USA 2006 · 141 min. · FSK: ab 16 Regie: Clint Eastwood Drehbuch: Iris Yamashita Kamera: Tom Stern Darsteller: Ken Watanabe, Kazunari Ninomiya, Tsuyoshi Ihara, Ryo Kase u.a. |
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Klaustrophobische Dunkelheit |
Das neuestes Filmprojekt des Regisseurs Clint Eastwood ist ein gewagtes, so im Kino noch nicht gesehenes Unternehmen: Er erzählt die gleiche Geschichte zweimal, aber nicht in einem gemeinsamen Film und nicht strukturell parallel – quasi als zwei Seiten der gleichen Medaille. Vielmehr sind Flags of Our Fathers, der vor einigen Wochen ins Kino kam, und Letters from Iwo Jima, der jetzt noch kurz vor der Oscar-Verleihung am Donnerstag startet, zwei denkbar verschiedene Filme – in ihrer Atmosphäre und Charakter, in ihrer Inszenierungsweise. Die entscheidende Gemeinsamkeit: Eastwood, der in früheren Werken schon mehrfach die Mythen des Kinos ihrer Aura entkleidet und entmythisiert hat, nimmt sich hier nun der jeweiligen Propagandamythen an: Des berühmten Fotos der flaggehissenden US-Soldaten im ersten Film, und nun des japanischen Mythos vom sinnlosen und darum vermeintlich um so »heldenhafteren« Sterben der eigenen Truppen.
Dass die bessere und dauerhafte Geschichte eines Krieges in der Regel von den Besiegten, nicht den Siegern geschrieben wird, bemerkte vor über 2000 Jahren bereits der Athener Thukydides. Tatsächlich ist Letters from Iwo Jima der die japanische Seite der schrecklichen Pazifikschlacht zeigt, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs um die Vulkaninsel Iwo Jima tobte, im Vergleich der bessere der beiden Filme.
Aber was ist es, was man hier überhaupt in den entsättigten, schwarz-weiß-ähnlichen Farben alter Dokumentarfilme erzählt bekommt? Ist dies die Perspektive der Besiegten, der Japaner, die in höhlenähnlichen Bunkern, mit unzureichender Ausrüstung, zu wenig Munition und kaum Nahrung mit der perfekten Kriegsmaschinerie der US-Amerikaner konfrontiert sind und einen hoffnungslosen, aber auch fanatischen Kampf kämpfen? Oder ist dies doch eine US-Perspektive, denn der Regisseur ist eben Amerikaner und seine Erzählweise folgt den konventionen Hollywoods?
Letters from Iwo Jima setzt kurz vor Beginn der Schlacht ein, konzentriert sich bald auf eine Handvoll Einzelschicksale, und verfolgt diese durch den Verlauf der Schlacht. Deren Ausgang ist bekannt, und bis auf einen bleiben alle Hauptfiguren auf der Strecke. Wichtige Figuren sind unter anderem der von Ken Watanabe sehr würdevoll gespielte japanische Befehlshaber Kobayashi, dann Baron Nishi (Ihara Tsuyoshi), die historische Figur eines japanischen Olympiasiegers von 1932, der jahrelang in den USA gelebt hatte, bevor er im Krieg gegen sie kämpfte. Die Feinde, hier also die Amerikaner bleiben wie im ersten Film weitgehend gesichtslos. Zwei positiven G.I.'s die sterbend zu Kriegsopfern werden, stehen zwei Negativfiguren gegenüber: Soldaten, die wehrlose Japaner, die sich ergeben hatten, ermorden.
Der Film bleibt ein Kriegsfilm, doch Eastwood unterläuft immer wieder die Regeln des in Hollywood-Kriegsfilmen Üblichen. Beeindruckend inszeniert er die Klaustrophobie und Dunkelheit der Bunkerwelt. Der Stil ist diesmal distanzierter, beobachtender, stoischer. So wächst der Sinn für das, was den Japanern in Iwo Jima geschah: Gefangen in dem Berg, umzingelt von überlegenen Feinden, durch Tradition und die Gewalt der Befehlshaber am Ergeben gehindert, gingen sie sehenden Auges in den Untergang. Ihr Sterben war nicht heroisch, Mann für Mann wurden sie abgeschlachtet. In aussichtsloser Lage zwang man sie dann zur Selbsttötung – Grundlage dieser Schilderung sind die Briefe der Eingeschlossenen, die man erst Jahrzehnte nach der Schlacht entdeckte.
Als Kriegsfilm ist Letters from Iwo Jima nicht ganz auf der Höhe der allergrößten Werke des Genres: Weder ein philosophisches Ewigkeitsepos a la The Thin Red Line noch eine schnell geschnittene moralische Fabel wie Saving Private Ryan, noch eine eindrückliche Anklage sinnloser Abschlachterei oder ein Hohelied auf Soldatenmut wider besseres Wissen wie The Longest Day hat Eastwood hier gemacht. Um als Kriegsfilm perfekt zu sein, hätte er sich mehr für virtuose Inszenierung von Kampfszenen interessieren müssen – ihm war es offenkundig mehr um Beobachtung, um das Herausarbeiten des universal-menschlichen zu tun, und um politische Entmythisierung.
In Japan ist Letters from Iwo Jima vor allem dadurch eine Sensation. Er bricht mit einem Tabu, erzählt eine Geschichte, die dort kaum bekannt ist, erzwingt eine neue, postheroische Sichtweise. Aber auch für Amerikaner und unsereins enthält der Film viele Lektionen: Er entdeckt den Feind als Mensch, als geschundene Kreatur. Soldaten können Mörder sein, mitunter aber sind sie auch Opfer. Diese Einsicht ist aktuell, und Eastwood weiß natürlich um diese Pointe: Die Menschen auf der Leinwand sind alles, Fanatiker und Leidende, freundliche, zivile Charaktere und Sadisten, kaputt und würdevoll. Heute könnten sie Amerikaner sein, oder Iraker, Israelis wie Palästinenser. Letters from Iwo Jima ist daher kein Film über die Vergangenheit: Genau dies passiert heute in vielen Teilen der Welt.