F/E/B/PA 2014 · 120 min. · FSK: ab 16 Regie: Andrea di Stefano Drehbuch: Andrea di Stefano Kamera: Luis David Sansans Darsteller: Josh Hutcherson, Benicio Del Toro, Brady Corbet, Claudia Traisac, Ana Girardot u.a. |
||
Gefährliches Schillern |
Die Geschichte hört sich denkbar einfach an: der Surfer Nick (Josh Hutcherson) verliebt sich Anfang 1991 nicht nur in die Strände Kolumbiens, sondern auch in Maria (Claudia Traisac). Als er merkt, dass Maria nicht nur schön, sondern auch die Nichte eines der reichsten und skrupellosesten Kriminellen der Welt ist, des Drogenbarons Pablo Escobar (Benicio del Toro), versucht er irritiert das Beste daraus zu machen. Doch Escobar – Paradise Lost ist alles andere als eine einfache Geschichte.
Denn Andrea di Stefano, der bislang ausschließlich als Schauspieler hervortrat (Before Night Falls), beschränkt sich in seinem Regiedebüt nicht nur auf die Liebesgeschichte und den bösen Onkel. In einer großen erzählerischen Klammer fügt er stattdessen skizzenhaft die Atmosphäre eines klassischen »Failed State« (1) hinzu, eine Skizze, die eindringlich vermittelt, welche sozialpolitischen Auswirkungen es haben kann, wenn 3% der Bevölkerung 97% der Ländereien und Rohstoffe eines Landes besitzen. Eine ideale Grundlage schließlich auch für den aus ärmsten sozialen Verhältnissen stammenden Escobar, der die Vetternschaft, den Klientelismus und die Korruption des kolumbianischen Staates mit Leichtigkeit für sein Drogenkartell zu nutzen weiß. Auch politisch, denn bis zu Schluss ist Escobar nicht nur Krimineller, sondern auch Robin Hood, der den Armen die Krankenhäuser und Schulen baut, die der Staat ihnen verweigert hat. Ein Umstand, der ihn bis zum Ende immer wieder zum Vorteil gereichen wird, als ihn die Bevölkerung von Medellin vor seinen Verfolgern beschützt.
Di Stefanos konzentriert sich allerdings nicht auf diesen Schlusspunkt von Escobars Leben, das schließlich mit einem legendenumwobenen Tod 1993 enden wird, sondern zeigt Escobar noch auf dem »legalen« Höhepunkt seiner Karriere, dem schillernden Leben auf Escobars Hacienda Nápoles und einem perfektionierten Drogengeschäft, das sich, vor allem durch die Verzahnung von industrieller Produktion und globalisiertem Vertrieb auszeichnet. Benicio del Toro vermittelt in seiner Rolle als Escobar kongenial die Komplexität eines Charakters, dem nicht nur ein fast instinktives böses Ich zur Seite steht, sondern der in seiner katholisch-religiösen Hingabe, der zelebrierten Erinnerung an seine Kindheit in Armut und als Familienmensch gefährlich schillert und Nick, den Menschen aus einer anderen Welt und Kultur nicht nur korrumpiert, sondern auch zu bezaubern versteht. Josh Hutcherson, der bereits in Tribute von Panem eine ähnliche »Schattenrolle« zu verkörpern hatte, brilliert auch hier mit einer ungewöhnlichen Facettenmixtur aus devoten Zweifeln, Naivität und Entwicklungshunger und macht damit vor allem deutlich, wie unmöglich es ist einen »Failed State« von außen zu beurteilen; wie schwer es ist, sich gerade innerhalb der wohlhabenden Parallelwelten gegen eine Übermacht an Korruption zu wehren und wie gnadenlos eine Gewaltspirale in Bewegung gerät, versucht man sich gegen die bestehenden Zustände dann doch einmal zu wehren.
Dass die Liebesgeschichte in diesem moralischen Sumpf hin und wieder mehr Vehikelcharakter als wirkliche Textur besitzt, ist schnell verziehen, denn mit seiner düsteren, politischen Brisanz, die sich spielerisch auf das gegenwärtig nur allzu bedrückende Problem (2) von »Failed & Fragile States« wie Syrien, Jemen oder Irak übertragen lässt macht Escobar diese Defizite genauso spielerisch wieder wett.
Zum Thema:
(1) Fragile States Index Rankings 2014
(2) »Bedrückend« an der Situation ist dabei weniger die allgegegenwärtige Gewalt als eine generationsübergreifende, historisch »gewachsene« Spirale, wie sie Daron Acemoglus und James A. Robinsons »Why Nations Fail – The Origins of Power, Prosperitiy, and Poverty« nachweisen.
Statt der von di Stefano gewählten Aussenperspektive lohnt sich unbedingt der die Innenperspektive wählende Dokumentarfilm Sins Of My Father von Nicolas Entel, in dem Escobars Sohn, der heute mit geändertem Namen in Argentinien lebt, die Geschichte seines Vaters
erzählt.