USA/GB 2010 · 148 min. · FSK: ab 12 Regie: Christopher Nolan Drehbuch: Christopher Nolan Kamera: Wally Pfister Darsteller: Leonardo DiCaprio, Ken Watanabe, Joseph Gordon-Levitt, Marion Cotillard, Ellen Page u.a. |
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Wenn Du träumst, dass Du träumst, dann träumst Du nur, Du träumst. |
»This summer, your mind is the scene of the crime.«
Aus dem Trailer der Warner Bros. Pictures
»for in that sleep of death, what dreams may come?«
William Shakespeare: »Hamlet«, 3/1
Manchmal kann der Traum Rettung sein. Rettung vor der Welt, so wie die Krankheit Geborgenheit bieten kann vor den Zumutungen der Gesundheit, das Gefängnis einer persönlichen Phantasiewelt Befreiung sein kann aus den Ketten des Strebens nach Glück im Realen. Wie das Kino. So geht es der Hauptfigur in Inception. Der arme Leonardo Di Carpio ist auch in diesem Film noch immer auf jenem Shutter Island gefangen, in das ihn Martin Scorsese gesperrt hatte: Ein Traumatisierter, einer der den Tod seiner Ehefrau nicht verkraften kann, und darob in der Arbeit Trost sucht. Und Christopher Nolan, der britische Regisseur, der seit seinen ersten beiden Filmen Following und Memento als Spezialist für jenes Genre der Mindfuck-Filme gilt, bleibt sich treu. So entpuppt sich auch dieser Film als kühler Karrierebaustein eines Regisseurs(-Labels) und als unbewußte Selbstreflexion Hollywoods, der Traumfabrik-Ariadne im Mindfuck-Land.
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Es passte dann doch ganz gut, dass die überaus unorganisierte und in diesem Fall spürbar überforderte Berliner Presseagentur des deutschen Arms der Warner-Studios nicht nur ein für den Aufwand zu kleines Kino reserviert hatte – Klaustrophobie! –, sondern den Film mit deutscher, also dummer, zweckferner Pünktlichkeit bereits startete, als noch etwa 30 Kritiker, darunter sämtliche Redakteure der sogenannten »Hauptstadtzeitungen«, die an einem Mittwochnachmittag ja erstmal ihre Filmseiten fertigmachen mussten – Stress!! –, vor dem Kino in der Schlange der »Sicherheitsleute« standen. Es passte, dass sie alle den Anfang versäumten, und vielleicht war dies ja wirklich nicht einfach Dummheit der älteren Presse-Damen, sondern der letzte, abgefeimteste Schritt einer viralen Marketing-Kampagne, dass man also den Anfang dieses Films, seine ersten zwei Minuten, nicht sah, sondern sich später erzählen lassen musste – vielleicht hat er ja überhaupt keinen Anfang!!! Denn gleich mehrfach in diesem Film erklärt der Held irgendeinem anderen, und damit uns, dass man sich nie an den Beginn eines Traums erinnern kann. Er erklärt uns auch, dass Träume, die scheinbar endlos währen, Wochen, Monate oder Jahre, tatsächlich nur kurze Zeit dauern. Wohl wahr – aber wissen wir das, während wir träumen? Und wie verhält sich das, wenn wir uns im Traum eines anderen befinden? Wie synchronisiert sich unsere eigene Traumzeit mit der des anderen? Wie verhält sich überhaupt alles? Was wissen wir wirklich?
Es ist diese Art Mischung aus prima philosophia und Volkshochschul-Esoterik, aus guten Fragen und banaler Spekulation, auf der Christopher Nolans Inception basiert, und die dann plötzlich zu der in diesem Zusammenhang erstaunlich klugen Frage führt, wie wir uns so einen Film überhaupt angucken, der doch einem Traum ähnlicher sieht, als den meisten Kinofilmen.
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Das Kino und die Träume – sie hatten schon immer eine besonders innige Beziehung. Ist nicht jeder Schritt in den dunklen Kinosaal ein Schritt hinein in unser Unterbewußtes? Und sind nicht die besten Filme jene, die sich genau dort festsetzen, die uns bis in unsere Träume verfolgen? Der britische Regisseur Christopher Nolan hat sich für dieses Unbewußte schon lange interessiert. Wer bei diesem Namen nur an den Regisseur der beiden letzten, recht martialischen und auf Lack und Leder fixierten Batman-Verfilmungen denkt, vergisst, dass Nolan vor etwa 12 Jahren als Independent-Regisseur mit ganz anderen Stoffen, mit subtilen Psychothrillern begann. Bereits sein Erstling Following fällt unter diese Kategorie. Dann folgte Memento, der ihn mit einem Schlag weltberühmt machte: Ein ebenso raffiniert konstruierter, wie phantasievoller Film, der einfach in Sprüngen rückwärts erzählt wird – sein Held hat eine Gedächtnisstörung.
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Zu solchen Ursprüngen kehrt Nolan jetzt zurück, thematisch und in den Figuren: Denn der Held seines neuen Films, Inception heißt Cobb und ist ein Meisterdieb, genau wie in seinem Debüt. Und wie Memento ist auch Inception ein kaleidoskopischer Thriller. Ein frappierendes, aber auch nervtötendes Erlebnis, voller Irritationen, nahe an der Psychose. Ein Film wie eine Krankheit, wie ein Gefängnis, voller Erfahrungen reiner Paradoxie.
Der Titel Inception bedeutet wörtlich soviel wie »Gründung«. Gemeint ist damit eine besondere Form von Gehirnwäsche: »Wir erschaffen die Welt des Traumes. Wir bringen die Testperson in den Traum hinein, und sie füllt ihn mit ihren Geheimnissen.« – »Und sie stehlen sie« – »Naja: Es ist streng genommen nicht ganz legal. Wir nennen es Inception.« (Dialogpassage) Leonardo di Carpio spielt diesen Meisterdieb. Durch die Träume dringt er ins Unterbewusstsein und pflanzt dort dem Opfer falsche Ideen ein.
Inception ist also auf der Ebene seiner Handlung ein ganz klassischer »Heist-Thriller«, wie man in Amerika jenes Räuber-Genre getauft hat, das Meisterdiebe bei der Arbeit zeigt, wie sie zum Beispiel a la Rififi einen schwerbewachten Geldschrank knacken. Auch in Inception gibt es einen solchen riesengroßen Stahltresor. Der wahre Raub findet hier allerdings im Kopf des Opfers, in diesem Fall eines reichen Erben statt.
»Ich hab noch nie jemanden gesehen, der so schnell lernt.« ruft der Held ein andermal, als er seine Architektin gefunden hat. Das stimmt. Was sie lernt, und wie das, was hier passiert überhaupt funktioniert, das haben wir zwar auch am Ende des Films noch nicht begriffen, aber vielleicht ist das auch nicht weiter wichtig. Schließlich sagen hier Figuren Sätze wie »Der Ausstattung zufolge sind wir in ihrem Gehirn.«, als würden sie sagen: »Ich finde, die Nudeln müssen etwas nachgesalzen werden.« Es wird hier ganz viel gebabbelt, hochwissenschaftlich gebabbelt. Ein Paradox reiht sich ans nächste. Es gibt Erkenntnisgewinne ohne Wissenszuwachs, Einsicht im Sinnlosen und sehr schöne Dialoge. Wie den: »Denken Sie nicht an Elefanten. Woran denken Sie jetzt?« – »An Elefanten.« Fortwährend reflektieren die Figuren im Traum über den Traum, was natürlich eine Paradoxie ist. Und doch wabert hinter all dem intellektuellen wie visuellen Feuerwerk nur die typische Ami-Erlösungsgeschichte.
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»Wait a minute. Whose subconscious are we going into, exactly?«
Nolans Filme sind immer altmodisch und wichtigtuerisch in ihrer Küchenpsychologie. Und natürlich ist das ganze Traumzeugs, das ganze Erinnerungsgeschwurbel auch nur Ausrede, ein Feuerwerk, das überdecken soll, dass der Regisseur nichts wirklich zu erzählen hat. Wie? Die tote Frau? Also bitte! Das meint ihr nicht wirklich im Ernst jetzt!!
Nolan hat sich wie jedem spätestens seit den Batman-Filmen klar sein muss, schon längst aufgemacht die Nachfolge von James Cameron auf der Position des von sich selbst am meisten eingenommenen Regisseurs anzutreten. Immerhin: 533 Millionen Einspieldollar für The Dark Knight. Da darf man dann auch bei Warner den Film machen, von dem man schon immer geträumt hat, an dem man schon seit zehn Jahren herumgedoktert hat. Aber dann
doch nicht. Denn wenn Du träumst, dass Du träumst, dann träumst Du nur, Du träumst. Vielleicht hat Nolan ja über all die Zeit etwas den Überblick verloren, aber wahrscheinlicher ist, dass er nur so tut, als ob, dass er den Film mit Bedeutung aufgeladen und mit Gegenwart entsättigt hat, dass dieser Film sich intelligenter gibt, als er ist.
Es geht also um einen, der im Schlaf ins Unterbewußtsein anderer Leute reist, und da Sachen anstellt. Wann der Film genau spielt, ist unklar, und alles sieht irgendwie nostalgisch aus, dann aber auch wieder nicht. Was zeigt der Film genau von der Gegenwart? Von unserer? Von seiner?
Traumreisen also. Auf mehreren Ebenen, wie das Gebabbel immer schlüssig begründet, wenn dem Zuschauer mal wieder Zweifel kommen. Dieser ganze Plot, der nicht zufällig an Matrix erinnert, ist recht kompliziert und man muss schon sehr wach und aufmerksam sein, um sich nicht schnell zu verirren im Gestrüpp der Handlungs- und Traumebenen. Einmal befindet man sich – ungelogen – für geschlagene zehn Minuten in einem Traum, der in einem Traum stattfindet, der in einem Traum stattfindet, der in einem Traum stattfindet – während alle anderen drei Handlungsebenen noch parallel miterzählt werden – es hat schon seinen Grund, dass eine der Hauptfiguren auf das Bauen von Labyrinthen spezialisiert ist, und auch noch Ariadne heißt, wie jene gütige Liebende der griechischen Mythologie, die Theseus am Wollpfaden wieder heil aus dem Palast des Monsters Minotaurus hinaushalf – nicht der einzige Wink mit dem Zaunpfahl.
Nein, ein subtiler Erzähler ist Christopher Nolan nicht gerade. Allerdings gelingen ihm immer wieder atemberaubende Bilder. Etwa wenn er die Stadt Paris zusammenfaltet, wie einen großen Pappkarton, während Fußgänger und Passanten sich auf den Straßen weiter bewegen. Oder wenn geträumte Häuser auseinanderfallen wie Gletscherränder, oder in der Luft explodieren, während die Träumenden weiter friedlich im Café daneben sitzen. Vieles davon ist von moderner Kunst und zeitgenössischer Photographie, von den Surrealisten bis zu Videoinstallationen der letzten Kunst-Biennale inspiriert. Vor allem ab Minute 20 wird es mal richtig gut für eine Weile, wenn auch nicht so lange wie der Film dauert. Aber vielleicht kam es auch uns nur so vor.
Ob es alles wirklich Sinn macht? Ob das Konstrukt wenigstens innerhalb der Filmlogik aufgeht? Das kümmert nicht, solange die Bilder bezaubern und fesseln. In seinen besten Passagen ist Inception nicht Matrix, das kann er nämlich nicht, sondern ein Horrorfilm. Das Chaos und die Hingabe an das Chaos. Da weiß man nicht mehr, wo man eben, vor fünfzehn Minuten, war. Nein: Wo man jetzt gerade ist. Man weiß nicht mehr, wie das Spielbrett, auf dem Nolan einen zum Bauern gemacht hat überhaupt aussieht. Zusammenhangslücken. Kontrollverlust. Das kann Nolan perfekt, konnte er schon immer. Ist der Schlüssel zu seinem Kino. Ist aufgeblasen, wichtigtuerisch, aber gut. Das Unerklärliche, aber komplett. Denn unter dem Kompletten macht es dieser Regisseur nicht.
Je länger Inception allerdings andauert – und der Film dauert mit zweieinhalb Stunden überdimensional lang –, um so ermüdender wird alles, und um so weniger gelingt es Nolan, die Zuschauer bei der Stange zu halten. Man kann genug tolle Bilder zeigen, um einen spektakulären Trailer zu füllen. Aber sie stehen nur für einen Bruchteil des Films. Und auch haben wir uns längst daran gewöhnt, dass alles möglich ist. Längst hat man verstanden, dass er uns im Grunde nur eine moderne Form des antiken Mythos von Orpheus und Eurydike erzählt: Auch hier will ein Mann seine Geliebte um fast jeden Preis aus der Totenwelt zurückholen. Dagegen ist auch nichts zu sagen. Außer dass es, wie der erfolglose Ausgang des Unterfangens, ziemlich vorhersehbar ist.
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Schwerer wiegt ein anderer Einwand: Wie seine Hauptfigur scheint auch Regisseur Nolan von Allmachtsphantasien besessen: Er glaubt alles zu können, und muss geradezu zwanghaft, wie ein Musterschüler, seine Virtuosität und seinen Einfallsreichtum immer wieder unter Beweis stellen: »Was ist der widerstandsfähigste Parasit: eine Idee. Eine einzige Idee des menschlichen Verstandes kann Städte entstehen lassen. Eine Idee kann die Regeln neu bestimmen. Und deshalb muss ich sie stehlen.« (Dialogpassage)
Auch Nolan will wie der Meisterdieb Cobbs in unsere Phantasie eindringen und sie besetzen. Ganz unfreiwillig wird der Superblockbuster Inception damit zur Selbstreflexion Hollywoods und seiner parasitären Praxis, uns mit Blockbustern und Marketingstrategien zu manipulieren. Das Konzept scheint im Fall von Inception völlig aufgegangen zu sein: 160 Millionen Dollar betrug das Budget, 62.7 Millionen spielte der Film bereits am ersten Wochenende ein. »This summer, your mind is the scene of the crime.« heißt es im Trailer der Warner Bros. Pictures
Trotzdem weckt dies, wie es auch im Film geschieht, einen natürlichen Instinkt zum Widerstand. Denn es ist die Lektion von Inception selbst, dieser Übung im Zweifeln an sich selber, in Skepsis gegenüber der Eindeutigkeit der Zeichen, der Glaubwürdigkeit des Sichtbaren, dass das Sehen vom Wegsehen nicht zu trennen ist. So ist dieser Film eine Verteidigung der Lüge im ganz und gar außermoralischen Sinn. Der Zweck heiligt die Mittel. Man kann sich diesen Film ganz brav als Puzzlespiel und Schnitzeljagd einrichten, ein bisschen Detektiv spielen und am Ende angeben, ob auch wirklich alles zusammenpasst. Muss man aber nicht. Denn vielleicht ist alles auch nur Saitos Traum. Auch dann stimmt’s. Oder man beschließt, sich auf das Chaos einzulassen.
Und ganz bestimmt ist der Vergleich mit Kubrick, mit 2001, nur so dreist wie dumm und sagt nur was über unsere Zeit, nicht über einen der beiden Filme. Derzeit geht in den USA gerade die Debatte über den Film in eine zweite Runde: Nachdem zunächst ein paar Blogger den Film unangemessen gehyped, als »Meisterwerk« gelobt und mit den größten Meistern des Kinos verglichen hatten, gibt es nun, gerade von jenen Kritikern, die man kaum als verlängerten Arm des Hollywood-Marketing ansehen wird, deutlich kühlere Reaktionen auf den Film. A.O.Scott von der New York Times, auch ein Skeptiker, schildert nun wiederum [http://www.nytimes.com/2010/07/25/movies/25scott.html] wie solche Inception-Kritiker zur Zielscheibe von Marketing-Attaken werden:
»For their efforts these and other similarly unimpressed writers were treated like advocates for national health care at a Tea Party rally, their motives, their professionalism, their morals and their sanity questioned, and not always politely. What seemed to provoke the most ire was that these critics had shown the temerity to mention what other critics had written, and to respond to the aggressive marketing and the early effusions. … How dare you not like what I like? How dare you cast doubt on my reasons for liking it? Shut up and let me watch the movie — which I am sure I will love even though I haven’t seen it yet!«
Das Kino mag ein Traum sein. Aber im Fall von Inception spürt man, bei aller kühlen technischen Könnerschaft, zu wenig Lust und zu wenig von der Verrücktheit des Träumens. Fein säuberlich sind die Traumebenen getrennt, nichts geht durcheinander. Zu deutlich erkennt man am Ende, wie konstruiert alles ist, wie künstlich. Aus der Traum.