Japan/USA 2000 · 114 min. · FSK: ab 18 Regie: Takeshi Kitano Drehbuch: Takeshi Kitano Kamera: Katsumi Yanagishima Darsteller: Takeshi Kitano, Omar Epps, Kuroudo Maki, Ryo Ishibashi u.a. |
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Männer, die weinen |
Es gibt auch eine lakonische Art, ein Auto gegen einen Mast zu fahren. Man sieht den Wagen, hört den dumpfen Knall, und die Stille davor und danach ist ebenso laut, wie er. Die Stille, der Knall und das Bild erzählen mehr, als dass ein Auto gegen einen Mast gefahren ist. Diese Lakonie ist das Prinzip von Takeshi Kitanos Filmen.
Staunen, heißt es, sei der Anfang der Philosophie. Doch Staunen ist auch der Anfang des Sterbens. Viele Momente in Takeshi Kitanos neuem Film Brother bleiben im Gedächtnis. Doch nichts ist so schwer zu vergessen, wie die staunenden Gesichter, die aufgerissenen Augen der Menschen in dem Augenblick, in dem sie erkennen, dass dies ihr letzter sein wird. Wer zu lange und zu genau hinsieht, wird bestraft. Im Kino wie im Leben. Doch ebenso ist wahr, dass nur derjenige überlebt, der mehr sieht, als andere.
Ein rätselhafter Film. Dabei ganz einfach. Ein Film über das Sterben; eine Reise in den Tod von Anfang an. Im Mittelpunkt: Ein Todgeweihter. Yamamoto (den Kitano selber spielt) ist ein Angehöriger der Yakuza; er ist »a pain in the ass« und muss verschwinden. Wenn er nicht sterben will, bleibt nur ein Ausweg: Übersee. Mit kaum einem Wort Englischimmerhin versteht er, wie wir bald erfahren, was »fucking Japs« bedeutet –, aber einer Tasche voller Geld kommt er an in Los Angeles. Ein
Japaner in Amerika. Dort tut er bald wieder das, was er eben kann: Mit seinem Bruder Ken, einem Straßendealer, gründet er eine Gang, und dreht schnell das größtmögliche Rad. Denn mit den kleineren weiß er nicht umzugehen. Zu der Gang gehört auch Danny, ein Schwarzer. Schon bei seiner ersten Begegnung mit Yamamoto schaut er zu genau hin.
Mit viel Gefühl inszeniert Kitano diese ungewöhnliche Freundschaft zwischen einem Asiaten und einem Schwarzen. Überhaupt ist Brother (der Titel spielt mit mindestens drei Bedeutungen dieses Worts) ein Film über die Begegnung zwischen Fremden. Ein multikulturelles Amerika der anderen Art wird vor unseren Augen ausgebreitet, in dem die Konflikte zwischen Kulturen keine Kulturkonflikte sind, und in dem der Erfolg japanischer Geschäftsmethoden und die »Undurchsichtigkeit« der Japaner vor allem ein guter Witz ist.
Es gibt auch eine lakonische Art, Leute zu erschießen. Und erschossen wird viel in Brother, schließlich ist es ein Gangsterfilm. Aber wie Kitano das zeigt, ist immer auch sehr witzig, und oft merkt man dem Film an, dass Kitano in seiner Heimat ein gefeierter Stand-Up-Comedian ist. Es ist eine Art von Witz, wie man sie auch bei Scorsese findet, und bei der einem das Lachen plötzlich im Hals stecken bleibt. Aber nur kurz. Denn in all der Brutalität des Gezeigten liegt auch eine unbegreifliche Schönheit.
Brother erzählt vom Töten mit der Intensität und Hingabe eines französischen Liebesfilms. Es gibt zu wenig solche Filme, Filme, in denen Männer weinen. In denen sie nicht um Frauen kämpfen, sondern mit sich selber. Und in der die Kamera so lange auf einem einzigen Gesicht liegt, wie diesmal am Ende. Staunen, wie gesagt, ist der Anfang der Philosophie. Und Philosophieren heißt Sterben lernen.
»We're in the middle of the war.« Dies ist Yamamotos Analyse über den Zustand der japanischen Gesellschaft, die veranlaßt, daß er, oberer Yakuza-Krieger, vom Ältestenrat aus der Familie verbannt wird. Yamamoto wird nach Los Angeles exiliert. Er sucht dort seinen kleinen Bruder auf, der sich mit seinen Kumpels durch den städtischen Drogendschungel schlägt, vorbei an Geldforderungen und Schlägereien mit den Auftraggebern. Yamamoto bringt den Drogenclan auf die Fährte der richtigen Geschäfte, die da heißen: Macht zu haben und die Straße zu regieren. Eigene Gesetze zu schaffen, die Welt mit einer Sprache zu durchziehen, in der der Yakuza heimisch ist. Bald reist ihm sein ideeller Bruder Kato nach Amerika nach. Und mit den Getreuen, die sich mit bedingungslosem Gehorsam und unbrechbarem Stolz der Yakuza-Krieger um Yamamoto sammeln, beginnt die Neuordnung der amerikanischen Stadt. Bald befindet sich Los Angeles in japanischen Verhältnissen – in the middle of the war.
Es wird jedoch deutlich, daß Yamamoto sich, entgegen der eigenen Analyse, nicht mitten in einem Krieg befindet, sondern daß er diesen herbeiführt. Er macht den Krieg, ist dessen Generator. Er ist eine Kriegsmaschine, und die Maschine macht vor nichts halt, bis hin zu jenem point of no return, in dem die erste bedingungslose Selbsttötung des Yakuza-Kriegers Kato für den großen Bruder Yamamoto vollführt wird. Die suizide Blutlust endet in der Totalexekution der eigenen Familie. Das finale Selbstopfer Yamamotos, sein Schritt in den Tod und die damit herbeigeführte Vernichtung der Kriegsmaschine steht unter dem gleichen heroischen Ehrenkodex, der das Ende der Yakuzas eingeleitet hatte. Denn Yamamoto trifft wie alle Yakuza-Krieger selbst die Entscheidung für das Sterben. Der Yakuza ist immer Meister über Leben und Tod. Und unter der Selbstbewußtheit, sich dem Tod zu übergeben, wird das Sterben eine Schenkung und bedeutet das Gegenteil von Kapitulation.
Hinter dieser seriellen Selbstexekution der Japaner in den USA scheint einer rigider Politismus durch, der das geschichtliche Verhältnis zwischen Japan und den USA neu beleuchtet, unter die Metapher des Banden- und Mafia-Krieges bringt. In einem Interview in der taz vom 18.01.2001 hat Kitano darauf hingewiesen, daß in Brother immer auch die politische Parabel über Pearl Harbour und seine Folgen mitschwingt. Das Selbstopfer der japanischen Yakuzas ist nur die tödliche Konsequenz für den von ihnen herbeigeführten Krieg in den USA. Unter diesem Blick erscheint es als aufmüpfige Wiederholung von Geschichte, bei der die japanische Infiltration Amerikas zur Reminiszenz an ein bereits mehrfach erbrachtes Opfer wird. Die Japaner, Sieger über Pearl Harbour, sind an den geschichtlichen Folgen ihres Aufbegehrens gegenüber den Amerikanern erlegen. Yamamoto hat den Tod bereits erlitten, bevor er nach Los Angeles kommt. Aus dem Kreis der Yakuza-Krieger ausgestoßen ist er jetzt eine Tötungsmaschine, die ins Leere läuft und sich zuletzt selbst vernichtet. Und genau das macht die Kriegsmaschine so unangreifbar, aber auch so sinnlos.
Was die Wiederholung von Geschichte und Geschichten in Brother so spannend macht, ist die Erzählweise der Films. Er setzt ein mit einer Rückblende auf die Geschehnisse in Japan, die dazu führten, daß Yamamoto von den Seinen verstoßen wird. Die Erzählbilder der Vergangenheit werden jedoch später, als sich die Kriegsmaschine in Los Angeles in Gang setzt, zu Vexierbildern des Erzählten: Was als Vorgeschichte erschien, hat auf die Zukunft der Ereignisse vorausgegriffen. Es gibt keine Geradlinigkeit der Zeit. Die geschichtliche Zeit schließt sich vielmehr, wie in einer mythischen Erzählung, zur Schleife, bei der es weder ein Vorher noch ein Nachher gibt. Jeder Zustand der Zeit verharrt hier im Status allgemeiner Temporalität. So gibt es Momente, wie der Blick auf die ominöse Sporttasche oder das Warten auf einem Flughafen, die unter dem Anschein einer Rückblende erzählt werden, die sich jedoch später, als die Bilder identisch wiederkehren, als Vorwegnahme der immer nur gleichen Geschichte herausstellen. Es gibt keine Verschiedenheit der Ereignisse. Dort wo die Kriegsmaschine Yamamoto ist, werden sich die Bilder gleichen, die Handlungen, die Situationen. Die Gleichheit der Bilder, ihre Indifferenz gegenüber dem Zeitfluß, ist immer auch die Gleichgültigkeit der Geschichte gegenüber ihrer eigenen Geschichtlichkeit.
Wesentlicher Träger dieser Gleichgültigkeit ist die Farblichkeit der Bilder. Ob in Japan oder in Los Angeles, die abgefilmten Ansichten der Städte und Innenräume sind stets im gleichen stahlhartem Blau gefroren. Der Schauplatz für die Kriegsmaschine ist eine technoide, abweisende Oberfläche. Aber nicht nur der Ort ist Träger einer Uniform. In ähnlicher Weise werden den Figuren Kostüme angelegt, die sie als Krieger der Maschine gleichschaltet. Die Street-Wear der amerikanischen Drogendealer wird eingetauscht gegen ein gestyltes Anzugblau, das keine Individualität mehr verrät und das Leben hinter den schwarzen Brillen ausblendet. Es ist symptomatisch, daß Denny am Schluß eine hellbraune Wildlederjacke und cremefarbene Jeans tragen darf. Eine Sanftheit wird damit ins Bild getragen, Erdigkeit und Ahnungen an eine Natur, die sich aus dem Zugriff der Maschine befreit hat. Und auf diesem Naturpfad kommt Denny davon. Mit dem Schluß, der die Überwindung der Kriegsmaschine visuell bereithält, bricht Brother aus der nekrophilen Schleife von Tod und Tötung aus: die Rituale und die heroische Gesinnung werden weitervererbt, mit der Tradierung jedoch in bessere, weil menschlichere Hände gelegt.
Eine Maschine, selbst eine Kriegsmaschine, hat immer auch eine spielerische Komponente, die sich aus ihrer mechanischen Funktion heraus erklärt. Mechanik gehorcht bestimmten physikalischen Regeln, und diese Regeln außer Kraft zu setzen, sie zu überlisten oder bis zum Äußersten zu reizen ist das Spiel, das die Maschine bereithält, selbst wenn sie dabei kaputt geht. Wenn die Kriegsmaschine der Yakuzas das Ritual der Loylitätsbekundung bis hin zum selbstmörderischen Tod
mißbraucht, so ist das nur die ernste Seite der blutigen Trickserei, die woanders immer wieder im echten Spiel provoziert wird. So z.B. im Würfelspiel, bei dem Denny unehrenhaft übers Ohr gehauen wird, das jedoch mit seiner stumm-erstaunten Fügung unter die plumpe List Yamamotos zu einem Beweis für seine Ergebenheit wird.
Das jenseits von Ernst und Tod stattfindende Spielerische der Kriegsmaschine zeigt sich, wenn beide Seiten, Krieg und Spiel, zusammengeführt werden. So
wenn der gegnerische Mafia-Boss von den Yakuzas durch eine zusammengebastelte Pistolen-Apparatur bedroht wird, an dem fünf verschiedene Drähte hängen, nur einer aber mit dem todbringenden Abzug verbunden ist. Da wird eine Art russisches Roulette gespielt, das die Form einer mechanischen Maschine angenommen hat. Damit aber diese Tötungsapparatur zu einem Spiel auf Leben und Tod werden kann, bei dem der Tod eine Spielvariante ist, nie aber vom Spiel in den Ernst hineingeführt
werden darf, müssen sich die gegnerischen Seiten zwischen den Spielleitern (Yamamoto und Denny) und dem unfreiwilligen Mitspieler (der Italo-Mafia-Boss) im Schummeln auflösen. Der Mafia-Boss wählt einen Draht, den Yamamoto ihm gegen das Wissen von Denny als richtigen – also harmlosen – Draht anzeigt. Dieser aber führt zum Auslösen des Pistolenabzugs, und der Betrug am Spielleiter durch das heimliche Einsagen wird zum Betrug am Mafiosi, über den feindlichen Graben hinweg.
In der Spielanordnung zeigt sich mit einemmal wieder die Kriegsmaschine, aus dem Spiel heraus wird der Krieg freigesetzt. Aber alles wäre kein Spiel, wenn dieser ausgelöste Schuß tödlich wäre. Der Schuß geht vorbei. Dort, wo die Kriegsmaschine beherrscht wird und einen Sieg herbeiführen könnte, muß sie Spielmaschine bleiben. Denn der Yakuza ist immer Meister über Leben und Tod. Aber nur wenn er über seinen eigenen Tod bestimmt, nur dann findet die Kriegsmaschine ihre
Vollendung.