USA 2005 · 122 min. · FSK: ab 12 Regie: Sam Mendes Drehbuch: William Broyles jr. Kamera: Roger Deakins Darsteller: Jake Gyllenhaal, Scott MacDonald, Peter Sarsgaard, Chris Cooper, Lucas Black u.a. |
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Wie ästhetisch darf Krieg dargestellt werden? |
So sicher, wie alle Jahre wieder zur selben Zeit die Maiglöckchen blühen oder die (todbringenden?) Zugvögel zurückkehren, so sicher findet sich auch zu Beginn jedes Kinojahres ein Film, dem Kritik und Werbung das schöne Prädikat »Schon jetzt einer der besten Filme des Jahres« verleihen. Nur in den ersten Wochen eines Jahres gibt es dieses seltene Lob und so sucht man dann vergeblich den »besten Film der Jahresmitte«, den »Filmherbstmeister« oder den »Klassiker zum Jahresschluss«.
2006 hat Jarhead diesen Titel gewonnen und wenn wir über die Richtigkeit dieser Behauptung auch erst in einem Jahr endgültig entscheiden können, lässt sich doch heute schon feststellen, das er einer der kontroversesten Filme des Jahres sein wird, wobei sein diskussionswürdiges Potential weniger im Politischen, als vielmehr im Künstlerischen / Filmischen liegt.
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»Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde, auch wenn sie seinen Granaten entkam.« Mit diesen Worten beginnt Erich Maria Remarques Buch »Im Westen nichts Neues« und mit leicht abgeänderten Worten auch Lewis Milestones Verfilmung dieses Klassikers der Anti-Kriegskultur. Zwischen dieser auf Objektivität abzielenden Vorrede und der gemeinhin bekannten Aussage des Buches bzw. Films gegen den Krieg, steckt ein klassischer Widerspruch, der alle Kunstwerke (somit auch jetzt Jarhead), die sich mit dem Krieg befassen, bestimmt: In jedem Antikriegsfilm steckt (nicht nur im wörtlichen Sinn) auch ein Kriegsfilm. Darüber hinaus steckt in jedem Kriegsfilm ein Film.
Einen Antikriegsfilm zu bestimmen ist eine schwierige Sache, da seine Bezeichnung als »Anti« einzig und alleine im Auge des jeweiligen Betrachters liegt (wogegen auch eventuell anders lautende Intensionen des Künstler nichts helfen).
Dies erklärt dann auch eine der (in vielerlei Hinsicht) markantesten Szenen von Jarhead, in der ein ganzer Saal voll junger Marines begeistert Apocalypse Now anschaut. Hubschrauberangriff, Ritt der Wallküren, Maschinengewehrfeuer und die Soldaten sitzen da mit leuchtenden Augen, Satz für Satz mitsprechend, Geste für Geste mitspielend. Das Anti des Films ist für sie nicht erkennbar, wobei es doppelt ironisch ist, dass Marines offensichtlich eine generelle Leidenschaft für die großen Antikriegsfilme haben (später im Film will man The Deer Hunter sehen; im Buch »War reporting for Cowards« schreibt der englische Journalist Chris Ayres über den zweiten Golfkrieg und wie ihn ein Marine in der Wüste mit Zitaten aus Full Metal Jacket empfängt).
Die Macher von Jarhead haben verstanden, dass man schlussendlich immer nur einen Kriegsfilm machen kann und dass das »Anti« gegebenenfalls erst im Kopf des Zuschauers hinzukommt. Darum spart sich der Film aufdringliche politische Bekenntnisse und tut das, was Remarque als »über eine Generation berichten, die vom Krieg zerstört wurde« bezeichnet.
Wenn man die politischen und moralischen Aussagen aber außer Acht lässt, dann bleibt einfach nur ein Film, den man zufällig dem Genre des Kriegsfilms zurechnen kann, was nur eine Genrebezeichnung wie Western oder Thriller ist und somit über das einzelne Werk also solches noch gar nichts aussagt.
So sollte man bei der Bewertung von Jarhead (und jedem anderen Kriegsfilm) erst die allgemeinen Qualitätskriterien des Kinos anlegen und nur zweitrangig die Frage nach seiner Gesinnung bzw. Aussage stellen.
Die Tatsache, dass ein Film vom Krieg handelt, macht ihn eben nicht per se besser oder schlechter. Zweifellos beeinflusst seine Haltung pro oder contra Krieg unser persönliches Urteil, nur ist dies kein alleiniges Phänomen des Kriegsfilms, sondern trifft auf alle Werke zu, die eine moralische Aussage treffen. Nicht zu vergessen, dass solche Aussagen oft gar nicht bzw. nicht so gewollt sind, wie wir sie wahrnehmen, s.o.
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Betrachten wir Jarhead also als die Geschichte eines Mannes (Swoff, gespielt von Jake Gyllenhaal), der sich nach einer unrühmlichen Kindheit und Jugend plötzlich beim Militär wieder findet, um nach einer Ausbildung zum Scharfschützen in den ersten (amerikanischen) Golfkrieg geschickt zu werden und dort verzweifelt auf seinen Einsatz wartet. Swoff ist ein später Verwandter von Kafkas Landvermesser, den man ebenfalls für einen besonderen Einsatz bestellt und dann nicht seine Arbeit machen lässt. Swoffs unerreichbares Schloss ist der Kampf, doch die Menschen und Handlungen um ihn herum stehen dem Irrsinn in Kafkas Welt kaum nach.
Diese Geschichte eines etwas neben sich und den anderen Stehenden, der auf eine verrückte Umwelt blickt und sich ihr dabei langsam angleicht, ist eine der großen Stärken von Jarhead. Mit ähnlichem Können wie in American Beauty zeichnet Sam Mendes die radikale Veränderung eines Menschen nach, wobei auch hier bittere Ironie als erzählerischer Grundton dient.
Wichtig für die glaubhafte Darstellung dieses Deformationsprozesses ist ein guter Schauspieler, den Mendes in Gyllenhaal definitiv hat. Auch dessen Mitspieler (allen voran Peter Sarsgaard) erfüllen ihre Rollen mit Leben, obwohl manche Figuren (vom Drehbuch) arg eindimensional angelegt sind.
Weiterer großer Pluspunkt von Jarhead sind seine unglaublichen Bilder. Der wunderbare Roger Deakins (u.a. Stammkameramann der Coen-Brüder) erschafft Bilder von unglaublicher Schönheit und Eindringlichkeit, wobei damit nicht gemeint ist, dass alle Bilder »schöne« Inhalte haben; ganz im Gegenteil.
Regelmäßig entbrennt hier ein Streit darüber, wie schön Kriegsbilder überhaupt sein dürfen. Sollte man das Elend des Krieges nicht in entsprechend tristen, schmerzhaften, abstoßenden Bildern zeigen? Ist Krieg der richtige Ort für Ästhetik?
Die beste Antwort auf diese Fragen liefern die großen Kriegsphotographen von Capa bis Nachtwey. Das, was ihre Fotos zeigen, ist oft grausam und schlimm und doch sind ihre Bilder sehr ästhetisch. Das macht das Gezeigt nicht weniger schrecklich aber es macht es »sehenswert« und wird so weniger leicht ignoriert als ein trister Schnappschuss von der Front.
Ähnliches haben auch andere Kriegsfilme vorgemacht, unter anderem Apocalypse Now, dessen rauschhafte Bilderflut den gezeigten »Horror!« verstärkt, anstatt ihn zu beschönigen.
Jarhead versucht sich nicht nur an dieses Prinzip, sondern an den gesamten Film Coppolas anzulehnen, wodurch dummerweise seine Schwächen erst richtig erkennbar werden.
So ist unübersehbar, dass der Film zwischen manch großartigen Momenten in belanglose Plattheiten und schlechte Witzchen abrutscht. Auch ist die Personenzeichnung – wie bereits erwähnt – vielfach sehr schlicht und wie aus einem Genrebaukasten für Kriegsfilme zusammengesetzt. Ursache dieser Probleme mag einerseits der zugrunde liegende Tatsachenroman von Antony Swofford sein, der zwar ehrlich und ironisch berichtet, dem aber eine echte künstlerische Überhöhung fehlt.
Andererseits ist auch der Regisseur Mendes nicht frei von Schuld, wenn er etwa seinen geliebten Symbolismus auspackt und die im Wind fliegende Plastiktüte aus American Beauty gegen ein ölverschmiertes Pferd eintauscht.
Oder wenn es ihm einfach nicht gelingen will, die quälende Langeweile und Anspannung – die eigentlich das Hauptthema der Geschichte ist – zu vermitteln, weil seine Figuren ständig mit lustigen Streichen und schrägen Aktivitäten beschäftigt sind. Hier hätte er sich mehr an seinem Vorbild Apocalypse Now orientieren sollen, denn dort ist das Warten, die Ereignislosigkeit, die Langsamkeit tatsächlich eines der zentralen Motive.
Doch das verkennt Mendes ebenso, wie den Einsatz von Musik, der in Apocalypse Now einer nahezu opernhaften Inszenierung dient, während Jarhead dadurch oft in die Nähe von Musikclips rückt. Wenn zum Ende hin dann die durchtrainierten Marines mit nacktem Oberkörper wild feiern, ihre großkalibrigen Waffen in den Himmel entladen und auf der Tonspur dazu Public Enemys »Fight the Power« dröhnt, dann lässt sich das kaum noch von einer typischen Michael Bay/Jerry Bruckheimer Produktion unterscheiden.
In Szenen wie diesen erliegt Mendes endgültigen dem diskreten Charme des Krieges. Krieg, das sind eben (zumindest im Film) immer auch coole Typen, echte Kerle, markige Sprüche, dramatische Zuspitzungen und ein Leben, das in ständiger Nachbarschaft zum Tod, Regeln und Zwänge des normalen Lebens einfach außer Kraft setzt.
Wir neigen dazu, beim Reizwort »Krieg« schnell die Nase zu rümpfen und solch Faszination weit von uns zu weisen. Doch wer kann sich schon Apocalypse Now anschauen und behaupten, die Rolle von Robert Duvall sei nicht cool (was wohlgemerkt aber auch gar nichts mit dem Gutheißen von Krieg zu tun hat)?
Unter anderen Umständen, ohne den Hautgout des Krieges, finden wir dann solche Typen und ihr mörderisches Handeln ganz toll, wenn sie etwa als souveräne Verbrecher auftreten und wir uns in die Welt der Outlaws hineinträumen.
Schwer zu sagen, ob uns Jarhead aus Unvermögen oder mit Berechnung der unreflektierten Faszination der Marines aussetzt. Auf alle Fälle lernen wir so eine Subkultur des Krieges kennen. Wenn man sich von der Vorstellung löst, dass Subkultur immer gegen die bestehende Ordnung gerichtet ist, dann sieht man, dass die Welt der Marines mit ihren eigenen Codes, eigener Sprache, eigenen Musik- und Filmvorlieben, eigenen Ritualen (wie z.B. der »Friendly Torture«) und eigenen Verhaltensregeln durchaus als solche gelten kann. Während etwa Get Rich Or Die Tryin' die Subkultur des Hip Hops massenwirksam aufbereitet, leistet Jarhead ähnliches für einen Teil der amerikanischen Armee.
Jarhead führte den Zuschauer so auf ein schwieriges Terrain zwischen den Fronten. Auf der einen Seite die unverkennbare Kritik, auf der anderen Seite die faszinierte Schilderung des Kriegsalltags.
Das ist Kino gegen einfache Wahrheiten, gegen die Bedienung beliebter (Vor-)Urteile, gegen Schwarz-Weiß-Denken. Solche Filme fordern zum Nachdenken und Reflektieren auf und verstören die bequeme Eindeutigkeit, in der sich der Kinogänger nur zu gerne einrichtet. Alleine deshalb ist Jarhead absolut sehenswert, selbst wenn er nicht (»schon jetzt!«) einer der besten Filme des Jahres ist.