Funny Games

Österreich 1997 · 103 min. · FSK: ab 18
Regie: Michael Haneke
Drehbuch:
Kamera: Jürgen Jürges
Darsteller: Susanne Lothar, Ulrich Mühe, Frank Giering, Arno Frisch u.a.

Funny Games ist ein wichtiger Film. Denn er lehrt uns zwei Dinge: Intel­lek­tua­lismus muß absolut nichts mit Intel­li­genz zu tun haben; und das deutsche Feuil­leton ist stets bereit, begeis­tert auf wirklich jeden Dreck herein­zu­fallen, sofern sich selbiger nur penetrant genug präten­tiös gebärdet.

Für alle, die es noch nicht mitbe­kommen haben: Funny Games ist Michael Hanekes neueste, ach-so-tief­grün­dige Ausein­an­der­set­zung mit dem Phänomen der Gewalt. Und die sieht so aus: wohl­ha­bende Ein-Kind-Familie macht Urlaub im noblen Feri­en­wohn­sitz; zwei böse Buben in weißer Kleidung verschaffen sich Zutritt und beginnen, die Familie sadis­tisch zu quälen; böse Buben schauen in die Kamera, stellen Fragen an das Publikum und machen es damit wahn­sinnig betroffen; Familie ist tot, böse Buben klingeln an nächster Tür, Film ist aus; Haneke dreht nächste ach-so-tief­grün­dige Ausein­an­der­set­zung mit dem Phänomen der Gewalt.

Dabei geht es in Funny Games primär gar nicht wirklich um Gewalt: das eigent­liche Thema ist der Angriff der Popu­lär­kultur auf die Werte des wohl­ha­benden Bildungs­bür­ger­tums.
Wenn der Regisseur zu Beginn die Familie im Auto beim Opern­raten zeigt, so ist das leider ernst­ge­meint als Darstel­lung der heilen Welt, wie sie alle sofort als sympa­thisch zu erkennen haben. Und wenn dann gleich darauf Heavy Metal (vielmehr: John Zorns Aneignung des Metal-Idioms auf Meta-Ebene, denn den echten würde Herr Haneke als wahrer, deutsch­spra­chiger Intel­lek­tüller nicht mit Asbest-Ohren­s­töp­seln anfassen) vom Sound­track dröhnt, dann erwartet der Film von uns, daß wir das unmit­telbar als Zeichen der Bedrohung deco­dieren.
Daß jemand, der seine Film­fi­guren auch in extremsten Situa­tionen noch reinstes Schrift­deutsch sprechen läßt (da fehlt bei keinem Imperativ das 'e', da heißt es immer »Helfe mir!«), keinen Zugang zu Beavis & Butthead findet, ist ja durchaus einleuch­tend. Das Traurige ist aber, daß die Verehrung für die Helden der »Hoch­kultur« keinem tieferen Vers­tändnis entspringt, sondern lediglich ein ange­lerntes, inhalts­leeres Schema erfüllt. Wer, wie Haneke, Mozarts Klari­net­ten­quin­tett benutzt, um Bilder bürger­li­chen Wohl­stands emotional zu veredeln, enttarnt sich und beweist, daß ihm der Gehalt dieser Musik ebenso verschlossen geblieben ist, wie dem gesamten Heer der »Laß uns den neuen Nerz ausführen«-Konzer­t­abon­nenten.

Als wahrer deutsch­spra­chiger Intel­lek­tüller hat Haneke es dabei selbst­ver­s­tänd­lich nicht nötig, sich näher mit dem zu beschäf­tigen, was er aus zweiter Hand als Teufels­zeug erkannt hat. Daß Herr Haneke restlos davon überzeugt ist, meilen­weit über ameri­ka­ni­schen Genre­filmen zu stehen, ohne je wirklich einen davon genauer angesehen zu haben, merkt man seinem Film jede Sekunde an. Dabei bleibt Funny Games hoff­nungslos hinter Filmen wie Peeping Tom, The Texas Chainsaw Massacre oder Henry – Portrait of a Serial Killer zurück, die allesamt das Thema schon längst wesent­lich intel­li­genter, komplexer und ehrlicher (ganz zu schweigen von hand­werk­lich-ästhe­tisch ungleich gekonnter) behandelt haben.

»Ick bin allhier« könnte der ameri­ka­ni­sche Genrefilm auch bei einer der viel­ge­prie­senen »Inno­va­tionen« von Funny Games seit mindes­tens dreißig Jahren gelang­weilt rufen: die Gewalt, so darf man immer wieder lesen, hat in diesem Film keine erkenn­bare Ursache mehr, wird nicht weger­klärt.
Doch diese Behaup­tung entpuppt sich ohnehin als pures Windei. Denn sehr deutlich bietet uns Herr Haneke immer wieder einen klaren Sünden­bock an: das Fernsehen ist an allem schuld. Potz Ficker­ment, wer hätte das gedacht?
Da reden sich die beiden Sadisten ständig mit Tom & Jerry oder Beavis & Butthead an (subtil, gell?), das Blut des Kindes spritzt auf den laufenden Fern­seh­ap­parat, die Mörder lassen den Film mittels Fern­be­die­nung rückwärts laufen, und zum Abschluß kann einer von ihnen Realität und Fiktion nicht ausein­an­der­halten, weil er einen Science-fiction Film über Paral­lel­uni­versen gesehen hat. Doch, doch, so diffe­ren­ziert und hinter­gründig geht der Regisseur zu Werke, daß man vor Bewun­de­rung aus dem Speiben gar nicht mehr heraus­kommt.

Letztlich aber wohl das größte Problem von Funny Games ist, daß Hanekes angeb­liche Absicht, der Gewalt im Kino wieder ihren Schmerz zurück­zu­geben, schon deswegen scheitern muß, weil der Regisseur offenbar nicht sonder­lich an Menschen inter­es­siert ist. Die Charak­tere sind für ihn nicht mehr als Labor­tiere in einer Versuchs­an­ord­nung. Wenn die Opfer die Sympathie des Publikums auf ihrer Seite haben, dann höchstens weil die Alter­na­tive zu uner­freu­lich wäre. Leben oder Wärme hat Haneke ihnen jeden­falls nicht mitge­geben.

Immerhin: einmal fängt der Film für ein paar Momente zu funk­tio­nieren an. Die bübischen Böse­wichte räumen zwischen­zeit­lich das Feld, und minu­ten­lang beob­achtet die Kamera statisch und distan­ziert aus der Wohn­zim­mer­ecke, wie die Eltern versuchen, den Tod des Kindes und die ihnen angetanen Quäle­reien zu fassen.
Wäre der Film hier zu Ende gewesen, hätte er tatsäch­lich vers­tö­rend wirken können. Doch Haneke kann es nicht genug sein lassen: Die lustigen Spiele gehen bald weiter, bis auch die Eltern den Löffel abgegeben haben. Denn wie im schlech­testen Krimi darf erst Schluß sein, wenn Closure erreicht ist, wenn keine losen Fäden übrig­bleiben; wenn eben die Gewalt doch wieder in einem geschlos­senen System einge­fangen ist und in der Welt des Filmes sich keiner mehr Gedanken über die Auswir­kungen machen muß.

Doch genau so mag es wohl das deutsche Feuil­leton: alles ist völlig klar und über­schaubar, plump und platt und vorder­gründig; die »Message« wird mit sämt­li­chen zur Verfügung stehenden Zeige­fin­gern, Zaun­pfählen und Holz­häm­mern einge­bleut; und dank der aufge­setzten, billigen »Verfrem­dungs­ef­fekte« bekommt man notfalls auch noch unter Voll­nar­kose mit, daß hier Kunst gemacht wird – und das ganz ohne näher hinschauen zu müssen (graus'ger Gedanke!) oder der Notwen­dig­keit einer Ahnung von den komple­xeren Aspekten von Film­sprache.
Nachher darf man dann Haneke im Zusam­men­hang mit seinem Machwerk unge­straft von Auschwitz und Faschismus faseln hören, und seiner Lieb­lings­be­schäf­ti­gung nachgehen: sich ganz toll, aber wirklich ganz toll, betroffen fühlen.
Den schwarzen Peter bekommen in Funny Games nämlich die Zuschauer zuge­schoben, die der Film ständig für das, was er zeigt, haftbar machen will. Das erspart ihm, über die eigene Faszi­niert­heit von der Gewalt reflek­tieren zu müssen – schließ­lich sind es ja wir als Publikum, die so geil sind auf Gewalt, und nicht etwa Michael Haneke, der sie wieder und wieder so gern insze­niert.
Wobei: in gewisser Weise muß man Herrn Haneke dann doch recht geben. Denn wer sich frei­willig diesen unsäg­li­chen Hirnwichs ansieht, ist fürwahr ganz allein selbst schuld.