USA 2017 · 109 min. · FSK: ab 0 Regie: Carlos Saldanha Drehbuch: Erica Rivinoja, Ian Southwood, J. David Stern, David N. Weiss Musik: John Powell Kamera: Renato Falcão Schnitt: Harry Hitner |
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Ghandi lebt! |
Es ist ein schmales Büchlein, das der Verfilmung Ferdinand: Geht STIERisch ab! von Carlos Saldanha zu Grunde liegt. Und einer der großen Klassiker der anglophonen Kinderbuchliteratur. Wilbur Monroe Leafs 1936 erschienene »The Story of Ferdinand«, an nur einem Nachmittag niedergeschrieben, um seinem Freund und Illustrator Robert Lawson Gelegenheit zu geben, sein Talent beweisen, entwickelte sich das Buch nicht nur zu einem Bestseller, der sogar »Gone with the Wind« 1938 überflügelte, sondern auch zu einem Politikum. Da es kurz vor dem spanischen Bürgerkrieg erschien, wurde es von den einen als pazifistischer Gegenentwurf verstanden, andere warfen ihm hingegen vor, die Moral der jungen Generationen in den USA zu untergraben und Faschismus, Anarchismus und Kommunismus zu verbreiten. Hitler ließ es verbrennen, Stalin drucken, Thomas Mann lobte es und die Amerikaner ließen nach ihrem Sieg über Deutschland 30.000 Exemplare kostenlos an deutsche Kinder verteilen, um ein friedliches Miteinander zu fördern. Und auch Disney kümmerte sich schon schnell um eine Verfilmung im Stil seiner »Silly Symphonies« und hatte Erfolg – der 7-Minüter gewann 1938 einen Oscar für den besten animierten Kurzfilm.
Disney, Hitler, Stalin, Oscar – die Latte hängt nicht nur hoch, sondern deutet auch an, dass die Vorlage nicht nur vielseitig lesbar und in so gut wie jede Ideologiekorsett integrierbar ist, sondern auch voller Splitter steckt, an denen es sich nur allzuleicht verletzen lässt. Kein Wunder also, dass eins der großen Studios an den Start gegangen ist, dem nach Pixar und DreamWorks Animation dritten Studio, dem es bislang gelungen ist, ein erfolgreiches CGI- Franchise zu entwickeln. Die zu 20th Century Fox Filmed Entertainment gehörenden Blue Sky Studios schufen jedoch nicht nur ihr Franchise Ice Age (inzwischen in der 5. Generation), sondern waren auch mit Einzelablegern wie Rio und dem Peanuts-Film erfolgreich.
In dem für Blue Sky typisch bonbonartigen, farblich leicht überzeichneten und auf Schraffuren verzichtenden Stil ist auch Ferdinand gehalten und nach der seit Pixars Oben schon fast gewohnten Lebenslauf-Intro wird klar, dass Carlo Saldanha und sein Drehbuch- und Story-Team das ursprüngliche Material stark erweitern mussten. Denn erzählen die 7 Minuten von Disney tatsächlich das ganze Kinderbuch ohne große Auslasser, muss für Saldhanas 107 Minuten im Grunde eine ganz neue Geschichte erfunden werden. Es geht also nicht mehr nur um den kleinen und dann großen Stier Ferdinand, der einfach keine Lust hat eine Stierkampfstier zu werden, sondern lieber Blumen anschaut und riecht, sondern es geht nun auch um den kleinen Stier Ferdinand, der innerhalb seiner Peer-Group als Aussenseiter gehandelt wird und erst glücklich wird, als es ihm gelingt, die Stierzucht-Farm zu verlassen und eine eine neue Heimat zu finden, in der er das ausleben kann, was er liebt. Unterstützt wird er dabei von dem kleinen Mädchen Nina, für die Ferdinand zum über alles geliebten »Haustier« wird und selbst, als er schon sein Wettkampfgewicht als Stierkampfstier auf die Waage bringt, nachts nicht von ihrer Seite weichen darf.
Diese absurden, komischen und überraschenden Elemente bleiben auch erhalten, als Ferdinand sein »Paradies« verliert und seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden soll. Gerade in dem »maskulinen« Stierkampfumfeld wird dann noch einmal deutlicher, dass die moderne Adaption von »Ferdinand« sich eine der großen Stärken des Kinderbuchs zu eigen macht – die Überwindung gendertypischer Merkmale. Die kleine Nina mag lieber Stiere als Katzen und Ferdinand mag nicht nur Blumen lieber als den Heldenkampf in der Arena, sondern durchschaut auch schnell, dass das vermeintliche Heldentum auf einem Lügengebäude basiert.
Diese Botschaften sind zwar subtil eingeflochten, werden dann aber doch deutlich mit einer klaren Kritik am Stierkampf-Machismo der spanischen Kultur verwoben. Wohltuend ist dabei vor allem die Vermeidung einer auf der Hand liegenden historischen Verklärung. Denn spätestens über die liebevoll animierten Autobahnszenen und das Porträt des modernen Madrid wird auch dem kleinsten Kind schnell klar, dass auch heute noch Stiere in den Arenen Spaniens sterben.
Diese Gratwanderung zwischen Grauen und dem passiven, an Ghandi erinnernden Widerstand Ferdinands ist vielleicht das Überzeugendste an Saldhanas Film, der im Grunde eine ähnliche Geschichte erzählt wie der zeitgleich im Kino startende achte Teil der Star Wars-Saga, die des ewigen Widerstands. Mit dem wichtigen Unterschied, dass Ferdinand es gelingt, sein familiäres Trauma zu überwinden. Sich friedlicher Widerstand also allemal lohnt.