USA 1996 · 134 min. · FSK: ab 12 Regie: Alan Parker Drehbuch: Alan Parker, Oliver Stone, Andrew Lloyd Webber Kamera: Darius Khondji Darsteller: Madonna, Antonio Banderas, Jonathan Price, Jimmy Nail u.a. |
Sie wurde heiliggesprochen. Nicht von Papst Pius XII, der in der Tänzerin und Schauspielerin weit mehr eine Verkörperung des Leibhaftigen denn ein Aushängeschild des Christentums gesehen haben mag, sondern vom argentinischen Volk. Nicht umsonst nennt Tomás Eloy Martinez seinen Roman über die Märchenprinzessin der argentinischen Politik »Santa Evita«.
Heilige sind seltsam ambivalente Wesen. Sie geben sich verständnisvoll, hilfsbereit, suchen den Kontakt zum Volk. Aber irgendwie sind sie unnahbar. Auch Regisseur Alan Parker, der das Erfolgsmusical »Evita« von Andrew Lloyd Webber verfilmte, kommt nur schwer heran an Eva Duarte, verheiratete Perón. Ganz langsam muß er sich an sie herantasten. Umkreist mit der Kamera ihren aufgebahrten Leichnam auf der Suche nach ihrem Wesen, ihrem Geheimnis. Springt in die Vergangenheit, sucht nach dem Kind Eva. Findet aber keine unbekümmerte, unschuldige Eva. Auch in der Vergangenheit gibt es Tote zu beklagen – Evas Vater wird zu Grabe getragen. Die Kleine ist ein Bastard, ausgegrenzt und von daher verschlossen. Also zurück zur Leiche der jung verstorbenen Volksheldin und Vizepräsidentin Argentiniens, zweiter Versuch. Doch sie bleibt entrückt.
Näher als in dieser Anfangsszene kommt Alan Parker seiner Evita Perón im ganzen Film nicht. Er steht damit nicht allein. Ihr gesamtes Umfeld kann das zwiespältige Wesens Evitas nicht enträtseln: Mal spielt Madonna eine Heilige, mal eine Hure. Ungebildet und doch mit einem Gespür für die richtigen Entscheidungen. Straßenkind und Diva. Liebevoll-mitleidig, aber auch unbarmherzig. Auch Tomás Eloy Martinez weiß darum: »Sie war Aschenputtel. Sie war Robin Hood. Und sie war Dornröschen.«
Ein Mythos also. Selbst ihr Gatte Juan Perón, der sie vergöttert, wird nicht ganz schlau aus ihr. Wenn er gemeinsam mit Evita den Balkon des Präsidentenpalastes in Buenos Aires betritt und sie sich vom Volk feiern lassen, läßt Jonathan Price seinen Perón lächeln – huldig, wohlwollend, und doch verbirgt sich hinter dem Lächeln eine große Unsicherheit.
Alan Parker tut nichts, um diesen Mythos zu enträtseln, ihm auf die Spur zu kommen. Er hat nicht eigentlich einen Film gemacht. Sein Streifen Evita ist – da bleibt Parker sehr nah an Webbers Vorlage – ein Musical. Dialoge sind Mangelware, Meinungen werden nicht ausgetauscht. Madonna, Jonathan Pryce und Antonio Banderas singen ihre Figuren durchs Leben. Gefühl, Stimmung, Atmosphäre machen das Szenario aus. Und da kann das Medium Film dem Genre Musical gehörig unter die Arme greifen.
Träume und Erinnerungen können visualisiert und somit unmittelbarer gemacht werden. Rückblicke und Vorausschauen erhöhen die Redundanz des Genres Musical. Der Film kann zudem bei Massenszenen mit Tausenden von Statisten klotzen, wo auf der Musicalbühne ein paar Dutzend genug sein müssen. Die Liebe und Anhimmelung, die Evita von den Massen entgegengetragen wurde und der Schmerz über ihren Tod werden in der Potenzierung auf tausend Gesichter entpersönlicht und verstärken mithin den Mythos.
Wer sich aufgrund der vielen Massenaufmärsche unangenehm von Leni Riefenstahls Sieg des Glaubens und Triumph des Willens eingeholt fühlt, mag sich daran erinnern, daß auch die Politik des Ehepaares Perón nicht frei von faschistischen Elementen war. Daß Verehrung bis hin zum Führerkult ein zweischneidiges Schwert ist, erkennt auch der Film an.
Nun gibt es auch bei Verführern qualitative Unterschiede. Massen in Trance puschen, sie um den Finger wickeln – das macht auch Popstars aus. Hier kommen Eva Duarte de Perón und Madonna zusammen. Parkers Film über Evita ist auch ein Film über Madonna. Realität und Fiktion fallen zusammen. Louise Veronica Ciccone schuf Madonna, die Inkarnation millionenfacher Wunschvorstellungen. Und diese Madonna spielt Evita, der das gleiche Phänomen gelang.
Popstars sind universell, global. Das allerdings ist eine schwache Entschuldigung dafür, daß Webbers und mithin Parkers Evita mit Argentinien nicht umwerfend viel zu tun hat. Webber hat sich keine Mühe gegeben, dem Mythos einen individuellen Anstrich zu geben. Er hat Evita mit dem gleichen musikalischen Pomp zugekleistert wie all seine Protagonisten. Dabei zeichnet sich ein Mythos gerade durch seine Einmaligkeit aus.
Bleibt Ché. Antonio Banderas wandelt und hastet als Gespenst durch Evitas Argentinien. Er ist einer aus dem Volk, gehört aber nicht zu den Tausenden, die angesichts der Heilsbringerin Duarte in den geistigen Ausnahmezustand geraten. Und trotzdem begreift er nicht so recht, was vor sich geht. Dem Glanz von Evita ist der Revoluzzer nicht gewachsen. Sein Kampf ist ein vergeblicher, weil er nicht annähernd das Charisma der Perón hat: Ché als Don Quichote.