Italien/E/GB 2003 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Gabriele Salvatores Drehbuch: Niccolò Ammaniti, Francesca Marciano Kamera: Italo Petriccione Darsteller: Aitana-Gijón Sánchez, Dino Abbrescia, Giorgio Careccia, Giuseppe Cristiano u.a. |
Auf den ersten Blick wirken sie paradiesisch, die weiten, von goldenen Kornfelder bedeckten Hügel Apuliens unter strahlend blauem Himmel. Doch die flirrende Hitze ist nicht jedermanns Sache. Spielende Kinder verlieren sich in der Landschaft: wenn die Erwachsenen vor der Sonne in die Häuser des nahen Weilers fliehen, gehört die Welt ihnen allein. Unbeachtet können sie die Gegend erkunden und Grenzen austesten. So furchtbar sie aus kindlicher Sicht auch scheinen mögen, die Begegnung mit den »blutrünstigen« Zuchtschweinen, die Niederlage im Wettlauf und die anschließende Mutprobe, im Gedächtnis behält man sie als Erinnerung an eine heile Welt. Denn bald endet die Kindheit, nicht auf einen Schlag, aber langsam und unwiederbringlich. Und man erkennt, dass ihre Gefahren nichts sind gegen die Abgründe der Erwachsenen.
Ein verlassenes Gutshaus ist der Spielplatz: schon ein erstes Zeichen dafür, dass der Wohlstand des Schein-Paradieses vergangen, dass das Süditalien der ausgehenden 70er Jahre verarmt ist. Hier entdeckt einer der Jungen, der zehnjährige Michele, eine improvisierte Falltür und darunter, in einem Erdloch, ein wirres Bündel, aus dem ein Fuß hervorlugt. Die Entdeckung bleibt sein Geheimnis. Schon bald macht er sich allein noch einmal auf zur Ruine, um sich die unterirdische Gestalt
vorsichtig näher anzusehen – und findet einen verwirrten Gleichaltrigen.
Michele ist klug, er hat viel Phantasie. Und ist es gewohnt, verantwortlich zu handeln – die Aufsicht über seine kleine Schwester, die die Mutter ihm übertragen hat, hat ihn das gelehrt. Ihm ist klar, dass er erst mehr herausfinden muss, bevor er etwas unternehmen kann. Aber was er allmählich erfährt, übersteigt sein bisheriges Wissen vom Gegensatz zwischen den vertrauten Angehörigen und der
fremden, grausamen weiten Welt der Nachrichten.
Die literarische Vorlage war, wie der Film selbst, in Italien ein Kassenschlager. Ganz aus der Perspektive seines jungen Helden Michele erzählt Salvatores in beeindruckenden Bildern eine Geschichte vom Weggang aus dem kindlichen Paradies – ein Weg, der über Wissen und Welterkenntnis definiert ist. Das Zeitkolorit, der heiße Sommer, der verlangende Blick aus dem armen Süden in den wohlhabenden Norden Italiens sind gut getroffen, und der junge Hauptdarsteller ist sehr
überzeugend.
Das Jugend-Drama hat über weite Strecken die Kraft, seine Zuschauer mitzureißen und emotional zu fesseln. Es beginnt wie ein abenteuerlicher Kinderfilm, wandelt sich zum Krimi und endet unvermutet fast als actionlastiger Thriller samt Einsatz unvermeidlicher Hubschrauber als deus ex machina – ein Stimmungswandel, der auch stören kann. Und doch verblassen die wenigen Schockeffekte schnell, und übrig bleiben die melancholischen Bilder der endlosen, nun
abgeernteten Hügel unter dem weiten Himmel.