recht eigentlich das Deppen-Genre der Filmkritik. Nichts wird gewöhnlich lieber gelesen. Und nichts, aber auch gar nichts, schreibt sich so einfach. Schlecht findet sich leicht was – da muss man nicht, wie um etwas zu mögen, sich öffnen, etwas an sich heranlassen. Und beim Verfassen des Verrisses werden die analytischen Fähigkeiten selten so beansprucht wie beim Schreiben eines interessant zu lesenden Lobs. Da reichen Witz und das schöne Gefühl der ach so großen Überlegenheit. Verrisse kann jeder schreiben. Sogar Sie. Glauben Sie nicht? Wir werden’s Ihnen beweisen! Denn wie sich’s grade so fügt, findet sich mit Big Momma’s House eben ein Film zur Hand, mit dem ausnahmsweise kaum etwas anderes anzufangen ist, als ihm eben einen Verriss zu spendieren. Dazu liefern wir Ihnen nun vier schöne Anfänge, da picken Sie sich einen raus – und erledigen den Rest selbst! Na, ist das ein Angebot? (Und keine Angst: Sie müssen sich dazu den Film nicht unbedingt antun. Trailer gucken reicht für sowas zur Not auch!)
Dann los: Variante I – die nur für die Pointe lebt: Neulich war ich (zum Zwecke des Kaufs einer CD, aber das tut hier nichts zur Sache) im WOM in der Kaufingerstr. Und erblickte da zwei wonniglich orthographisch inkorrekte Schilder: »Deutsche Video’s« und »Englische Video’s« (sic!). Warum ich das erzähle? Weil gegen diese pluralistischen Totalaussetzer der possessive Deppen-Apostroph im deutschen Verleihtitel Big Mama’s Haus sich noch geradezu Grundschulabschluss-verdächtig ausnimmt. Und wir also gleichnishaft lernen dürfen: Es kann immer noch schlimmer kommen. Auch bei Big Momma’s House hätte es noch deutlich schlimmer kommen können: Der Film könnte länger sein.
Variante II – die mit dem rhetorisch schon fortgeschritteneren Mittel der Ironie arbeitet: Das hat Gott schon gut eingerichtet auf dieser Welt, dass nicht alles nur Jammertal und Erbsünde ist. Sondern dass es auf seiner schönen, grünen Erde auch der lustigen Sachen manche gibt, uns das Gemüthe zu ergötzen. Dicke zum Beispiel. Mei, sind die lustig! Weil sie halt dick sind. Und das ist schon arg zum Lachen. Oder Neger! (Nein, nein, nicht Schwarze, Dunkelhäutige oder Leute afrikanischer Abstammung. Das wären ja Menschen und somit a priori nicht lustiger oder unlustiger als alle anderen auch. Schon Neger, wie man sie halt so kennt.) Mit den dicken Lippen, und dem Grinsen, und der lustigen Art zu sprechen, vor allem in den Südstaaten. Man, they be funny. Dann natürlich gleich gar dicke Neger – da könnt' schon fast das Zwerchfell bersten! Oder, noch besser, so dicke Neger-Mamis! Holladrioh! Und überhaupt: Männer in Frauenkleidern! Pruuuust! Japs! Koller! Bitte, halt mich wer zurück, ich kann nicht mehr! Jetzt aber stellen wir uns vor: Ein schwarzer Polizist, VERKLEIDET ALS DICKE NEGERMAMI! Waaaaaahhhh! Röchel! Kreisch! Das sind ja der lustigen Dinge so viele auf einmal, dass es eigentlich schon gar nicht mehr geht. Da fehlen die Worte, das zu beschreiben. Und in der Tat: Nach Big Momma’s House war ich erst einmal sprachlos.
Variante III – die sich schon etwas systemkritisch gibt: Wer als Filmkritiker etwas auf sich hält, nutzt Pressehefte gewöhnlich als reine Informationsquelle für Besetzungs- und Stabangaben und meidet sie darüberhinaus wie der Dyba den Darkroom. Manche Filme verlässt man dann aber doch so fassungslos, dass man sich ans Presseheft wendet in der Hoffnung, Antwort auf die Frage zu finden, wie um alles in der Welt so ein Werk denn gemacht werden konnte. Und siehe: Im Falle von Big Momma’s House wird man sogar fündig. (Nein, entschuldigung, tut mir leid, aber ich merke gerade: Dieser Anfang geht gar nicht. Weil ja der lustige Verriss von Dingen lebt wie Pointierung, satirischer Überhöhung, sarkastischer Überspitzung und dergleichen. Jetzt erzählt aber im Presseheft Produzent David T. Friendly von seiner Besprechung mit Drehbuchautor Darryl Quarles, wo letzterer eine Idee vorstellte, auf die der freundliche Herr Friendly nicht so recht ansprang. Und von der entscheidenden Wendung zum Schlechteren, die die Kinogeschichte dann doch noch nahm, als Quarles schon quasi halb zur Tür raus war und Friendly ihn nach weiteren Ideen fragte. Woraufhin Quarles die von Big Momma’s House erzählte. Zitat: »Darryl described the one-line idea, and I was blown away. I told him, 'We're buying that, and you're writing it.'« Und wie, bitte, will Spott, Satire, Sotisse mit solch einer Realität noch konkurrieren...?)
Variante IV – die hohe Schule des Schlechtfindens und dennoch Ernstnehmens: Wenn da diese Kiste nicht wäre... Diese Armee-Kiste, die der superbrutale Bankräuber Lester seinem kleinen Sohn hinterlassen hat, während er ins Gefängis wanderte. In der – wie sich später herausstellt – die Beute versteckt ist. In deren Deckel aber vor allem ein Bild steckt von Lester in US-Golfkriegsuniform. Das sich da irgendwie reingeschmuggelt hat in diesen Film, der sich eigentlich einen feuchten Dreck schert um Lester, mit ihm als rein funktionale Komponente im überkonventionellen, pappflachen Schnittmusterbogen-Konstrukt die Platzhalterstelle »Bösewicht« füllt. In diesen Film, dessen Zugang zu (afro-)amerikanischer Lebenswirklichkeit über Südstaaten-Stereotypen läuft, die großteils direkt noch aus der ersten Jahrhunderthälfte stammen könnten. Und in den nun also da für Sekunden ein bißchen Unbehagen greifbar zurückkehrt. Weil dieses Bild vom braven Soldaten Lester kurz aufblitzend etwas ahnen lässt von all den Dingen, die Big Momma’s House so hysterisch mit seinen Klo-Witzen und seiner kitschigen Familienidyllen-Rührseeligkeit verdrängt.
(Wenn Sie sich für diese Variante entscheiden, empfiehlt sich im weiteren Verlauf insbesondere ein Eingehen auf die im Film an entscheidenden Stellen in Szene gesetzte afro-amerikanische Praxis des »testifying« und den theologisch wie historisch nicht gerade unvorbelasteten, zentralen Satz »The truth will set you free«. Der in einem so verlogenen Dreck- und Schmalzsüppchen wie Big Momma’s House ganz besonders unschön quersteht. Aber das ist, wie gesagt, für Fortgeschrittene, und zwar nicht gänzlich uninteressant, dieser Film im Speziellen aber in Sachen Aufwand und Mühe dann vielleicht doch nicht wert.)
Da sollte dann doch für alle was dabeisein – wer sich besonders kreativ fühlt, darf selbstverständlich auch einen eigenen Anfang erfinden. Wenn der gelingt, gibt’s Sonderpunkte. Aber Vorsicht: Tut er’s nicht (gelingen nämlich), ist gnadenloser Punktabzug genauso möglich. So oder so aber wünsche ich viel Spaß mit Ihrer Hausaufgabe. Einzureichen bitte bis Mittwoch, und bedenken Sie: Nur die allerbesten bekommen auch ein Fleißbildchen!