USA 2005 · 121 min. · FSK: ab 16 Regie: Francis Lawrence Drehbuch: Jamie Delano, Garth Ennis Kamera: Philippe Rousselot Darsteller: Keanu Reeves, Rachel Weisz, Shia LaBeouf, Djimon Hounsou u.a. |
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Zurück aus der Hölle: Keanu Reeves und Rachel Weisz |
Tauschen möchte man mit John Constantine nicht. Die zynische Hauptfigur der Warner-Produktion Constantine, gespielt von Keanu Reeves, hat nämlich eine unheimlich anmutende Gabe: Er kann sogenannte »Halbblut- Engel und -Dämonen«, welche sich als normale Menschen tarnen, erkennen. Constantine trieben diese Visionen jedoch schon im Jugendalter in den Wahnsinn, welcher in einem Suizidversuch gipfelte. Selbstmord, eine schwerwiegende Sünde gegen Gott, führt aber direkt in die Unterwelt. Nur wenige Minuten an diesem apokalyptischen Ort ließen den jungen John entscheiden, dort auf keinen Fall bleiben zu wollen. Mit letzter Kraft rettete er sich zurück ins Leben. Doch der Weg nach einem Ableben ins Paradies scheint unwiederbringlich versperrt, Selbstmörder fahren in die Hölle.
Johns Plan ist es daher, die Gunst Gottes durch »gute« Taten auf Erden zurück zu gewinnen. John zieht los, um durch Exorzismus und Ähnliches Dämonen, welche sich unter den Menschen eingenistet haben, zurück zu Luzifer zu schicken. Doch egal, wie sehr John sich auch anstrengt, immer wieder macht ihm Erzengel Gabriel (Tilda Swinton) klar, dass der eingeschlagene Weg nicht zur Erlösung führe, Gott könne man nicht bestechen: nur Opferwille und Glauben ebneten den Weg ins Paradies. Doch genau daran fehlt es: John wandelt indes als kettenrauchender, whiskeytrinkender Egozentrikert weiter durch die triste Großstadt. Als schließlich die Polizistin Angela Dodson (Rachel Weisz) an John herantritt, um Hilfe bei Nachforschungen zu den mysteriösen Todesumständen ihrer Zwillingsschwester (in einer Doppelrolle: Rachel Weisz) zu erhalten, ist dieser zunächst abweisend und desinteressiert. Doch schon wenig später verdichten sich die Hinweise darauf, dass etwas besonders Bösartiges das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse auf der Erde stören soll. John begreift, dass die Polizistin im Mittelpunkt dieses Wandels steht. Für das ungleiche Team beginnt eine Odyssee, welche nicht nur mit dem Teufel (Peter Stormare) als Zaungast aufwarten kann.
Constantine basiert auf der Comicvorlage »Hellblazer«, der Titel wurde abgeändert, um nicht Verwirrung bezüglich des Horrortitels Hellraiser von Clive Barker zu stiften. Vorgesehen für die Rolle des John Constantine war ursprünglich Nicholas Cage, welcher jedoch in letzter Sekunde absprang.
Constantine bietet eine interessante Filmwelt an: Dominant in dieser Welt ist das Thema der Religion – die christliche Spielart. Menschen werden nach deren Ableben tatsächlich Richtung Himmel oder Hölle verwiesen. Jede Tat wird also von höherer Stelle wahrgenommen und bewertet. Einsprüche dagegen seitens der Menschen bleiben folgenlos. Sie müssen sich dieser Ordnung unterwerfen. Der Film ist förmlich religiös-symbolhaft überfrachtet: Nicht nur spielt er in der »Stadt der Engel«, fährt der Dämonenjäger in einem Taxi der Firma »Angel Cab«, nein, auch zentrale Architektur des Films ist in Kreuzform angeordnet, Übertritte in die Hölle werden wie eine Taufe inszeniert, Constantine kämpft mit Weihwasser, religiösen Reliquien und einer modifizierten Waffe, die den funktionalistischen Namen »Kreuziger« aufweist.
Interessanterweise bleibt die Hölle in Constantine keine abstrakte Ebene (wie auf Gemälden von Bosch oder Brueghel), sondern wird vielmehr als Parallelwelt dargestellt. Tritt man in diese über, verweilt man am selben Platz, nur der Look ändert sich von normal zu nuklearschlagsartig. Optisch ist dies reizvoll: Man hat das Gefühl, der Moment, den Sarah Connor in Terminator 2: Judgement Day am Maschendrahtzaun als Zeuge des Atomschlags wird, würde in die Ewigkeit gestreckt. Man hätte sich gewünscht, dass John sich mehr Filmminuten in jener apokalyptischen Welt bewegt.
Überhaupt tummeln sich in der Umgebung Constantines interessante Filmfiguren, die in ihrer Absurdität direkt der Comicvorlage entsprungen zu sein scheinen. Der androgyne Erzengel Gabriel, in dessen Taten ein gewisser religiöser Übereifer (hört man schon den Fundamentalisten an die Tür klopfen?) Einzug hält, der neutrale »Midnite« (Djimon Hounsou), der einen Club betreibt, in dem sich Halbwesen jeglicher Gesinnung auf »neutralem Boden« aufhalten können: Midnite erscheint als Kriegsgewinnler, der Kapital aus den Konflikt zwischen Gut und Böse schlägt, was ihm am Ende seines Lebens blüht, bleibt jedoch ungewiss. Constantines »Praktikant« Chaz nimmt die Rolle des Kinogängers ein – fasziniert, doch ahnungslos folgt er seinem Idol Constantine bis zur ultimativen Auseinandersetzung mit dem Bösen.
Fragwürdig bleibt, weshalb der archäologische Fund, der die Katastrophe einleitet, ausgerechnet vom arbeitslosen Mexikaner in einer schäbigen Ecke Mexikos, umwickelt von einer Hakenkreuz-Flagge, entdeckt werden muss. Es wird so eine interessante Traditionslinie der Bedrohung konstruiert – was früher der Nationalsozialist nicht vermochte, bringt nun der verarmte Mexikaner als Wirtschaftslast im Westen der USA zu Ende, Achtung: Schablonen-Armageddon!
Es scheint dem Film auch nicht möglich, eine Darstellung des Paradieses zu bieten. Nicht nur taucht kein Garten Eden auf, auch wird auf eine Repräsentation Gottes verzichtet, Satan kommt jedoch als durchgeknallten Fetisch-Club-Gänger daher. So hegt man den Verdacht, dass das menschliche Dasein über das definiert werden soll, es nicht darf, ohne einen Ausblick auf etwaige Belohnung zu bieten. Wer weiß, vielleicht ist das Paradies ist ein schrecklich langweiliger Ort in Goldtönen?
Der geneigte Betrachter entdeckt die Filmwelt Constantine als Idee einer Hommage an den Film Noir. Night Shots, extreme Kamerawinkel, sogenanntes Low Key Lightning und die Figur des zynischen Jägers Constantine ergeben eine entsprechenden Mischung.
Reeves Spiel war mit Spannung erwartet worden – zu sehr hatte man sich an seine Darstellung als »Neo« der Matrix-Triloge gewöhnt. Und tatsächlich hat man bisweilen das Gefühl, er spiele intensiver, wobei nicht verschwiegen werden darf, dass Reeves immer noch nicht den Unterschied zwischen linkisch-bemüht-cool und entspannt-lässig begriffen zu haben scheint.
Der sich verschlimmernde Krankheitsverlauf aufgrund von Lungenkrebs, den John Constantine während der Filmminuten durchlebt, wird dezent wirksam durch das gelungene Make-Up umgesetzt, auch Johns Kostüm wirkt mit Bedacht gewählt und entfaltet durch sein Schwarz-Weiß auch einen Hinweis auf die Gabe des Jägers: Für ihn gibt es kein Verstellen, er sieht die Welt hinter der Fassade. Rachel Weisz, die aus dem aufgeblasenen Digi-Epos Die Mumie den meisten Zusehern hierzulande bekannt sein dürfte, gibt eine farblose Darbietung ohne besondere Akzentuierung.
Die Schauspielerin, die zur Rollenvorbereitung ein Medium in Los Angeles besuchte und laut Presseinformation eine »umfassende Verwandlung« durchmacht, gefällt jedoch in den wenigen Momenten, in denen sich eine romantische Seite der seltsamen Arbeitsbeziehung zwischen ihrer Polizistin-Verkörperung und John Constantine anbahnt. Tilda Swinton als Erzengel weiß gehörig zu gefallen – man ist versucht, zu behaupten, allein ihre Darbietung bleibe nach dem Film in den Köpfen zurück, denn von einer emotionalen Bindung zwischen Publikum und Film kann keine Rede sein.
Wissen das Set-Design und die Charakterzeichnung der Hauptfigur also durchaus zu gefallen, verraten die hektischen Schnitte und die teilweise CGI-Überfrachtung die Herkunft des Werbeclip-gestählten Regisseurs. Schade. Die Score des Deutschen Klaus Badelt bleibt über weite Strecken dem Genre treu und erzeugt ein musikalisch-unheimliches Grundgerüst. Obligatorisch hat man sich übrigens ein Hintertürchen für ein Sequel offen gelassen – Hollywoodpolitik 2005 ist also Hollywoodpolitik 2004 ist also Hollywoodpolitik 2003 (geblieben).