District 9

Südafrika/NZ 2009 · 112 min. · FSK: ab 16
Regie: Neill Blomkamp
Drehbuch: ,
Kamera: Trent Opaloch
Darsteller: Sharto Copley, David James, Jason Cope, Vanessa Haywood, Nathalie Boltt u.a.
Sharlto Copley – Fremder unter Fremden

Einer ist immer das Schwein

Altbe­kannte Bilder und Ängste. Eines dieser unfass­baren Raum­schiffe dröh­nender mensch­li­cher Allmachts­fan­tasie setzt sich über einer ebenso dröh­nenden mensch­li­chen Megacity fest. Ein hastiger, semi­do­ku­men­ta­ri­scher Prolog überführt die aus unzäh­ligen SF-Filmen bekannten schlimmsten Erwar­tungs­hal­tungen jedoch schnell in eine fast ebenso schlimme und nur allzu bekannte Realität: Die Aliens – nichts anderes als verwirrte, nach Katzen­futter gierende Asylanten, nicht Space, nein: Boat People, die statt der Küsten Italiens und Spaniens, sich das mindes­tens ebenso xeno­pho­bisch vorbe­las­tete Johan­nes­burg ausge­sucht haben – provo­zieren schon bald die ersten frem­den­feind­li­chen Ausschrei­tungen. Und verwan­deln die bekannten Bilder und Ängste in etwas ganz Neues, Über­ra­schendes. Und das ist erst der Anfang.

Was Regisseur Neil Blomkamp und sein Co-Autor Tery Tachell dann folgen lassen, über­schreitet die im Prolog schon anzi­tierten und glei­cher­maßen gebro­chenen Stereo­typen noch einmal. Ein bis in die Namens­ge­bung altbu­risch und damit zumindest histo­risch die südafri­ka­ni­sche Apartheid legi­ti­mie­render Held, Wikus van der Merwe (Sharlto Copley), bekommt die Verant­wor­tung über­tragen, District 9, in dem sich die Aliens fest­ge­setzt haben, mit para­mi­litä­ri­schen Einheiten zu räumen. Eine Zwangs­um­sied­lung, die fast spie­le­risch nicht nur deutsche NS-Erin­ne­rungen wieder aufleben lässt, sondern auch auf ein düsteres Kapitel südafri­ka­ni­scher Geschichte anspielt: die 1966 erfolgte Zwangs­räu­mung eines ganzen Stadteils von Kapstadt, des District 6, der zur »Whites Only«-Zone erklärt wurde. Van der Merwe verstrickt sich jedoch durch eine Gen-Konta­mi­nie­rung mit Alien­sub­stanz zunehmend in Wider­sprüche und taumelt wie Griffin Dunnes in Scorseses After Hours mal Slapstick, dann wieder Erkenntnis-betont einem zunehmend span­nungs­ge­la­denen Ende entgegen und steht am Ende fast ein wenig wie die Figur eines alten südafri­ka­ni­schen Buren­witzes da, die ebenfalls van der Merwe heißt und nicht nur wegen des notorisch schlechten Englisch der Afrikaans (ein hollän­di­scher Dialekt) spre­chenden Buren gern von den »Englän­dern« im Land erzählt wird: Van der Merwe rast in seinem neuen Wagen die Land­strasse des Oranje Free­states entlang, übertritt jede Geschwin­dig­keits­be­gren­zung und sieht nur nach vorne. Die Kolonne von Poli­zisten, die ihm schon bald folgt, bemerkt er erst, als ihm die Poli­zisten aus ihren offenen Wagen­fens­tern zuschreien: »Pull over, pull over!« (Fahr an die Seite, halt an!). Van der Merwe guckt etwas irritiert an sich herab und entgegnet dann: »Aber nein, nein, das ist doch eine Tweed-Jacke!«

District 9 funk­tio­niert dabei kongenial auf allen Ebenen: Er ist Komödie bis zur Groteske, wenn van der Merwe die Razzien im District leitet und mensch­liche Tragödie, wenn er spürt, dass er mit jedem Schritt auf die Aliens nicht nur seinen Freunden, sondern sich selbst zum Feind wird. Er ist poli­ti­scher Thriller, wenn deutlich wird, welche wirt­schaft­li­cher Inter­essen hinter den Zwangs­um­sied­lungen und der Jagd auf van der Merwe stehen. Und befrei­ende, perfekt insze­nierte Hollywood-Action, wenn es an der Zeit ist, dass auch ein gebro­chener Held ein wenig Anmut braucht.

Und nicht zuletzt, aber in feinsten Unter­tönen ist District 9 ein intel­li­genter Film. Gedreht Mitte 2008 in Johan­nes­burg, als nur wenige Kilometer von den Dreh­ar­beiten entfernt in einigen Townships die Jagd auf reale Aliens, Fremde, Einwan­derer aus den umlie­genden afri­ka­ni­schen Ländern gemacht wurde, geht Blomkamp in District 9 weit über die einfache Anklage dieser sich immer wieder und überall glei­cher­maßen wieder­ho­lenden Muster hinaus. Er skizziert pointiert die undurch­läs­sigen Rassen­hier­ar­chien- und Mecha­nismen nicht nur des modernen Südafrika und das es immer wen gibt der schwarzer, reicher, ärmer, dümmer oder klüger als man selbst ist und deshalb ausge­grenzt, geschlagen und wenn nötig, auch vernichtet werden muss. Darüber hinaus aber deutet Blomkamp auch an, dass eine fried­liche Koexis­tenz unter­schied­li­cher Ethnien nur unter Vorbehalt möglich ist. Weil auf das Fremde sich einzu­lassen meistens auch bedeutet selbst zum Fremden zu werden.