USA 2017 · 133 min. · FSK: ab 12 Regie: Stuart Hazeldine Drehbuch: John Fusco, Andrew Lanham, Destin Daniel Cretton Kamera: Declan Quinn Darsteller: Sam Worthington, Octavia Spencer, Tim McGraw, Radha Mitchell, Graham Greene u.a. |
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Globalisierte Dreieinigkeit |
»Solange die Welt nicht gebunden ist an den Glauben, müssen wir so weitermachen, wird es das Böse geben.« – Gott (»Papa«) in Stuart Hazeldines Die Hütte
»Wir im Westen haben eine Theologie erschaffen, in der Gott ichbezogen, distanziert und unerreichbar ist, einer der entweder Vater oder Richter ist. Das Problem mit der Theologie ist: Oft ist Gott nicht einmal ein guter Vater. Ich glaube, meine Bücher geben den Leuten eine Sprache, um über Gott auf eine Art zu sprechen, die nicht religiös ist.« – William Paul Young, Autor von Die Hütte
Nach Patricia Riggens Himmelskind im Sommer 2016 ist die Verfilmung von William Paul Youngs Bestsellererfolg »Die Hütte« der zweite dezidiert »christliche« Film innerhalb von nur einem Jahr, der in Deutschland von einem der großen Verleiher vertrieben wird. Das hat es lange nicht gegeben. Und auch wenn Deutschland noch weit von den radikalen Tendenzen einiger amerikanischer Bible-Belt-Staaten entfernt sein dürfte, in denen Atheisten bespuckt oder in Geschäften nicht mehr bedient werden, so scheint doch zumindest das evangelikale Christentum auch in Deutschland seinen Siegeszug nicht mehr verstecken zu müssen; immerhin ist es mit mehr als 329 Millionen Anhängern eine der weltweit am schnellsten wachsenden religiösen Bewegungen. Dazu passt auch, dass sich William Paul Youngs Roman in Deutschland immerhin eine Million Mal verkauft hat und einen nicht unbeträchtlichen Anteil an den bislang 20 Millionen weltweit verkauften Exemplaren hat, die Youngs mit biografischem Subtext versehenen Roman zu einem der erfolgreichsten Bestseller der letzten Jahre gemacht haben.
Es ließe sich – nicht nur als überzeugtem Atheisten – leicht spotten über einen Film, der im Grunde eine sehr ähnliche Geschichte wie Kenneth Lonergans Manchester by the Sea erzählt, und damit einen moralischen Gegenentwurf anbietet, der auch zeigt, wie extrem die Fronten nicht nur in der amerikanischen Gesellschaft, sondern auch im amerikanischen Kino verlaufen. Denn auch in Stuart Hazeldines Verfilmung von Youngs Roman leidet ein Vater (Sam Worthington) am Verlust eines Kindes. Immerhin sind es nicht gleich alle Kinder wie in Manchester by the Sea, aber dass Macks Tochter Missi durch eine völlig normale Nachlässigkeit seiner Aufsichtspflicht in die Fänge eines Kindermörders gerät und nicht mal ihr Körper, sondern nur der mutmaßliche Ort ihres Todes, eine Hütte im Wald, sichergestellt werden kann, lässt Mack nicht nur an sich, sondern auch an seinem Glauben zweifeln.
Mack – das sei hinzufügt – ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein gebranntes Kind, doch er trägt den bösen Keim einer »vererbten« Traumatisierung nicht neu auf, schlägt seine Kinder nicht, sondern geht in die Kirche. Doch der Tod der Tochter entfremdet Mack so weit, dass er sich zu verlieren droht. In diesem Moment erhält er eine schriftliche Nachricht, die ihn in die Hütte ordert, in dem seine Tochter umgekommen ist. Voller Zweifel und Wut geht Mack diesen Schritt. Um dort tatsächlich dann den »Papa« anzutreffen, von dem seine Frau immer begeistert erzählt. Aber neben »Papa« sind – für Mack sehr überraschend – auch Jesus und der Heilige Geist anwesend. Und zwar in menschlicher Gestalt: »Papa« in Form einer mütterlichen Afromerikanerin (Octavia Spencer), Jesus als hippiesker Semit (Avraham Aviv Alush) und der Heilige Geist »Sarayu« im Körper einer transzendentalen asiatischen Schönheit (Sumire). Damit ist nicht nur über die heilige Dreieinigkeit eine umgeschriebene Globalisierung garantiert, sondern auch die bereits über den Plot angedeutete fast unangreifbare Naivität, mit der Leben und Glauben hier seziert werden.
Die Hütte sieht sich oberflächlich deshalb tatsächlich bisweilen wie die lichte Seite von Manchester by the Sea, wie eine glaubwürdige, moralische Handlungsalternative, auch wenn Sam Worthington nicht einmal in Ansätzen an die Intensität von Casey Affleck heranreicht. Die ist allerdings auch nicht notwendig, denn schließlich gelingt Mack in Die Hütte ja das, was Afflecks Charakter Lee in Lonergans Film nicht gelingt. Er betritt nicht nur »seine Hütte« und stellt sich dem dem Grauens, sondern bleibt dort auch, transformiert über einen bildhaften Glauben, der sich gerade im Zentrum seines schlimmsten Leids befindet und der ihm hilft, nicht nur dem Täter und dem Gott zu verzeihen, der so etwas zugelassen hat, sondern auch sich selbst. Und er kann anders als Lee schließlich auch wieder den Teil der Familie und der Freunde in die Arme schließen, der ihm geblieben ist. Dem Glauben auf diese Weise zu begegnen hat nicht nur dem Buch, sondern auch dem Film heftige Kritik von Seiten der »offiziellen« Kirchen beschert, die durch diesen »häretischen« Ansatz nicht ohne Grund ihre »Felle davon schwimmen« sehen. Denn wer braucht die Kirche noch, wenn sie jeder in sich trägt?
Doch die schon erwähnte Naivität, die in Kombination mit der eigenen Ganzheitlichkeit und bisweilen völlig grotesken Kitsch-Elementen die Vision einer großen, heilen Familie entwirft, ist dann doch den »offiziellen« Kirchen gar nicht so fremd, wenn es um die Verbreitung ihres Glaubens geht und um die Saat des Bösen; mehr noch wird auf vertrackte Weise klar, dass gerade in der Naivität ein Fundamentalismus verborgen ist, der leicht zu übersehen ist. Dazu sollte man sich das Gespräch zwischen »Papa« und Mack genau ansehen, als letzterer »Papa« vorwirft, weder ein guter Vater noch ein guter Richter zu sein, wenn er Unschuldige wie seine Tochter richten lasse und das Böse an sich zulasse. »Papa« begegnet ihm wie immer mit einem umarmenden Lächeln, schickt ihn dann auf einen Parcour des Verstehens, um dann aber auch klar zu machen, dass das Böse nicht unbedingt im Gesamtpaket des Lebens inkludiert sei, aber immerhin so lange auf Erden sei, bis auch der Letzte zum wahren Glauben gefunden habe.
Diese so salopp und sanft dahingesagte Formel ist umso gefährlicher, als sie von Macks langsamem, von Zweifeln geplagtem Lernprozess und einem auf Ehrlichkeit, Versöhnen und Geliebtwerden ausgerichtetem Alltagshandeln umgarnt wird. Der moralische Impetus ist dabei wie bei jeder gut gemachten Propaganda derartig subtil, dass selbst dem hartgesottensten Atheisten ein paar Tränen abgehen und ein paar Zweifel kommen dürften.
Deshalb sollte man Die Hütte keinesfalls nur auf das vermeintliche Abstellgleis für religiöse Charismatiker und durch die Globalisierung verunsicherte Seelen schieben, sondern darin auch einen Zug unserer restaurativen Zeit erkennen, ein Zeichen der von Paul Berman kürzlich attestierten Konterrevolution, die uns nach 50 Jahren liberaler Revolution nun ereilt. Und man sollte vor allem seine eigene Schwäche, seine eigene Verlorenheit und Sehnsucht nach einem einfachen Weg nicht vergessen, sollte sich ähnlich wie in einem Oktoberfestbierzelt vor der Arroganz derer in Acht nehmen, die über die auf den Tischen Tanzenden abschätzig lachen – schließlich trennt beide Seiten nur eine Mass Bier.