Deutschland 2008 · 94 min. · FSK: ab 12 Regie: Cordula Kablitz-Post Drehbuch: Cordula Kablitz-Post Kamera: Christoph Lerch, John Toft, Frederic Doss, Günther Uttendorfer, Axel Lüttich, Arev Karpert Schnitt: Lars Billert |
||
Trashdeko im Fernsehstudio |
»Lets talk to end all talk«, lautete das inoffizielle Motto der mehrteiligen Veranstaltungsreihe »Die Piloten – eine Talkshow in sechs Folgen, die nie ausgestrahlt wird« an der Berliner Akademie der Künste, die von Schlingensiefs Produktionsleiterin Cordula Kablitz-Post (Regie) nun zu einem 90 minütigen Film arrangiert wurde.
Das Logo: Ein abstürzender Kranich auf einem Fernsehschirm. Das Setting: Trashdeko, Zimmerpflanzen, Omas Sofagarnitur auf einer Drehbühne, auf den Tischen allerlei Krempel und Krümel, ringsherum ein Bauzaun. Die Gäste, alte und neue Talkshow-Bekannte: die Berufsbetroffene Lea Rosh, Dramatiker Rolf Hochhut, Ex-Fernsehpfarrer Jürgen Fliege, Regisseur Oskar Roehler, Aktionskünstler Hermann Nitsch, Rapper Sido, Suhrkamp-Chef Claus Grossner und andere mehr, die zumindest in diesem Medium wenig oder nichts zu sagen haben und auch nicht unbedingt zu Wort kommen. Die Gäste wissen, was sie bei Schlingensief erwartet, doch keiner weiß, was konkret passieren wird.
Das haben wir in ähnlicher Form bereits einmal gesehen. Talk 2000 hieß die Sendung, die Christoph Schlingensief Ende der 1990er Jahre produzierte – sie genießt inzwischen Kultstatus. Um die Frage ob Trash Hochkultur sein könne und Hochkultur Trash, ging es da, um die Persiflierung der Verblödungs- und Verwurstungsmaschinerie des Fernsehens. Heillos veraltet also? Schon das wird man – entgegen manchen übersättigten Kritikern, die bei Schlingensief nur
noch eine »sich selbst verdauende Referenzhölle« sehen wollen – kaum behaupten können.
Die Filmfassung von Die Piloten ist mehr als die ultimative Zusammenfassung einer trashigen Persiflage des wöchentlich bei Beckmann, Kerner, Will & Co recycelten Wortmülls der Profischwätzer. Schlingensiefs kritische Auseinandersetzung mit dem schichtenübergreifenden Unterschichtenfernsehen deutscher Provenienz wird nicht dadurch falsch, dass
sie in ähnlicher Form schon einmal zu sehen war und der Künstler ohnehin nicht dadurch schlechter, dass er seinen stilistischen Formen treu bleibt und die Motive wiederkehren.
Schlingensiefs vielfältiger und stellenweise genialer Assoziationskosmos bleibt dank seiner Spontaneität und der virtuosen Gestaltung des auch formal höchst überzeugenden Films von Cordula Kablitz-Post deutungsoffen und bedeutsam. Es wird viel mit dem Medium gespielt, das Spiel ironisch aufgebrochen, durch Selbstkommentare Schlingensiefs, der Beteiligten und des Medienwissenschaftlers Boris Groys, den Schlingensief zur Analyse der eigenen Arbeit bestellt hat. Immer mehr fokussiert sich die Kamera auch auf Schlingensiefs eigene Befindlichkeit, die er zuvor schon in der Show thematisiert hatte, indem er Großaufnahmen seiner von Drusenpapille (einer eher harmlosen Augenkrankheit) befallenen Augäpfel in die Kamera hält und einen Ophthalmologen auf die Bühne bringt. Schonungslos hält die Kamera aber auch dann drauf, als schließlich Schlingensiefs eigener Vater schwer erkrankt und der Künstler mit seinen Emotionen ringt. Kablitz-Post stellt Schlingensiefs Gefühle in schonungsloser Weise zur Schau – das Werk wird zu einem eigenwilligen Requiem auf den im sterben liegenden Vater.
Ungeplanter Höhepunkt der kollektiven Emotionsbewältigung ist der Auftritt der Politikerin Claudia Roth, die an diesem Tag einen engen Freund auf tragische Weise verloren hat. Gleichwohl ist sie gekommen, ihre Trauer ist öffentlich, auch ihre private Emotion für alle sichtbar. Schlingensief nützt die Gelegenheit auf geradezu perfide Weise aus: Als er mit Claudia Roth auf der Bühne zum Gedenken an ihren ermordeten Freund anstößt, kann diese ihre Tränen kaum zurückhalten. Schlingensief bittet sie, die Szene noch einmal zu wiederholen, damit die Kamera sie in einer besseren Perspektive aufnehmen kann. Roth tut es. Durch sechs Fernsehkameras, die ihre Trauer in die Welt hinaustragen, bleibt ihr toter Freund der Welt erhalten – sagt Roth. Boris Groys, der diese Szene später im Film kommentieren darf, ist sichtbar fasziniert von ihrer Äußerung: Dadurch werde dem Medium göttliche Kraft zugeschrieben: »Das ist die Religion unserer Zeit!«