USA 2001 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Scott McGehee Drehbuch: David Siegel Kamera: Giles Nuttgens Darsteller: Tilda Swinton, Goran Visnjic, Jonathan Tucker, Peter Donat u.a. |
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Tilda Swinton in tiefer Seelennot |
Das titelgebende »Deep End« steht ganz am Anfang.
Die von Tilda Swinton gespielte Margaret Hall, Mutter von drei Kindern, Frau eines Marineoffiziers und Vollzeithausfrau, läutet am hellichten Tag an der Tür des Schwulenclubs The Deep End, um den Besitzer dazu zu bewegen, die Beziehung mit ihrem 17jährigen Sohn abzubrechen. Die besorgte Mutter aus dem beschaulichen Tahoe gegen den abgebrühten Nachtclubbesitzer aus Reno; der Verlauf des Gesprächs scheint
vorgezeichnet.
Zu welcher Vereinbarung die beiden tatsächlich gelangen erfährt man erst später aus den (widersprüchlichen) Erzählungen der Beteiligten. Als Zuschauer fragt man sich, warum einen die Regisseure Scott McGehee und David Siegel bei diesem folgenreichen Gespräch nicht einfach zusehen lassen, um dadurch so manche Unklarheit im weiteren Film zu vermeiden. Doch schnell versteht man, dass gerade diese auftretenden Unklarheiten, Widersprüche und Missverständnisse
von den Regisseuren beabsichtigt sind und den Reiz von The Deep End ausmachen.
Margaret kehrt zurück in ihren arbeitsamen aber friedlichen Alltag, um sich wieder um die Kinder, den Schwiegervater und das große Haus am See zu kümmern, während der Ehemann irgendwo auf dem Atlantik seinen Dienst tut. Ihr Vorhaben scheint erfolgreich gewesen zu sein, das Idyll ist vorerst gerettet.
Doch der Nachtclubbesitzer hält sich nicht an die gemeinsame Vereinbarung und stattet Margarets Sohn Beau noch in der selben Nacht einen Besuch ab. Beim Tête-a-Tête im Bootshaus
kommt es zwischen den beiden zum Streit incl. Handgreiflichkeiten. Alleine zurückgelassen stürzt der Nachtclubbesitzer versehentlich vom Steg und wird am nächsten Morgen tot, von einem Anker durchbohrt, von Margaret gefunden. Da sie ihren Sohn für den Täter (den es in Wirklichkeit gar nicht gibt) hält, versenkt sie unbemerkt die Leiche im See und beseitigt alle Spuren.
Das nun schon äußerst wackelige Idyll droht endgültig zusammenzubrechen, als ein zwielichtiger Mann auftaucht und 50.000 Dollar fordert. Das ist der Preis für eine Videokassette, die Beau und den Nachtclubbesitzer beim Sex zeigt und aus der die Polizei sicher ihre (vermutlich falschen) Schlüsse ziehen würde.
Margarets verzweifelter Versuch das geforderte Geld aufzutreiben scheitert. Doch anstatt kaltblütig seine Drohung wahr zu machen, wird der Erpresser Alek unverhofft
zum (Lebens)Retter des Familienglücks und bald steht er mehr auf der Seite seines Opfers als auf der seines Geschäftspartners. Stockholm-Syndrom einmal andersherum.
Der zweite Erpresser hat leider kein Verständnis für die plötzlich erwachte »Nächstenliebe« seines Kollegens, weshalb eine weitere Konfrontation unausweichlich ist.
Die klassischen Spannungselement, die man bei einer solchen Story erwartet, sucht man bei The Deep End vergeblich. Selbst die knappen Fristen, die man Margaret zum Besorgen des Geldes setzt, werden nicht zum hektischen Wettlauf gegen die Zeit, sondern verstreichen ganz unspektakulär.
The Deep End bezieht seine Spannung vielmehr aus den immer wieder wechselnden Verhältnissen und der Frage, wie die einzelnen Personen auf diese
Veränderungen reagieren werden. Triebfeder des Ganzen ist die in jeder Hinsicht gestörte Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Die Menschen wollen, können, sollen oder dürfen nicht miteinander reden. Ständig werden Gespräche unter- bzw. abgebrochen oder kommen erst gar nicht zustande. Wo aber keine Informationen ausgetauscht werden, da wird spekuliert, sich etwas zusammengereimt und vermutet.
Der Zuschauer selber kann sich diesem Rätseln und Vermuten nicht entziehen, da die Hintergründe und Motivationen der einzelnen Figuren nicht wie üblich offen ausgebreitet werden. Hier (wie auch in vielerlei anderer Hinsicht) ist der Film angenehm ehrlich und realistisch. Denn wie in der Wirklichkeit, weiß man hier oft nicht, warum Menschen so und nicht anders handeln, warum etwa der Erpresser Alek plötzlich die Seiten wechselt. Vielleicht weil er in Margaret verliebt ist, vielleicht weil er die Familie nicht zerstören will, vielleicht weil er von seinem kriminellen Vorhaben angewidert ist. Der Film bietet hier Raum für eigene Deutungen, ohne aber dadurch lückenhaft oder unvollständig zu wirken.
So hintergründig wie in The Deep End die Spannung verteilt ist, so subtil ist auch die visuelle Umsetzung. Als wäre es eine Hommage an Krzysztof Kieslowskis bekannte Trilogie, bestimmen die Farben Rot, Blau und Weiß das Geschehen. Immer wieder heben sich Gegenstände in diesen Farben deutlich ab. Trotzdem fällt es schwer, die Farben definitiv einer konkreten Figur, Stimmung oder einem bestimmten Handlungsstrang zuzuordnen.
Ziel dieser Farbdramaturgie ist
es vielmehr, den Zuschauer dazu zu bewegen, noch genauer hinzusehen, anstatt auf gefällige Erklärungen zu warten. Manchmal sagt ein feuerroter Mantel eben mehr als tausend Worte.
Aus den durchgehend guten schauspielerischen Leistungen sticht einmal mehr Tilda Swinton hervor. Während andere Schauspielerinnen aus der Rolle der Margaret entweder eine heldenhafte Übermutter oder aber ein hysterisch verzweifeltes Opfer gemacht hätten, wählt Tilda Swinton den vermeintlich einfachen Weg, eine ganz normale Frau mit Schwächen und Stärken zu zeigen. Dass aber gerade in der glaubhaften Darstellung des Normalen (noch dazu in außergewöhnlichen Situationen)
eine besondere Herausforderung liegt, wird oft zu wenig gewürdigt.
Überaus bemerkenswert aber auch Goran Visnjic in der Rolle des undurchsichtigen und wankelmütigen Erpressers Alek Spera. Wenn er sich neugierig in der musterhaften Küche der Musterfamilie Hall umsieht und das perfekt vorbereitete Abendessen entdeckt, dann quittiert er das mit einem sonderbaren Lächeln, das sowohl wehmütig als auch verächtlich sein kann. Das zu deuten, bleibt die interessante Aufgabe des
Zuschauers.
Wer damit überfordert ist oder wer im Kino Antworten anstelle von Fragen sucht, der ist wohl besser mit einem Film wie Sag' kein Wort (Don’t Say A Word) bedient. Dort wird Michael Douglas erpresst, was, dem Titel des Films zum Trotz, nicht still und leise, sondern laut und hektisch geschieht. Am Ende von Sag'
kein Wort sind wirklich alle Fragen beantwortet und die Opfer des Verbrechens wurden durch den gemeinsamen Kampf gegen das Böse zusammengeschweißt.
Am Ende von The Deep End trösten sich zwei Menschen, die beide viel verloren haben und die jeweils (zu Unrecht) von der Schuld des anderen überzeugt sind. Sie sprechen diese Vorwürfe nicht offen aus, weshalb ihr Verhältnis nie mehr so sein wird wie zuvor. Die Fragen bleiben hier nicht nur offen, sie werden gar
nicht erst gestellt.