Buffalo '66

USA 1998 · 110 min. · FSK: ab 12
Regie: Vincent Gallo
Drehbuch:
Kamera: Lance Acord
Darsteller: Vincent Gallo, Christina Ricci, Anjelica Huston, Kevin Corrigan u.a.

Billy Brown (Gallo) kommt nach fünf Jahren aus dem Gefängnis und muß pinkeln. Ein Bedürfnis, das einen meist vor keine größeren Probleme stellt, wird für Billy zur verzwickten Lage: zunächst versucht er deswegen in den Knast zurück­zu­kehren, dann will er sich im Freien erleich­tern, schließ­lich fährt er in die Stadt, um dort sein Glück auf einer Toilette zu suchen – nichts klappt. Der Running Gag der ersten Minuten des Films markiert den Stil der lako­ni­schen Komödie um ihre hektisch geladene Haupt­figur: ein harmloses Großmaul, zugleich auch ein emotional vers­törter Mensch, der fremd in dieser Welt ist, und es vermut­lich schon vor seiner Haft war. Doch ganz wider die Erwar­tungen, die dieser Charakter auslösen mag, hat Billy ein konkretes Ziel: er will sich an einem Spieler der Foot­ball­m­an­schaft »Buffalo Bills« rächen, der in Billys Augen Schuld an seiner Haft hat.

Billys größeres Problem stellen aller­dings zunächst seine Eltern dar, denn ihnen hat er eine wilde Geschichte erzählt, die seine lang­jäh­rige Abwe­sen­heit erklären sollte. Um nun dieses Alibi zu belegen, benötigt er eine vorzeig­bare Ehefrau. Ohne weitere Erklä­rungen entführt er deshalb die Step­tän­zerin Layla (Ricci), schüch­tert sie so ein, daß sie ihm ihre Hilfe garan­tiert und fährt mit ihr zu den Eltern. Diese offen­baren sich bald als die Comi­c­ver­sion eines ameri­ka­ni­schen Alptraums. Die Identität der Mutter (Huston) besteht praktisch nur aus ihrer Berufung, ein Fan der Buffalo Bills zu sein, und der Vater (Ben Gazzara) ist ein geschei­terter und verbit­terter Schnul­zen­sänger, dessen Vergan­gen­heit als »crooner« von einem einzigen Tonband doku­men­tiert wird. Während die Mutter verlogen ihren Sohn umhät­schelt, bringt er seine Abneigung gegen Billy offen zum Ausdruck; beide sind aber völlig begeis­tert von ihrer neuen 'Schwie­ger­tochter' Layla – der Vater so sehr, daß er kaum seine Finger von ihr lassen kann.

Layla versucht alles, um Billy gut aussehen zu lassen und verhält sich ihrem Entführer gegenüber fast zu loyal. Ihre aufge­zwun­gene Rolle beginnt ihr scheinbar zu gefallen, und spätes­tens nach dem Desaster bei den Eltern wird klar, daß sie Billy nicht nur aus Angst, sondern auch aus Zuneigung geholfen hat. Klar wird auch, daß es Billy ist, der Angst vor Layla hat, als diese versucht, sich ihm zu nähern. Er erklärt ihr, daß er seit seiner »großen Jugend­liebe« (Rosanna Arquette) keine Frau mehr berühren kann – ohnehin sei gerade keine Zeit dafür, sich zu verlieben, schließ­lich müsse er ja noch diesen Foot­ball­spieler erschießen.

Bei seinem Regie­debüt spielt Vincent Gallo nicht nur die Haupt­rolle, er zeichnet auch für Buch und Musik verant­wort­lich, darüber hinaus soll er sogar das Make-up von Christina Ricci entworfen und dem Kame­ra­mann das Drehen beige­bracht haben. Man kann sagen, Gallo, bisher lediglich als Schau­spieler und Model bekannt, über­er­füllt die Kriterien, die ihn zu einem Autor machen. Mit den hervor­ra­gend besetzten Schau­spie­lern ist ihm ein char­manter kleiner Film im trockenen Stil des ameri­ka­ni­schen Inde­pen­dent gelungen. Buffalo ‘66 erzählt in winter­lich tristen Bildern von den »suburbs«, der kultu­rellen und emotio­nalen Armut ihrer Bewohner, deren Chancen auf Besserung gegen Null gehen, weil es ihnen unmöglich ist, ihre Grenzen zu über­treten. Nur Billy und Layla wachsen über sich hinaus, in ihrer unwahr­schein­li­chen, aber trotzdem plausibel insze­nierten Liebes­ge­schichte.

Die Erzähl­hal­tung bleibt dabei lakonisch und mini­ma­lis­tisch, selbst wenn die Figuren, wie Billy oder seine Mutter, großmäulig oder hyste­risch handeln – das erinnert ein wenig an das Verhältnis von Jim Jarmuschs Filmstil zum Schau­spiel von Tom Waits und zu dem von Roberto Begnini. Aller­dings kontra­punk­tiert Gallo seinen Mini­ma­lismus in ein paar Szenen durch tech­ni­sche Effekte. Zwar etwas manie­riert, erfüllen diese dennoch ihren Zweck: mit Inserts, 'unrea­lis­ti­scher' Beleuch­tung und drei­di­men­sio­nalen Stand­bil­dern vermit­telt Gallo eine Distanz zum Geschehen; er zeigt, daß man nicht allen Erzäh­lungen glauben kann, daß etwas Unge­heures unter der Ober­fläche lauern könnte und daß es letztlich doch keine defi­ni­tiven Hand­lungs­zwänge gibt. Diese Momente erzählen also immer davon, daß die Realität anders war, ist oder sein wird, als es den Anschein hat. Freilich sind dies keine neuen Themen des Kinos, aber Gallo findet dazu neue, eigene Bilder.