Deutschland 2016 · 78 min. · FSK: ab 6 Regie: Christoph Schuch Drehbuch: Christoph Schuch Kamera: Rainer Krausz, Christoph Schuch Schnitt: Rainer Krausz |
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Metapher für Europa: Luftblasen vor Fortschritt |
Die Wahl von Donald Trump in den USA, der Brexit und der starke Vormarsch rechtsgerichteter Populisten in vielen Ländern der EU sind unübersehbarere Symptome für die Erschütterungen, welche heute weite Teile des »freien Westens« erfasst haben. In Europa – Ein Kontinent als Beute zeigen Christoph Schuch und Reiner Krausz, wie die neue neoliberale Weltordnung immer stärker die Demokratie aushöhlt.
So weist der Europa-Abgeordnete Fabio De Masi in dem Film auf die große Gefahr hin, dass bei einem Versagen der aktuellen linken Regierung in Griechenland die Nazis – wie einst in Deutschland – die Macht übernehmen könnten. Angesichts solcher Zustände fällt es schwer zu glauben, dass die Demokratie einst im 5. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland erfunden wurde. In Europa – Ein Kontinent als Beute spüren die Filmemacher den Ursachen der erschreckenden aktuellen Verwerfungen nach.
Die Hauptgesprächspartner der Dokumentarfilmer sind neben dem Europapolitiker Fabio De Masi, der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser sowie – eine überraschende Wahl – der deutsche Börsenmakler und Dax-Experte Dirk Müller. Darüber hinaus berichtet die Politikaktivisten Paula Gil über die verheerende aktuelle wirtschaftliche Lage in Portugal, während die Spanier Teresa Galindo und Miguel Angel Ferris über die Ursachen der heutigen extremen Verschuldung der Stadt Valencia aufklären.
Dabei entsteht das Bild eines Europa, in welchem ein Verbund aus mächtigen Wirtschaftsfunktionären und korrupten Politikern die Demokratie als einen unliebsamen Störfaktor wahrnimmt, den es möglichst klein zu halten gilt. In diesem Zusammenhang verweisen sowohl der Historiker Daniel Ganser als auch der Börsenmakler Dirk Müller auf das Hegemonialstreben der USA hin, wie es ganz offen in dem Buch »Die einzige Weltmacht« des jahrzehntelangen US-Beraters Zbigniew Brzezinski dargelegt ist. Fazit: Ein wirklich starkes Europa gilt es mit allen Mitteln zu verhindern.
Fabio De Masi beschreibt eindringlich, mit welcher ungeheuren Arroganz die Vertreter großer Konzerne in Brüssel unverhohlen politischen Einflus üben, und Teresa Galindo und Miguel Angel zeigen, wie zehn Jahre an größenwahnsinnigen Prestigeprojekten die Stadt Valencia praktisch in den Ruin getrieben haben. Am bekanntesten ist die futuristische »Stadt der Künste und der Wissenschaften« des gebürtigen Valencianers Santiago Calatrava. Der spektakuläre Gebäude- und Parkkomplex war einst als das Symbol eines modernen Valencias konzipiert. Doch nur wenige Valencianer verschlägt es an diesen Ort.
Beliebt sind die spacigen Gebäude heute vor allem bei Touristen und bei Creativ Directors. In ihren Hochglanzwerbeanzeigen sieht man auch nicht, dass nach knapp 20 Jahren bei vielen Bauten bereits der Putz abblättert. Allein die mittlerweile notwendig gewordenen Renovierungsarbeiten verschlingen Millionen. Das Geld fehlt der Stadt bei der Errichtung neuer Schulen. Aber nicht nur das: Teresa Galindo verweist zudem auf den in ihrer Heimatstadt grassierenden Trend, immer mehr öffentliche Gelder in den Ausbau privater Schulen umzuleiten. Doch Letztere seien angesichts der in Spanien weiterhin herrschenden Wirtschaftskrise selbst für viele Angehörige des Mittelstands zu teuer.
Europa – Ein Kontinent als Beute zeigt das Bild eines einst blühenden Kontinents, der innerhalb der letzten 20 Jahre durch den massiven Einfall skrupelloser Heuschrecken und weiterer Nutznießer der neuen neoliberalen Weltordnung zunehmend ausgesogen und dessen Demokratie dabei systematisch ausgehöhlt wird. Dieser Sachverhalt spiegelt sich in den farbentsättigten Bildern des Dokumentarfilms, der über weite Strecken fast wie ein Schwarz-Weiß-Film wirkt. Blühende Landschaften? Eher nicht. Selbst in fast idyllisch erscheinenden Szenerien ist ein latentes Unbehagen spürbar, das zusätzlich durch die unangenehm dissonante Musik verstärkt wird.
Europa – Ein Kontinent als Beute ist subtil und manipulativ zugleich. dabei gehen die Filmemacher häufiger auf geradezu subliminale Weise vor. So kommt ausgerechnet dann ein wenig mehr Farbe ins Bild, als die bunten Regenschirme der Blockupy-Demonstranten in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt am Main gezeigt werden. Diese werden wiederum bewusst mit den schwarzen Uniformen der Polizisten – als Vertreter einer restriktiven Staatsmacht – kontrastiert.
Aber das stärkste Bild für den aktuellen Zustand Europas finden die Filmemacher in Valencia selbst. Dort zeigen sie die Kuppel des 3D-Kinos »L’Hemisfèric«, das direkt einem Science-Fiction-Film aus den frühen 1970er-Jahren entsprungen sein könnte. Passend dazu schwimmen drei Personen in drei großen transparenten Plastikblasen auf dem vor dem Gebäude angelegten künstlichen See. In diesen Blasengebilden können die Menschen zwar bequem laufen, nur bewegen sie sich dabei kaum voran. Stattdessen drehen sich die Blasen nur auf der Stelle im Kreis, während sich ihre Insassen wie in einem Hamsterrad abstrampeln.