USA 2012 · 114 min. · FSK: ab 16 Regie: Sean Anders Drehbuch: David Caspe Kamera: Brandon Trost Darsteller: Adam Sandler, Andy Samberg, Leighton Meester, James Caan, Vanilla Ice u.a. |
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Scheiss auf die Normalität! |
JG: »Korean food is interesting because obviously Korea has been one of the poorest fucking places on the planet. When you drive through it, everywhere that there could possibly be a rice paddy, there’s a rice paddy. In the countryside, you don’t have a backyard; you have a rice paddy. Their seafood cuisine is low-tide stuff that kind of exists everywhere in the world, but they’re the only ones who eat it — like hagfish, sea squirts, sea hares, or those bizarre sea worms. Ever seen them?«
BLVR: »No.«
JG: »Imagine a tank full of fifty pink, uncircumcised cocks — with the foreskins kind of wiggling. You recognize that this is a sea creature; you don’t necessarily recognize it as lunch. But then you eat it and it’s fine.«
(Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Restaurantkritiker Jonathan Gold im Gespräch mit Andrew Simmons)
Vielleicht sollte man in Zukunft einen noch stärkeren Abgleich von Restaurant- und Filmkritik versuchen, nicht nur terminologieorientiert, sondern auch geschmackszentriert. Denn was z.B. Jonathan Gold über den möglichen Verzehr von Seewürmern sagt, ist fast schon beängstigend frappierend auf einen Film anwendbar, der ohne Pressevorschau, ohne jegliche Werbeoffensive, beinahe verstohlen seinen Weg in die deutschen Kinos genommen hat: die neue Adam Sandler-Komödie Chaos-Dad, im amerikanischen Original ein wenig hintergründiger That’s My Boy betitelt.
Dass der Verleih sich nicht so recht traut, mag an dem amerikanischen Medienecho gelegen haben, das den von Sean Anders inszenierten und Adam Sandler produzierten Chaos-Dad regelrecht hingerichtet hat: Sandler wurde Unfähigkeit vorgeworfen, wirklichen Humor auch einmal ohne pubertären Witz zu generieren, Bob Fischbach fand Chaos-Dad gar noch schlimmer als Sandlers letzte Stinkbombe Jack und Jill und für Richard Roeper ist es einfach nur ein widerliches, geschmackloses, tödliches und bösartiges Stück Film.
So weit, so gut und zugegeben: die erste halbe Stunde ist tatsächlich nicht einfach. Zu scherenschnittartig wird hier eine doch recht komplexe Tragödie über den Komödienzaun gebrochen: Für den 14-jährigen Donny wird ein Schülertraum wahr – ihm gelingt es, ins Bett seiner angebeteten 22-jährigen Lehrerin vorzudringen und sie sogar zu schwängern. Mary (Susan Sarandon) wandert für Jahrzehnte ins Gefängnis und Donny zieht mit einem mehr oder weniger abwesenden eigenen Vater seinen Sohn Han Solo (Andy Samberg) groß, der kaum volljährig, die Flucht ergreift und nichts mehr von einer Vergangenheit wissen will, die keine Grenzen kannte. Das Desinteresse ist scheinbar beidseitig, denn Donny interessiert sich erst wieder für seinen Sohn, als sein eigenes Leben auf der Kippe steht, die Steuer ihm mit Gefängnis droht, sollte er nicht innerhalb kürzester Zeit seine Steuerschulden begleichen. Donny sucht seinen Sohn auf, von dessen angepassten, aber erfolgreichen Leben er zufällig gehört hat und platzt in dessen Hochzeitsvorbereitungen mit der noch angepassteren und erfolgshungrigeren Jamie (Leighton Meester) hinein. Spätestens hier, wo Franco Amurris Flashback 1990 aufhörte, findet Chaos Dad alias Adam Sandler zu sich. Zwar stören auch hier vordergründig Momente von abstrus-obszönem Klamauk und wirrem Timing, aber schon einen Moment später ist das verziehen. Denn so furios, lustvoll und wild wird jede nur erdenkliche Fassade des amerikanischen Traums zertrümmert, dass allein die Momente blöden Klamauks Inseln des Bekannten, Inseln der Ruhe sind. Gleichzeitig werden vor allem durch die brillant ausgespielten Gegensätze von Vater und Sohn Erinnerungen an ein anderes Comedian-Duo wach, das schon 1951 in einem Film mit Namen That’s My Boy ihre Gegensätzlichkeit ausspielte und die ähnlich wie Sandler das düstere Unbewusste amerikanischer Kultur der Lächerlichkeit preisgegeben hat: Jerry Lewis und Dean Martin.
Die Radikalität und Universalität, eine fast bizarre Verstärkerfunktion, der sich Adam Sandler und Sean Anders bedienen, ist jedoch nicht nur Lewis und den frühen Wild Men in Mack Sennetts Keystone Studio, dem Urgestein amerikanischer Komödiengeschichte zu verdanken (die Fritz Göttler in der Süddeutschen Zeitung vor kurzem so verdienst- wie liebevoll beschworen hat). Sondern wohl auch einer immer lauter und schriller werdenden bigotten Moral in Amerika. Denn wirklich kein Tabu wird bei Sandler und Anders ausgespart: Die Verlogenheit amerikanischen Militärdrills, exzessive Masturbation, Inzest, Pädophilie und auch gleich das andere Extrem: Sex mit Rentnern. Ein Prise davon würde fast jedem Film gut tun, nicht zuletzt dem zeitgleich angelaufenen Wie beim ersten Mal.
Doch bei einem Film im Serienprisenformat ist es wie mit dem Seewurm: nicht gleich erkennbar als Mittagessen und sicherlich nicht für jeden zu empfehlen, aber hat man ihn erst einmal im Mund, durchaus ein Vergnügen.