Großbritannien/F/S 2014 · 92 min. · FSK: ab 12 Regie: Rowan Joffe Drehbuch: Rowan Joffe Kamera: Ben Davis Darsteller: Nicole Kidman, Colin Firth, Mark Strong, Anne-Marie Duff u.a. |
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Komplexe Charaktere, gesprengte Erwartungshaltungen |
Die Risikobereitschaft der großen Filmstudios zu innovativen, neuen Filmstoffen scheint sich zunehmend auf den Streaming- und TV-Serien-Bereich zu verlagern. Die Angst mit einer originären Geschichte in den Kinos zu floppen spiegelt sich vor allem in einer immer ausgeprägteren Fokussierung auf Stoffe, die bereits »angetestet« sind und ein breites, wohlwollendes Publikum gefunden haben – Bestseller-Romane und Comics.
Deshalb überraschte es auch kaum, dass sich Ridley Scott mit seiner Produktionsgesellschaft bereits 2011, kurz nach Erscheinen die Filmrechte an dem Debütroman »Before I go to sleep« von S. J. Watson sicherte. Schon da zeichnete sich der Erfolg des Romans ab, waren die Verkaufszahlen vielversprechend und die Kritiken enthusiastisch, musste schnell zugegriffen werden; »Before I go to sleep« ist inzwischen in 40 Sprachen übersetzt, ein Debüterfolg in einer Dimension, der allenfalls an J. K. Rowling und ihren ersten »Harry Potter« erinnert.
Diesem Erfolg angemessen wurde in das Casting der Verfilmung investiert: die zentrale Rolle der an anterograder Amensie leidenden Mittvierzigerin Christine Lucas wurde mit Nicole Kidman besetzt, der Mann an ihrer Seite, Ben, wird von Colin Firth verkörpert. Wie gelungen diese Wahl ist, zeigt sich vor allem daran, dass man in diesem psychologischen Thriller immer wieder vergisst, wer hier vor der Kamera steht und stattdessen baff erstaunt ist, wie sehr die komplexen Charakteranlagen den schauspielerischen Erwartungsrahmen sprengen. Was zum einen Zeichen für die Dichte des Stoffes ist, zum anderen deutlich werden lässt, dass Ich. Darf. Nicht. Schlafen. zumindest im ersten Teil eindeutige Thriller-Kategorien nicht bedient. Gerade hier verlässt sich Regisseur Rowan Joffé (Brighton Rock) auf die Vorzüge eines kammerspielartigen Arrangements. Er lässt sich viel Zeit Christine und Ben zu porträtieren, die hier noch tatsächlich das zu sein scheinen, nach dem sie aussehen. Ein verheiratetes Paar, das darunter leidet, dass Christine zehn Jahr zuvor durch einen Unfall ihr Gedächtnis verloren hat und jeden gelebten Tag wieder vergisst, um mit der Erinnerung einer 20ig-jährigen am nächsten Morgen zu erwachen. Dann muss Ben, bevor er seinen Dienst als Lehrer einer High School in einem Vorort Londons antritt, ihr erklären, dass er ihr Mann ist und was damals passiert ist. Erst als Christine einen Anruf entgegennimmt und von dem Therapeuten Dr. Nash (Mark Strong) informiert wird, dass sie seit Wochen in Behandlung bei ihm ist und ein tägliches Videotagebuch führt und ihr Unfall alles andere als ein Unfall gewesen ist, mutiert das psychologische Kammerspiel zu einem faszinierenden Thriller, der immer wieder mit der Fragilität menschlicher Charaktere und ihrer Identitäten spielt.
Neben diesem dichten, mit wenigen Abstrichen auf der Romanvorlage basierenden Plot, sind es aber vor allem Colin Firth faszinierende Transformation und Kidmans oszillierendes Mäandern zwischen zwei Persönlichkeiten, die sich Ich. Darf. Nicht. Schlafen. von seiner literarischen Vorlage emanzipieren lässt. Und allen Unkenrufen zum Trotz – nur mit einer weiteren Bestsellerverfilmung sediert worden zu sein – ist man geneigt, fast zu einer gegenteiligen Aussage verführt zu werden: Gutes darf ruhig auch mal »vorgekaut« sein und warum müssen es immer gleich mehrere Staffeln sein, um eine gute Geschichte zu erzählen?