USA/Mexiko 2014 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Neill Blomkamp Drehbuch: Neill Blomkamp, Terri Tatchell Kamera: Trent Opaloch Darsteller: Sharlto Copley, Dev Patel, Jose Pablo Cantillo, Sigourney Weaver, Hugh Jackman u.a. |
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Was macht künstliche Intelligenz »menschlich«? |
»Der Mensch ist biologisch bestimmt, eine Welt zu konstruieren und mit anderen zu bewohnen. Diese Welt wird ihm zur dominierenden und definitiven Wirklichkeit. Ihre Grenzen sind von der Natur gesetzt. Hat er sie jedoch erst einmal konstruiert, so wirkt sie zurück auf die Natur. In der Dialektik zwischen Natur und gesellschaftlich konstruierter Welt wird noch der menschliche Organismus umgemodelt. In dieser Dialektik produziert der Mensch Wirklichkeit – und sich selbst.«
Peter L. Berger, Thomas Luckmann: »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie« (1966)
Die Einschläge kommen immer näher. Oder ist es eher eine Welle, eine tsunamihafte, gespenstisch wirbelnde Ruhe vor dem eigentlichen Aufprall? Realität kurz vor ihrer Manifestation, vom Menschen produzierte Wirklichkeit kurz vor ihrer Realwerdung? Oder ist es doch eher eine Zange, deren eine Greifbacke sich aus einer Art kollektiv-kreativem Freiraum zusammensetzt, während die andere aus kapitalistischer Kraft und innovativem Formwillen besteht? Eine Zange, die dabei ist anzusetzen, unser Leben völlig neu zu formen und dafür zuzudrücken. Das, was wir bislang nicht im Weltall gefunden haben, selbst zu erschaffen: einen anderen Menschen, künstliche Intelligenz, Roboter. Um uns auf diese neue Realität vorzubereiten – eine zweite Moderne von wirklich unvorstellbaren Ausmaß – wird an allen Ecken und Enden gewerkelt. Sozialwissenschaftler werten den Durchbruch der Künstlichen Intelligenz bereits aus und ringen um neue Modelle, die helfen sollen, eine Welt, in der »Arbeit« nicht mehr Lebensmittelpunkt ist, einigermaßen gewaltfrei zu realisieren. Ingenieure und Programmierer senden auf eigenen Youtube-Kanälen – so wie etwa das von Google aufgekaufte Robotik-Unternehmen »Boston Dynamics«, die erst kürzlich begeistert ihre neueste Kreation »Spot« vorstellten, einen vierbeinigen Roboter, dessen Fähigkeiten – nun ja, tatsächlich faszinierend sind.
Diese neuen Fremden wie »Spot« würden es in unserer Gesellschaft genau so schwer haben wie die »Fremden«, die bereits versuchen in unsere technoide, wohlhabende Gesellschaft einzudringen, sei es aus wirtschaftlich benachteiligten oder von Kriegen zerrissenen Regionen. Anders als letztere haben die Roboter unserer nahen Zukunft allerdings eine breite Lobby. Und das ist nicht nur die nach Innovationen und Gewinnmaximierung ausgerichtete Welt von Wissenschaft und Wirtschaft, sondern auch die der Literatur und des Films, die gewissermaßen die Blaupausen dessen liefern, was letztlich real wird und in Produktion geht. Hier wird abgewogen, was gefährlich ist und was nicht und vorgefühlt, was möglich wäre und was nicht. Deshalb entstehen dystopische Visionen genauso wie utopische Ansätze, denn schließlich geht es um unsere Realität von morgen. Faszinierend dabei ist, dass sich filmische Visionen und Realität in einigen Bereichen mehr und mehr anzugleichen beginnen. Man denke etwa an den neuen RoboCop (2014) oder Her (2013).
Auch Neill Blomkamps Chappie gehört in diese Kategorie. Ähnlich wie in RoboCop befinden wir uns in einer nahen Zukunft, in der allerdings nicht die USA, sondern Südafrika der Vorreiter für den Einsatz von Roboterpolizisten ist. Die Sache läuft an sich gut, aber natürlich sind es – wie bei fast allen technischen Innovationen – menschliche Schwächen, die einen nachhaltigen Erfolg verhindern, damit aber einem Zufall Raum geben, der es ermöglicht, dass erstmals ein Roboter menschlichere Züge entwickelt als die Menschen selbst, Chappie.
Wie in seinen beiden Vorgängerfilmen District 9 und Elysium bettet Blomkamp auch Chappie in eine dystopische Geografie ein, die allerdings dieses Mal von Anspielungen an Vorgängerfilme mit ähnlichen Motivationen bevölkert ist, sei es Blade Runner, Nummer 5 lebt oder RoboCop. Dennoch dominiert Blomkamps Handschrift, die eindeutig südafrikanisch ist: zum einen durch das eindrücklich afrikaans eingefärbt gesprochene Englisch, zum anderen durch ein furios fotografiertes Johannesburg, das nicht bei der bekannten Skyline halt macht, sondern sich ebenso durch die Charakteristika von Hillbrow, die toten, aber neudefinierten Orte des alten Apartheid-Südafrikas, wie auch die Straßen aus Blomkamps eigener Kindheit bewegt.
Was Chappie dann aber noch einmal mehr von ähnlich ausgerichteten Filmen abhebt, ist Blomkamps Idee, das kleinkriminelle Milieu seines Films durch zwei Schauspieler repräsentieren zu lassen, die für so etwas wie die weiße, afrikaanse Gegenkultur in Südafrika stehen – Ninja und Yo-Landi Visser des Rap-Trios »Die Antwoord«. Die im Film unter ihren wirklichen Namen auftretenden Musiker stellen bei Blomkamp die kriminelle White-Trash-Seite des Landes dar, die sich sowohl sprachlich als auch soziokulturell massiv von der englischstämmigen Bevölkerung im Land unterscheidet und deren über die schweren Jahre nach den Burenkriegen, die Apartheid und das neue Südafrika abgeschliffene Menschlichkeit ironischerweise über ein Roboterwesen reaktiviert wird.
Diese Transformation ist eine der großen Stärken von Blomkamps faszinierendem Film. Er macht nicht nur White Trash auf ironisch-humorvolle Weise begreif- und therapierbar, sondern eröffnet auch einen Strudel an Gedankenspielen, um herauszufinden, was letztendlich künstliche Intelligenz »menschlich« macht, wie die Sozialisierung und »Menschwerdung« eines Roboters spielerisch funktionieren und wie eine solchermaßen unbeirrbare Menschlichkeit die Menschen wieder zu Menschen werden lassen könnte. Blomkamp schreckt dabei nicht vor poetischen Momenten zurück, die in ihrer lyrischen Intensität an eine andere Menschwerdung denken lassen, jene von James Joyce, der 1916 in seinem Poträt eines Künstlers als junger Mann schrieb, was auch Chappie an die Wände eines versehrten Fabrikgebäudes schreiben könnte: »He was alone. He was unheeded, happy, and near to the wild heart of life. He was alone and young and wilful and wildhearted, alone amid a waste of wild air and brackish waters and the seaharvest of shells and tangle and veiled grey sunlight.«
Diese Facetten sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Chappie genauso wie Blomkamps Vorgängerfilme immer wieder auch in einen irren Humor und bizarren Klamauk driften, bei aller Ideenflut gerne die Logik unter den Hammer expressionistischer Action-Sequenzen kommt und auch die Charakterzeichnungen an Tiefe leiden. Sei es die plakative Absurdität, mit der Deon (Dev Patel) nach nur einem Anlauf eine AGI (Artificial General Intelligence) erschafft – die umso absurder ist, als die Standardroboter, die sogenannten »Scouts« diese ja im Grunde schon besitzen – als auch Deons dann doch stark an Helden-Comic-Ästethik angelehnter Gegenspieler Vincent (Hugh Jackman).
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Doch im Grunde ist das egal, geht es vielmehr um die Träume und was jeder daraus macht. Blomkamp hat während seiner späten Jugend in Südafrika nicht nur davon geträumt, einmal für die Verfolgungsjagd in einem eigenen Film den Joburger Highway sperren zu dürfen, sondern auch von einer anderen Welt, eine mit besseren Menschen und mehr Gerechtigkeit. Der Highway wurde für Chappie gesperrt, die bessere Welt liegt uns zumindest als Blaupause vor.
Man darf deshalb genauso darauf gespannt sein, wie es um die nächsten Entwicklungen bei Boston Dynamics bestellt sein wird, als auch darauf, was Blomkamp aus Alien machen wird, für dessen fünften Teil er vor kurzem verpflichtet wurde und für den Sigourney Weaver sich als CEO des handlungstragenden Robotikuntenehmens in Chappie bereits warm spielen durfte.