Ein Geschenk der Götter

Deutschland 2014 · 102 min. · FSK: ab 0
Regie: Oliver Haffner
Drehbuch:
Kamera: Kaspar Kaven
Darsteller: Katharina Marie Schubert, Adam Bousdoukos, Paul Faßnacht, Katharina Hauter, Rainer Furch u.a.
Komisch & zärtlich, aber nie lächerlich

Die inneren Feinde

Die ersten Szenen wirken seltsam vertraut: eine Schau­spie­lerin gerät in eine Krise, die spie­gel­bild­lich für die Krise der Gesell­schaft steht. Doch was die Krise auslöst, das Theater, wird zur thera­peu­ti­schen Chance und kathar­ti­schen Peitsche der Handlung. Das war Thomas Braschs DOMINO 1982 und das ist auch Oliver Haffners Ein Geschenk der Götter, heute, 32 Jahre später.

Doch hat Brasch in seinem beklem­menden DOMINO die junge Katharina Thalbach an seiner Seite und ein an allen Ecken und Enden kaputtes West-Berlin samt einer ebenso kaputten west­deut­schen Gesell­schaft im Blick, proji­ziert Haffner seine gesell­schaft­liche Kritik auf eine kleinere deutsche Stadt. Auch schau­spie­le­risch reduziert Haffner, in dem er seine Rolle des »Wider­stands« mit der zurück­hal­tend, aber nichts­des­to­trotz beein­dru­ckenden Katharina Maria Schubert besetzt. Und anders als Brasch mit seiner immer wieder schwerer Symbolik setzt Haffner auf die hand­lungs­mäßige Leich­tig­keit der briti­schen Sozi­al­komödie, wie wir sie von Ken Loach, Stephen Frears oder themen­ver­wandt aus Tony Cattaneos Full Monty kennen; eine Leich­tig­keit, die sich mit ebenso leichten Sätzen in eine Handlung setzen lässt: Die Schau­spie­lerin Anna verliert ihre Anstel­lung am Stadt­theater in Ulm. Demo­ra­li­siert wendet Sie sich an das städ­ti­sche Jobcenter. Von einer thea­ter­be­geis­terten Sach­be­ar­bei­terin wird ihr angeboten, einen Schau­spiel­kurs für schwer vermit­tel­bare Lang­zeit­ar­beits­lose zu über­nehmen. Anna willigt ein, muss sich jedoch anfangs vor allem mit den Wider­s­tänden der Teil­nehmer gegen die verpflich­tende Bildungs­maß­nahme ausein­an­der­setzen, bevor sie mit einem inno­va­tiven Insz­e­nie­rungs­an­satz der »Antigone« versucht, nicht nur das schau­spie­le­ri­sche Potential, sondern auch die Realität der Betrof­fenen zu trans­for­mieren.

Die Grat­wan­de­rung Annas zwischen Hoch­kultur und diversen Unter­schicht­mi­lieus, die Haffner immer wieder komisch und zärtlich, aber nie der Lächer­lich­keit preis­ge­bend, schildert, sind jedoch nur eine Facette einer viel­schich­tigen Komödie. Haffner persi­fliert mit seiner »Thea­ter­be­schaf­fungs­maß­nahme« auch die infla­ti­onär zuneh­mende Selbst­dar­stel­lungs- und Selbst­op­ti­mie­rungs­in­dus­trie, ange­fangen von Coachings jeder Art bis zu den zahllosen »Klein­bühnen« sozialer Netzwerke im Internet, in denen Verlierer keinen Platz haben. Trotz dieser pessi­mis­ti­schen Bestands­auf­nahme bleibt in Ein Geschenk der Götter genug Raum auch für roman­ti­sche Momente, nicht nur bezüglich Leben und Liebe, sondern auch für ein wohltuend in der Realität veran­kertes Verspre­chen, was Sprache, Literatur und Theater zu ändern vermögen

Und noch etwas wird deutlich, nicht nur im verglei­chenden Rückblick mit Braschs DOMINO. Deutsch­land ist nicht nur vereint, es hat sogar so etwas wie eine fragile Identität gefunden, die stark genug ist, aufge­wor­fene Gräben – seien sie schicht­spe­zi­fi­scher oder mate­ri­eller Art – mit Kunst und ein bisschen Glück zu über­winden. Die äußeren Feinde sind besiegt, nun ist es an der Zeit, sich den inneren zu stellen.