Kanada 1996 · 100 min. · FSK: ab 18 Regie: David Cronenberg Drehbuch: David Cronenberg Kamera: Peter Suschitzky Darsteller: James Spader, Holly Hunter, Deborah Unger, Elias Koteas u.a. |
Der Mensch erfindet Maschinen, um die ihm von seinem Körper gesteckten Grenzen zu überwinden. Stahl wird zur Verlängerung von Muskeln, Chrom und Gummi zur neuen Haut, der Motor zum mechanischen Herz. Der Crash ist das Ergebnis eines Versagens des Zusammenspiels an der Grenze zwischen Körper und Technik. Im Crash wirkt die außer Kontrolle geratene Macht der Maschine auf den Körper des Menschen zurück.
In David Cronenbergs kongenialer Verfilmung des 1973 erschienen Romans »Crash« des Kultautors J.G. Ballard geht es darum, wie die durch Technik hervorgerufene Deformation des Körpers ihre Fortsetzung in einer Deformation der Psyche findet. Die erotische Besetzung des Autos als Lustobjekt durch unsere Gesellschaft (wie sie jedem aus der Werbung sattsam bekannt ist) wird ausgedehnt auf die von der Maschine gezeichneten Körper. Autowracks und Narben werden als Symbole der Verschmelzung von Fleisch und Metall zum Fetisch einer technisierten Sexualität.
Die Handlung des Films ist schnell erzählt: Der Werbefilmer J.G. Ballard (James Spader) lernt durch einen Autounfall Dr. Helen Remington (Holly Hunter) kennen und gerät durch sie in eine Welt fremder Sexualität. Prophet dieser Welt ist Vaughan (Elias Koteas), der die tödlichen Unfälle berühmter Filmstars rekreiert und den Körper seiner Freundin (Rosanna Arquette) allmählich zu einem vernarbten Kunst-Werk gestaltet, das nur noch durch Leder und Chrom zusammengehalten wird. Ballard zieht bald auch seine Frau Catherine (Deborah Unger) in sein neues Leben hinein, und beide finden zu einer radikalen, neuen Form der Liebe.
Der Plot hat allerdings nur geringe Bedeutung für Crash, er dient lediglich als Gerüst für eine fast mathematisch kalkulierte Aufeinanderfolge von Sex und Autounfällen in unterschiedlichen Varianten. Crash geht es weniger ums Erzählen und Erklären als ums Demonstrieren und Erleben. Wo die Romanvorlage noch in leicht ironischer Distanz bleibt und viele explizite Reflektionen über ihr Thema enthält, geht der Film einen gewagten Schritt weiter. Er möchte den Zuschauer einem ähnlichen Prozess unterziehen wie seine Hauptfigur und ihn die Welt durch deren verschobenen Blick sehen lassen. Die wenigen Sätze der scheinbaren Erklärung, die Vaughan gibt, werden von ihm selbst kurz darauf wieder in Frage gestellt, und auch sonst bietet Cronenberg wenig an, was erlauben würde, Crash ins gewohnten Schema der Wahrnehmung zu bringen. Der hohen Komplexität des Filmes kann man, anders als z.B. bei Greenaway, nicht mit einem fundierten Repertoire an akademischer Theorie und einem guten Lexikon Herr werden. Crash funktioniert nicht auf der »Was will uns der Regisseur damit sagen«-Ebene. Er spricht durch Konstellationen, Farben, Muster, Blicke und vor allem durch den Rhythmus. Crash will nicht verstanden werden, sondern erfahren.
Handwerklich und schauspielerisch bewegt sich der Film auf höchstem Niveau. Kamera, Schnitt und Musik (Howard Shore) schaffen auf perfekte Weise eine kühle, tranceähnliche Atmosphäre, und Cronenbergs exzellentes Ensemble beweist nicht nur erstaunlichen Mut, sondern spielt auch durchwegs hervorragend. Die zwei größten Überraschungen dabei sind wohl Holly Hunter, die ihr Hollywood-Image der harmlosen, putzigen Brünette nun wohl endgültig los sein dürfte, und der bisher eher unbekannte Elias Koteas (Exotica), der als Vaughan eine beängstigend glaubwürdige Vorstellung gibt (die aber in der deutschen Fassung von der mißlungenen Synchronisation gehörig sabotiert wird).
Doch diese Aspekte werden für die meisten Zuschauer von untergeordneter Bedeutung sein. Bereits bei seiner Premiere in Cannes hat der Film für heftige Kontroversen gesorgt. Während etliche Kritiker empört den Saal verliessen, wurde Cronenbergs Werk von anderen (darunter auch J.G.Ballard) enthusiastisch gefeiert, und die Jury wußte sich letzlich nicht anders zu helfen, als durch die Verleihung eines eigens neu geschaffenen »Prix Audace« für künstlerische Originalität und Gewagtheit. Dabei liegt es überhaupt nicht in der Absicht des Films, zu schockieren oder zu provozieren. Der Film möchte, daß man sich auf ihn einläßt; in seiner hermetischen Welt ist nichts von dem, was geschieht, abstossend oder verurteilungswürdig. Es ist nur die ungeheure Fremdheit dieser Welt, die bei manchen Zuschauern extrem ablehnende Reaktionen hervorruft.
Cronenberg hat einen Film geschaffen, der zugleich Kälte ausstrahlt und dennoch sehr sinnlich ist – so wie die dargestellte Auto-Erotik. Er läßt einem vieles begreifen, ohne daß man es rational in Worte fassen könnte, und er ist stimmig, ohne geschlossen zu sein. Man verläßt das Kino, als habe man selbst gerade einen Crash durchlebt: verstört, seltsam distanziert, und verändert.
Ich möchte meine wärmste Empfehlung für Crash aussprechen, doch unter Vorbehalt. Wer einen unterhaltsamen Samstagabend im Kino verbringen möchte, wer bunte Bilder als Untermalung zum Popcorngenuß wünscht, und wer vorfabrizierte Antworten sucht ist mit Crash schlecht beraten. Wer aber bereit ist, sich auf etwas Neues einzulassen, wer sich von der gewohnten Wahrnehmung verabschieden möchte, wer die Verstörung schätzt und sich dem Dunkel des Kinos anvertraut, um mit anderen Augen sehen zu lernen, den erwartet mit Crash ein lohnenswertes Film-Erlebnis.