USA 2012 · 122 min. · FSK: ab 6 Regie: Robert Redford Drehbuch: Lem Dobbs Kamera: Adriano Goldman Darsteller: Robert Redford, Shia LaBeouf, Julie Christie, Susan Sarandon, Nick Nolte u.a. |
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Susan im Konflikt mit dem Staat |
Ist Robert Redford ein Terroristenfreund? So sehen das ja tatsächlich nun manche in den USA. Dabei ist das zentrale Motiv von Robert Redfords The Company You Keep – Die Akte Grant einfach ein Gewissenskonflikt. Wann kann Verrat eine moralische Handlung sein? Und: Wen darf man verraten? Dies sind die entscheidenden Fragen. Ob Lügen »gut« oder »böse« ist, ist gar keine Frage mehr. Denn die Menschen in Redfords Film lügen sowieso alle: Sie belügen ihre Familie, ihre Freunde, sie belügen den Staat. Aber sie lügen um einer Wahrheit willen. Sie belügen den Staat um das Recht zu schützen; die Familie, um diese zu schützen; die Freunde, um wieder andere Freunde zu schützen. Es gibt eben auch einen Verrat zum Wohle des Verratenen. Dies ist die erste Einsicht.
Es folgt die zweite: »Terroristen« sind charismatisch, klug, erfolgreich und schön – jedenfalls, wenn sie älter werden. Sie sehen dann offenbar aus wie Julie Christie. Wie Susan Sarandon. Wie Robert Redford. Oder diese Menschen, die wir her sehen, sind eigentlich gar keine Terroristen. »Was dem einen sein Terrorist, ist dem anderen sein Freiheitskämpfer.« Dies hat mal ein kluger Mann gesagt, und es war weder Mao, noch Lenin. »Terroristen« muss man in Anführungsstrichen schreiben.
Robert Redford gehörte jedenfalls immer zu den politisch engagierten US-amerikanischen Filmemachern. Sein neuer Film zeigt den 76-jährigen als zornigen, engagierten, alten Mann. Der Zorn stammt vielleicht daher, dass viele seiner politischen Bemühungen bisher im Sand verlaufen sind. So nimmt er nun in diesem Film eine deutlich staats- und justizkritische Position ein. Seine Grundhaltung: Die Institutionen schützen die Bürger nicht mehr, sie bedrohen und verfolgen sie. Dies ist eine in Teilen der Gesellschaft mehrheitsfähige Position in Zeiten, in denen die Geheimdienste zunehmend zum Staat im Staat geworden scheinen, in denen auch andere Institutionen jenseits jeder demokratischen Kontrolle und Legitimation agieren, und in denen der US-Präsident zu Beginn seiner Amtszeit zwar die Schließung des Konzentrationslagers von Guantanamo anordnet, es aber nicht durchsetzen kann, da es offenbar Kreise gibt, die mächtiger sind, als der Präsident.
Eines Tages ist Jim Grant nicht mehr er selbst. Seine über Jahre gut gehütete Identität fliegt auf und er muss fliehen. Denn jetzt ist er nicht mehr der brave engagierte Bürger und nette Nachbar, sondern ein Mann, nach dem für 40 Jahre alte Taten im ganzen Land gefahndet wird. Er taucht unter, und sucht seine alten Kameraden.
Robert Redford ist nicht allein der für viele immer noch schönste Mann von Hollywood. Er ist auch einer der großen Aktivisten des liberalen Amerika. In seinem neuen Film, der auf Englisch sehr feinsinnig »The Company you keep« heißt, also »Die Begleitung, die man nicht los wird, die bei einem bleibt«, reist Redford, der neben der Regie auch die Hauptrolle spielt, zurück in die Erinnerung an die frühen 70er Jahre.
Er erzählt hier die Geschichte des amerikanischen linken Untergrunds, der »Weathermen«. Seinerzeit wollten sie die Welt verbessern – eine radikale Gruppe, die für Bürgerrechte und gegen den Vietnam-Krieg kämpfte. Wie heute hatte Amerika seine Maske verloren. Im Rückblick wird deren Geschichte geschildert, und ihr Hintergrund: »Never has dissent been as intense and as extreme as this dissent about our engagement in Vietnam« (»Nie war Widerstand und Abweichung so intensiv und extrem, wie der Widerstand gegen den Vietnamkrieg«) heißt es in den Original-Fernseh-Nachrichten, die Redford zu Beginn einspielt. Die »Students for a democratic society« gingen auf die Straße, ihr radikaler Arm, die »Weathermen« spalteten sich irgendwann von ihnen ab: Man war pazifistisch, überfiel zwar Banken, und warf Bomben, sorgte aber dafür, dass keine Menschen zu Schaden kamen.
Von diesen und anderen realen Geschehnissen ausgehend erzählt Redford eine fiktive Geschichte, um einen Ex-Weatherman, dessen Identität nach über 30 Jahren Versteckspiel auffliegt. Der Sündenfall des Films ist die implizite Behauptung, dass bei den Weatherman-Aktionen doch einmal getötet wurde – dies war aber nicht der Fall, und so setzt der Film eine Legende in die Welt. Redfords Nick ist zwar an der Tat, für die er gesucht wird unschuldig, will aber das Schweigegelübde der Gruppe nicht brechen. So geht es hier um einen klassischen Gewissenskonflikt: Die Entscheidung zwischen zwei – im konkreten Fall unvereinbaren – moralischen Prinzipien, zwischen Wahrheit und Loyalität.
Redfords Film erinnert atmosphärisch gleich an zwei Werke aus Redfords größter Zeit, der Ära des »New Hollywood«, als Amerika einmal für kurze Zeit wirklich gesellschaftskritisches Kino machte: Sidney Pollacks Paranoia-Thriller Die 3 Tage des Condor und das Watergate-Drama Die Unbestechlichen (All the President’s Men) von Alan J. Pakula. Denn auch hier kommt ein junger Journalist vor, der zwischen Wahrheitssuche, Ehrgeiz und dem, was richtig ist, noch seinen moralischen Kompass finden muss. Shia LaBeouf spielt diesen jungen, smarten, ehrgeizigen Mann, der unerwartet das gute Amerika entdeckt, auch irgendwann in sich selbst, und trotzdem nicht jeder Versuchung widerstehen kann. Anhand dieser Figur geht es auch um die
Zukunft des Journalismus in einer Zeit mit weit weniger Idealismus als damals, einer Zeit, in der es wichtiger ist, wer die Story zuerst hat, als woraus sie eigentlich besteht. Es entsteht kein schmeichelhaftes, kein wirklich heroisches Portrait des Journalismus, sondern das eines Journalismus um fast jeden Preis: Er besteht aus Bestechen, Flirten, Lügen und Bloßstellen.
Anhand dieser beiden Hauptfiguren geht es auch um die Dichotomie zwischen zwei Generationen: Der 68er und
der heutigen.
Oberflächlich gesehen ist dies vor allem ein mit Nick Nolte, Richard Jenkins und Julie Christie stargespickter spannender Thriller. Aber immer wieder kommt es zu ruhigeren Szenen mit sehr grundsätzlichen Passagen, die die politisch-moralischen Optionen unserer Zeit prägnant entfalten. Insbesondere zwischen der 30. und der 40. Minute. Da bekommt der junge Journalist Ben Shepherd, der kein guter Hirte ist, die von Susan Sarandon gespielte Ex-Weatherman-Mitglied Susan Solarz, die sich nach 30 Jahren stellen wollte und kurz zuvor von der Polizei hochgenommen worden war, im Gefängnis zu besuchen und zu befragen – stellvertretend für uns im Publikum. Eine intensive, grandios geschriebene Szene, die die Option für Gewalt ernst behandelt, ihr ihre Würde und moralische Rechtfertigung nicht nimmt, und deshalb von manchen amerikanischen Rechten als Rechtfertigung des Terrors verstanden wurde:
»There was a revolution I wanted to be part of it...«, sagt Sarandons Figur. »Sure. Sounds groovy.« – »This was hardly groovy ... our government was murdering millions. ... It wasn’t abstract ...« – »Sounds to me like justification. I find it hard to believe that the only option available to you at that time was violence.« – »We thought, that sitting at home while our government comitted genocide and doing nothing about it, was violence. ... What about you? What are YOU willing to take a risk for?«
Diese letzte Frage ist die aktuelle: Für was sind wir heute Lebenden bereit, unsere bequeme Lebensform zu riskieren, irgendetwas zu riskieren, und für was würden wir unser Leben opfern – ohne dazu durch die Umstände gezwungen zu sein?
Und in welchem moralischen Zustand ist eine Gesellschaft, deren Angehörige es verlernt haben, sich für irgendetwas zu opfern?
Ist sie am Ende gar im Vergleich zu früheren moralisch heuntergekommen? Leben wir doch nicht in der besten aller
Welten?
»Dissent can be dicy.« – Widerstand kann riskant und unangenehm sein, sagt Susan Solarz, und antwortet dann auf die Frage, ob sie »es« »wieder tun« würde?
»Would I do it again? If I didn’t have kids and old parents that I love. Yeah, I would do it again. Smarter, better, different. But I would do it. Yeah. We made mistakes, but we were right. ... People do what they have to do.«
The Company You Keep ist spannendes, engagiertes, dabei unterhaltend erzähltes Kino, bis in die Nebenrollen gespickt mit Stars, denen Redford jeweils wunderbare Auftritte gibt: Julie Christie, Susan Sarandon, Nick Nolte und viele mehr – Hollywood at its best. Gerade in diesen Tagen, in Zeiten, in denen auch mehr als 11 Jahre nach dem 11. September Terroristenangst und in deren Gefolge der Sicherheitswahn den Ton angeben, und sich die Politik Barack
Obamas von der des George W. Bush nur graduell unterscheidet, unternimmt Redford eine Ehrenrettung des wirklich liberalen Amerika.
Und sein Film ist noch mehr als das, nämlich eine faszinierende politische Provokation: Redford zeigt, dass der Staat nicht immer im Recht ist, und die sogenannten Terroristen nicht immer im Unrecht.
Oder, wie die von Julie Christie gespielte Figur im Film antwortet, als sie irgendwann auf Redford trifft: »I'll turn myself in when the politics and concerns turn themselves in. ... It wasn’t a dream. It was a possibility. I still believe in this possibility. ... secrets are dangerous things.« Und es gilt für uns alle, wenn es gegen Ende heißt: »You have to figure out, what motivates you. I hope, you like the outcome.«