Slowenien 1997 · 78 min. · FSK: ab 0 Regie: Igor Sterk Drehbuch: Matjaz Pograjc, Igor Sterk Kamera: Valentin Perko Darsteller: Gregor Bakovic, Barbara Cerar, Grega Cusin, Lojze Rozman u.a. |
Nennen wir sie der Junge und das Mädchen. Ihre Namen sind vergessen, aber die sind auch nicht wichtig. Also der Junge und das Mädchen, oder vielmehr der junge Mann und die junge Frau. Eines Tages schneidert sich der junge Mann eine Hose aus dem Stoff einer Fahne, nimmt Geld aus seiner Kommode und bricht von zu Hause auf. Er nimmt den Zug. Der Zug ist überfüllt. Bauern, Taubstumme, Hühner, es wird gegessen, gelacht, gedrängelt, wild geredet. Dann ein freies Abteil, eine Insel der Stille. Nicht lange ist der junge Mann allein, dann kommt die junge Frau herein, eine kleine Kommode unter dem Arm. Bald verschwindet sie und kommt mit tropfnassen Socken in der Hand zurück. Spannt eine Leine im Abteil auf. Hängt die Socken auf. Der Schaffner kommt. Der junge Mann weiß nicht wohin er fahren wird, er fährt irgendwohin, also löst er erst mal ein Ticket zum nächsten Bahnhof. 130 Dinar werden gegen eine Zugfahrkarte ausgetauscht. Was aber nicht jeder machen möchte. Eine wilde Verfolgungsjagd durch den Zug, der Schaffner jagt einen, oder besser den Schwarzfahrer, denn er wird im Laufe des Filmes immer wieder auftauchen. Er wird gejagt, quer durch das Gedränge, hin und her und her und hin. Dann wird der Schwarzfahrer am Schlawittchen gepackt und aus dem Zug geworfen. Genau so. Die Fahrt geht weiter, neue Fahrkarten werden zu immer wieder nächsten Bahnhöfen gelöst. Das Geld hält die Fahrt in Gang. Aber eigentlich ist es die Liebe. Denn der junge Mann und die junge Frau sind füreinander bestimmt. Allein schon sehen sie sich ähnlich, und da ist noch die Kommode und die Verrücktheit, die beide verbindet. Und der junge Mann hat ihr ja auch schon geholfen, ihre nassen Hemdchen aufzuhängen. Dann steigt sie aus, und sie verlieren sich. Das Wasser, das aus den Socken troff, das sind jetzt die dicken Tränen des jungen Mannes, der ein Herz auf den Boden weint. Aber der Regen löscht den Schmerz, und mit dem Regen kommt die junge Frau zum Bahnhof des jungen Mannes gewandert. Jetzt haben sie sich wieder, und die Fahrt kann beginnen, die Liebesfahrt, in Gang gehalten nach alter Manier, durch das Geld, das gegen ein Ticket ausgetauscht wird.
In diesem Rail-Movie fährt die Zeit nicht mit. Sie ist irgendwo stehengeblieben, außerhalb der epischen Zeit, im Nirgendwo märchenhafter Poesie. Und poetisch geht es in Express, Express allemal zu. Erinnerungen an Kieslowskis Puppeneinspielungen tauchen auf, an die brachiale Lyrik von Kustorica, aber auch an die sentimentalen Liebesgeschichten eines Chaplin, gestärkt durch die Stummheit, in der sich die Liebesgeschichte vollzieht. Der Blick des Erzählens scheint immer rückwärts gewandt, materiell aufgerufen durch die rötliche Färbung des Films, normalerweise Indiz für ein alte, durch die chemischen Prozesse verfärbte Kopie. Der Stillstand der Zeit, das Außerhalb der Zeit findet seinen Höhepunkt in einer erzwungenen Unterbrechung der Fahrt. Sie wird genutzt für ein Fußballspiel zwischen den Heizern und den Schaffnern. Und wenn dann die fußball-begeisterten Fahrgäste vom Dach des stehenden Zuges aus »Express Express« skandieren, dann wissen wir, daß hier das genaue Gegenteil einer Fahrt inszeniert wird. Oder anders: das alte Thema der Lebensreise, bei der der Weg immer schon das Ziel ist.
Die heitere Beiläufigkeit des Erzählens und die Einfachheit der Geschichte tun dem Film gut. Sie schaffen es, daß hier kein plumper Sentimental-Kitsch erzählt wird. Express, Express dringt ganz in die Surrealität slowenischer Existenz ein. Der Zug ist ein Heterotop zur Welt der Seßhaften, heterochroner Schutzwall gegen die Umwälzungen der Geschichte. Er ist der Ort einer wunschhaften Existenz, in der die Träume noch wahr werden.
So muß denn also der
Betrachter bereit sein, sich von Express, Express mitnehmen zu lassen, und in eine Welt zu fahren, die ihm vielleicht ein wenig retro erscheint. Als »Aufruf zur Phantasie« erinnert sie an die Stimmung der friedensbewegten 80er Jahre (Stichwort: Peppermint Frieden). Nicht zu vergessen aber ist, daß die politische Vision ihre Wurzeln im Surrealismus hat.
Und dann
darf im Kino getrost wieder einfach nur geträumt werden.