Türkei/F/I 2008 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Nuri Bilge Ceylan Drehbuch: Ebru Ceylan, Nuri Bilge Ceylan, Ercan Kesal Kamera: Gökhan Tiryaki Darsteller: Yavuz Bingöl, Hatice Aslan, Ahmet Rifat Sungar, Ercan Kesal, Cafer Köse u.a. |
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TürkDigiColour: Wohlfeile Formensprache |
Seine Augen sagen mehr als tausend Manifeste. Es ist der Blick dieses Mannes, der einen noch begleitet, wenn man das Kino schon lange verlassen hat: Ein Gatte wirft ihn auf die ungetreue Frau, kurz bevor diese sich anscheinend vom Balkon stürzen will; und als er sie zurückhält, kann man nicht sicher sein, ob er das nicht nur deshalb tut, weil der Selbstmord für sie noch die einfachste Ausflucht wäre, weil sie noch mehr leiden wird, wenn sie weiterleben, und seinen Blick über Jahre aushalten muss.
Nuri Bilge Ceylans beziehungsreicher Gefühlsthriller Drei Affen (Üç Maymun) der im vergangenen Jahr beim Filmfestival in Cannes mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet wurde, beginnt wie ein Krimi von Simenon oder Chabrol: Regen, ein Auto rast durch die Nacht, ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, der einen Unfall auslöst – am nächsten Morgen bezahlt der Verursacher Servet, ein erfolgreicher Politiker, der gerade um seine Wiederwahl kämpft, seinem Fahrer Eyüp einen Batzen Geld dafür, dass der für ihn Unfall und Fahrerflucht übernimmt, und die Gefängnisstrafe absitzt. Doch die Verdorbenheit der Bourgoisie oder die Klassengesellschaft stehen dann keineswegs, wie es bei Chabrol der Fall wäre, im Zentrum von Drei Affen, sondern das, was die falsche Schuld mit der Familie des Fahrers macht, wie sie sich Stück für Stück in tatsächliche Schuld verwandelt.
Während Eyüp in der Haft sitzt, blühen seine ihm längst entfremdete Frau Hacer und Sohn Ismail, ein Tunichtgut, befreit durch die Abwesenheit des Patriarchen, spürbar auf. Hacer lässt sich ausgerechnet zu einer Affaire mit dem Chef ihres Mannes hinreißen, und der desorientierte Sohn kommt bald hinter das Geheimnis der Mutter. Als der Vater nach verbüßter Haft wieder zurückkehrt, und die Mutter sich scheinbar vom Liebhaber nicht lösen kann, bringt der Sohn diesen um. Zugrunde liegt dem eine nichtbewältigte ältere Schuld, und es liegt nahe, dass Ceylan hier auch von einer verdrängten Schuld der türkischen Gesellschaft spricht.
Mit erlesenen, manchmal fast etwas zu wohlgestalteten Bildern, hat Ceylan, zur Zeit einer der führenden türkischen Filmemacher und der international erfolgreichste, sein trostloses Familiendrama inszeniert. Die Wolken ziehen hier nicht vorüber, sie hängen vielmehr ständig am ausgewaschenen, variantenreich bleichen Himmel, überaus malerisch – wie man allerdings zugeben muss – über konstrastverschärften, digital gefilmten und nachcolorierten Meeresansichten. Das steht für die Düsternis, die hier auch zwischen den Menschen herrscht. Titelgebend ist die japanische Fabel von den drei Affen, die nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – während dies in Japan großzügig interpretiert wird als Ausdruck der Weisheit, des klugen Übersehens von Schlechtem, gilt es im Westen als Schwäche: Die Unfähigkeit, mit der Wahrheit umzugehen und sie mitzuteilen. Im Zentrum des Films steht diese Auffassung, steht Unausgesprochenes und tiefe Abgründe der Kommunikationslosigkeit. Immer wieder schafft Ceylan stilisierte Momente zäh und bedeutungsträchtig in die Länge gezogener, spannungsvoller Stille, in denen sich die drei Familienmitglieder minutenlang wortlos in einem Raum aufhalten, sich an die Wand drücken, oder auf einem Stuhl sitzend stumpf vor sich hinbrüten, und einander anschweigen – und wenn die Spannung sich doch mal entlädt, dann in Form häuslicher Gewalt, eines kurzen Schimpfworts, oder hastigen Hinausstürzens auf die Straße mit ihrer frischen Luft.
Ceylans Film ist vor allem eine Auseinandersetzung mit den sich wandelnden Vorstellungen von Männlichkeit in der Türkei, die das dortige Kino stellvertretend für den Rest der Gesellschaft gerade austrägt. Eine ganze Welle von Filmen nimmt die Rolle der türkischen Männer und den Abschied von altgewohnten Verhaltensweisen in den Focus.
Ceylan hat da keineswegs eine entschiedene oder gar progressive Position – im Gegenteil: Seinem Fahrer und Familienvater Eyüp,
einem angepassten, daheim gewalttätigen Untertan und im Grunde sadomasochistischen Charakter, wie ihn Fassbinder nicht boshafter hätte erfinden können, bringt der Regisseur überraschend viel Sympathie entgegen. Und doch zeigt er dann anhand dieser zugleich frustrierten wie selbstgerechten Figur, der sich nur durch böse Blicke oder Schläge mitteilen kann, genau die Grenzen des männlichen Selbstmitleids, entlarvt Männergewalt als verkappte Ohnmacht.
Der Auftraggeber Servet
ist ein Politiker mit deutlich opportunistischen Zügen, zugleich klar im alten Establishment der Atatürk-Nachfolgeparteien verortet. Und der Sohn ein Repräsentant jener jungen Männer, deren traditionelle soziale Position längst unrettbar in Frage gestellt ist. Faul, aber um große Worte nie verlegen, auch von der Gesellschaft nicht mit vielen Chancen gelockt, leben sie zuhause bei ihren Eltern in den Tag hinein, als zutiefst frustrierte ewige Paschas, längst erwachsene Kinder.
Alle drei sind Männerfiguren, die in ihren angestammten Rollen erschüttert werden. Allen dreien bleiben nur die Fetische »Anstand«, »Sitte« und »Ehre« – ein pessimistischer Einblick in eine autoritäre Gesellschaft.
Ceylan findet eine künstlerische Form, um einen Thesenfilm zu vermeiden. Hierin ähnelt das, was er in seinen Filmen – Clouds of May (Mayis Sikintisi, 1999), Distant (Uzak, 2002) und Climates (Iklimler, 2006) – zeigt, wie auch die Werke seiner Kollegen Semi Kaplanoglu (Eggs / Yumurtha und Milk / Süt) und vor allem Reha Erdem (zuletzt Times and Winds und Hayat Var / My Only Sunshine) dem, was die Deutschen aus dem Kino der 60er kennen: Eine zögerliche, fast schüchterne, aber oft berührende Entdeckung der Welt. Das Finden einer Sprache für Gefühle und Erfahrungen, die bis dahin noch keine Namen hatten. Zugleich macht auch er selbst sich der Sprachlosigkeit und Monotonie schuldig, die er in seinen Figuren beschreibt. Sie sind ausgedachte, symbolische, passive Wesen, in die der Betrachter viel, manchmal alles hineininterpretieren kann. Aber sie sprechen nie zurück.