Frankreich 2001 · 99 min. · FSK: ab 0 Regie: Josée Dayan Drehbuch: Josée Dayan, Gilles Taurand Kamera: Caroline Champetier Darsteller: Jeanne Moreau, Aymeric Demarigny, Christiane Rorato, Sophie Milleron u.a. |
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Jeanne Moreau und Aymeric Demarigny |
Fünf Jahre lang schrieb er ihr, fünf Briefe die Woche. Dann hörte der Student auf, ihr, der Schriftstellerin, zu schreiben. Marguerite Duras ruft Yann Lemée an und bittet ihn um ein Treffen. Die letzten sechs Lebensjahre der Duras bleiben sie zusammen, als ungleiches Liebespaar, bis Marguerite 1996 stirbt. Er begleitet als Weinbeschaffer ihre Alkoholexzesse, erduldet ihre Ausbrüche von unvorstellbarer Selbstüberhöhung, läßt sich als »Doppel-Null« beschimpfen. Schreibt auf, was sie ihm diktiert, und vielleicht folgte Yann nur dem Geheiß der Gebieterin, wenn er nach ihrem Tod unter dem nom de plume Yann Andréa beginnt, diese letzten sechs Lebensjahre, die Zeit der Intimität mit der um 30 Jahre älteren grande dame der französischen Literatur niederzuschreiben. »Du mußt ein Buch schreiben. – Ich werde der Gegenstand deines Buches sein.«
Cet amour-là (Diese Liebe) nennt Andréa nonchalant die Geschichte, und Josée Dayan gelingt es in ihrer gleichnamigen Verfilmung, die Beiläufigkeit, die im Titel anklingt, in Szene zu setzen. Die außergewöhnliche Liebesbeziehung zwischen einem dahergelaufenen Studenten und der großen Autorin des Nouveau Roman findet sich in einer Normalität wieder, wenn über den Geschmack des Essens gesprochen wird und über die Frage, ob noch Wein im Hause ist. Auch die herausgehobene Situation, wenn Duras Yann ihre Romane diktiert, setzt eine Alltäglichkeit des Schreibens jenseits aller Mystifizierung in Szene, deren Kernfrage lautet: »Wie hieß doch gleich der letzte Satz?«
Dayan kadriert aus einer Distanz hinter dem Schreibtisch; eine Atmosphäre von beobachteter Intimität zwischen der Schriftstellerin und dem Aufschreibenden verbreitet sich, die in den parallelmontierten Close-Ups der Gesichter fortgeführt wird. Sie blenden den äußeren Raum aus und entfalten das Ich-Du eines dialogischen Lebens, das ganz in Liebe und Literatur aufgegangen ist.
Zu leben heißt hier zu schreiben, und die Gespräche zwischen Duras und Yann kreisen immer wieder um die Frage: Wie ist es möglich, über etwas zu schreiben, wenn es kein Leben außerhalb des Schreibens mehr gibt? Wenn es so in eins fällt, daß nur noch der Schreibprozeß das Leben aufrecht erhalten kann, dessen insgeheimer Motor wird, und nicht mehr das Leben das Schreiben speist?
Dennoch gibt es ein Außerhalb der Literatur, das immer wieder durch die Liebesbeziehungen in das Leben der Duras eindringt, was nicht zuletzt ihre intimistischen, autobiographischen Romane begründet. So kommt Yann, von dem rein gar nichts bekannt wird, außer daß er einen Fluchtpunkt in Paris hat und später eben jenes Buch über die Liebe mit der Duras schreiben wird, aus diesem ganz fremden Außerhalb der Literatur, von »Outside«, wie Josée Dayan Duras sagen läßt. Oder vielmehr Jeanne Moreau sagen läßt, die Duras spielt, mit forciertem französischen accent, wenn sie »Outside« sagt, und das Außen dadurch noch fremder werden läßt.
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Diese Beziehung eines eingeweihten Innen und eines unzugehörigen Außen setzt sich über die Gegenüberstellung von Jeanne Moreau mit dem noch unbekannten Aymeric Demarigny auf einer Metaebene des Films fort. Dadurch ergibt sich auf Besetzungsebene ein uneinholbares Bedeutsamkeitsgefälle zwischen dem unauffälligen Schauspieler und der Leinwand-Ikone Jeanne Moreau, die die Ungleichheit zwischen dem Studenten und der Prix-Goncourt-Preisträgerin wiederholt. Die Geschichte greift hier auf die Ebene der mise en scène über, was für den Film folgenreich wird.
Denn durch Jeanne Moreau in der Rolle der Duras ergibt sich eine prekäre figurale Kollision. Zu bekannt ist ihr Gesicht, zu unvergessen ihr regloser Ausdruck in Antonionis La Notte oder ihr Gehen, das Louis Malle in Fahrstuhl zum Schafott als eines ihrer Markenzeichen entdeckte. Jeanne Moreau spielte in ihren bedeutsamen Filmen niemals eine andere Namensgröße, sie konnte ihre Rolle stets so performieren, daß sie zur Ikone Jeanne Moreau wurde. Ihre Ikonizität aber steht wiederum gegen das gelingende Rollenspiel. So kann hinter der schweren Hornbrille, die als Duras-Maskierung herhalten muß, und die Moreau übrigens auffällig oft absetzt, niemals wirklich die Duras stecken. Und »wirklich« meint hier die illusionäre Wirklichkeit des Kinos.
Die Tatsache, daß es immer Moreau ist, der wir zusehen, und eben niemals Duras, führt den Film in eine unaufhebbare Differenz zwischen behaupteter Darstellung und vorgetragener Visualität. Hier, wo das Rollenspiel zusammenbricht, wird die Grenze der Inszenierbarkeit von dokumentarischem Substrat sichtbar, wenn es sich in der Visualität verfängt. Zugleich aber kann man schon fast von der Notwendigkeit sprechen, daß Moreau Darstellerin von Duras wurde: Hier eine, wenn auch nie eingemeindete Größe des Nouveau Roman, dort eine Ikone der Nouvelle Vague, die sich in den letzten bekannteren Filmproduktionen wie beispielsweise Hundert und eine Nacht (Les cent et une nuits de simon cinema, 1995) meist sich selbst spielte.
Dann gibt es noch Duras, die Drehbuchautorin von Hiroshima, mon amour und selbst Filmemacherin. Inmitten der figuralen Kollision, in der die dargestellte Duras eben immer auf Moreau zurückführt, ergibt sich ein Wechselspiel zwischen inhaltlicher und darstellerischer Ebene: Moreau und Duras erlebten beide ihre künstlerische Anfangszeit in den 50er / 60er Jahren. Das Medium Wort, personalisiert in Duras, wechselt in das Medium Bild, ikonographisch repräsentiert in Moreau, die über die Metaebene Film indirekt immer auch auf Duras, jetzt Filmautorin der Nouvelle Vague, verweist. Mit der Wahl der Jeanne Moreau wird nicht nur die Literaturgeschichte, sondern vor allem auch die Filmgeschichte lebendig.