Finnland 1999 · 78 min. · FSK: ab 6 Regie: Aki Kaurismäki Drehbuchvorlage: Juhani Aho Drehbuch: Aki Kaurismäki Kamera: Timo Salminen Darsteller: Sakari Kuosmanen, Kati Outinen, Ona Kamu u.a. |
In ihrem Olymp inmitten rückprojezierter Schäfchenwolken, wo sie mit ihren angeklebten Rauschebärten sitzen, müssen sie einen gnädigen Tag gehabt haben, die Götter des Kinos. Vielleicht war ihnen Asterix & Obelix der Hiobsprüfung vorerst genug, vielleicht waren sie nur gerade gut gelaunt. Auf jeden Fall haben sie uns Cineasten ein Himmelsgeschenk gemacht – und haben sich dazu Aki Kaurismäki zum irdischen Vollstrecker ihres Willens gewählt. Der hatte sich eigentlich schon in die zelluloidlose Wüstenei zurückgezogen und wollte sich gänzlich aufs Vodkatrinken verlegen. Aber nun ist der Eremit zurückgekehrt, um Juha auf die Leinwände zu zaubern.
Die wahre Kunst von Juha besteht darin, uns einmal wieder heilsam daran zu erinnern, was man alles NICHT braucht, um großes Kino zu machen: Kaurismäki (und darin ähnelt er ein klein wenig seinen dänischen Kollegen von der DOGMA 95-Fraktion) setzt mit diesem Film konsequent einen Weg der freiwilligen Beschränkung fort.
Das erste, worauf er verzichtet, ist eine neue Story, ein komplexer Plot. Juha beruht auf einem bereits mehrfach
verfilmten finnischen Roman – und selbst wenn wir das nicht wüßten, die Grundzüge der Geschichte kämen uns auch so bekannt genug vor: Ein glückliches Paar lebt einsam und genügsam auf dem Land, da naht eines Tages der böse Verführer aus der Stadt, umgarnt die Frau, flieht mit ihr – und sie muß bald erkennen, daß die Stadt ein Sündenpfuhl ist, in dem sie zur Dirne gemacht werden soll. Aber ihr Mann eilt zur Rettung – und findet dabei selbst sein tragisches Ende.
Es ist
ein antiquierter Plot, den Kaurismäki selbst nicht ganz ernst nimmt. (Das Auto, das den Bösewicht ins glückliche Leben von Juha und seiner Frau trägt, ist von der Marke »Sierck« – und spätestens da wissen wir unzweifelhaft: Wir sind im Reich des Melodrams.) Zugleich aber ist er in seiner Schlichtheit, in seiner sturen, unausweichlichen Geradlinigkeit (die Kaurismäki unterstreicht, wo er nur kann) von einer seltsamen Reinheit und Größe... – ist für’s Kino fast so
etwas, was für’s Theater die klassische griechische Tragödie ist.
Diesem Umstand gewinnt Kaurismäki – bei aller Bewußtheit für die Naivität der Handlung – eine anrührende Tiefe ab: Wir wissen von Anfang an, daß die Bahnen, auf denen die Figuren ihrem Schicksal entgegengehen, wie in Stein gemeißelt sind. Es geht nur noch darum, ob sie es schaffen, den vorgezeichneten Weg erhobenen Hauptes zu schreiten. Hier ist wieder das bei Kaurismäki so vertraute stoische
Element – das diesmal aber nicht einer aussichtslosen sozialen Realität gegenübersteht, sondern der Erzählkonvention. Und das damit fast etwas Transzendentes bekommt.
Der nächste Verzicht in Juha ist der auf Farbe – der direkt zusammenhängt mit einem weiteren, nämlich dem auf Ton: Juha ist ein schwarzweißer Stummfilm (unterlegt mit Musik und gelegentlichen Geräuscheffekten).
Damit wollte Kaurismäki einerseits den großen Vorbildern aus der frühen Zeit des Kinos Referenz erweisen (wie er überhaupt in Juha oft die Gelegenheit nutzt, mehr oder minder direkt vor
bewunderten Kollegen den Hut zu ziehen). Andererseits ist es aber auch eine konsequente Weiterführung seines eigenen Stils: Die Fortsetzung der Suche nach einer Reinheit des Kinos.
Es ist eine Ästhetik, die für Aki Kaurismäki wie geschaffen scheint: Geredet wurde in seinen Filmen ja ohnehin noch nie viel (was allein schon Grund genug sein sollte, ihn eines fernen Tages zu einem der Heiligen des Kinos zu ernennen) – und seine Art, die Bilder sprechen zu lassen, ist seit jeher
knapp und lakonisch und frei von allen Mätzchen. Juha wirkt, als hätte er nun endgültig allen überflüssigen Ballast abgeworfen.
Da ist nicht nur (selbstverständlich) kein Wort zuviel – auch keine Geste, kein Blick, kein Bild.
Farbe – die er in Wolken ziehen vorüber noch so trotzig bunt an alle Wände geklatscht hatte – würde da nur ablenken vom
Eigentlichen. (Gus van Sant hat ja erst unlängst mit seinem Psycho-Remake augenfällig bewiesen, wie enorm Farbe dem Schwarz-Weiß unterlegen sein kann, wenn sie nicht bewußt und kontrolliert genug eingesetzt wird.)
Der Stummfilmkontext erlaubt Kaurismäki dabei, symbolische Kurzschriften einzuführen, wie er sie bisher so nicht verwendet hat: Als der hinterhältige Verführer Juhas Frau
unter freiem Himmel zu sich aufs Liebeslager zieht, da sehen wir dann nur eine einsame Blüte den Fluß hinabtreiben – und wissen, das in diesem Moment etwas verloren geht. (Ein Bild, das an die Zeiten erinnert, als das, was da konkret passiert, nicht gezeigt werden durfte. Und so sehr ich Zensur verabscheue: Oft hatte und hat sie aber doch den angenehmen Effekt, auch faule Filmemacher zu raffinierteren Lösungen zu zwingen.)
Es ist eine irrealere Bildsprache, als sie Kaurismäki
bisher meist gepflegt hat – aber zugleich eine noch knappere, dichtere. Wobei sich Juha dennoch deutlich von seinen Stummfilm-Vorbildern unterscheidet: Seine Zurückhaltung gibt Kaurismäki nicht auf. Er holt nicht aus zur großen, effektvollen Montagesequenz, er wird auch in melodramatischsten Momenten filmisch nicht exaltiert melodramatisch. Er schürt nicht exzessiv Emotionen wie Griffith, er wird nicht monumental wie Lang, er verklärt und überhöht
nicht wie Dreyer.
Es ist aber gerade diese grundsätzliche Schlichtheit, die im Endeffekt emotionale Wucht entfesselt. Momente, die in jedem anderen Kontext nur noch peinlich oder kitschig auf uns wirken könnten, erhalten da plötzlich Wahrheit und Größe zurück. Wie Juhas Hund dem Bus mit seinem Herrchen hinterherläuft, wie Juha sein Ende findet – nach allen heutigen Regeln müßte man’s unsäglich finden. Und dennoch ist es schlicht ergreifend.
Was Juha darüberhinaus davor bewahrt, zum prätentiösen Debakel zu werden, ist Kaurismäkis typische Schnoddrigkeit. Von den anderen paar wenigen heutigen Regisseure, die ihre Wurzeln noch tief genug in der Kinogeschichte verankert haben, um so einen Stummfilm überhaupt zu bewerkstelligen, hätten wohl die meisten versucht, ernsthaft einen neuen Murnau oder Lang zu stemmen – ein Großprojekt voll Pathos, das unweigerlich peinlich an seinem eigenen
Bierernst erstickt wäre (denken Sie: Wenders). Kaurismäki entgeht dieser Gefahr von vornherein – und ohne, daß er ständig augenzwinkernd distanzierten Unernst signalisieren und den Film zur Stummfilmparodie machen müßte. Er geht nur mit seinem üblichen Maß an meisterhaft dosierter Wurschtigkeit zur Sache, weiß wie immer, wo er mal Fünfe grade sein lassen kann, verzichtet auf Perfektionismus.
Die Ausstattung ist billig zusammengezimmert, die Kostüme teils eher
behelfsmäßig, das Licht selten aufwendig gesetzt, und über allem hängt die Aura von einem, der eigentlich noch viel lieber Vodka trinkt als Filme macht – der aber dann, wenn’s drauf ankommt, mit atemberaubender Sicherheit immer genau die richtige künstlerische Entscheidung zu treffen versteht.
Es gibt Momente in Juha, da geht’s einem wie in den (Stumm-)Filmen von Murnau, Pabst, Griffith, Lang – man fragt sich plötzlich, warum es überhaupt nötig war, Ton- und Farbfilm einzuführen. Da fühlt man: Es ist doch alles da, was Kino wirklich braucht. (Bevor es jetzt Proteste hagelt: Ganz klar – später hat die Filmgeschichte genug Beweise hervorgebracht, daß diese technischen Errungenschaften auch künstlerisch zum Segen gereichen können.)
Da merkt man erst wieder, wie bequem und fad gar zu viele Filmemachergeworden sind, denen man erlaubt, mit der gigantischen Modelleisenbahn Kino (um Orson Welles Vergleich zu verwenden) zu spielen – und die sie immer nur im selben Oval kreisen lassen, ohne voller Dankbarkeit die endlosen Möglichkeiten auszuschöpfen, die ihnen da zur freien Verfügung gestellt werden. Oder die sich völlig erschöpfen im selbstverliebten Basteln an der Technik.
Was Kaurismäki freiwillig
macht, dazu sollte man etliche Regisseure einmal zwingen. Man sollte ihnen einen Großteil ihres Spielzeugs erstmal wegnehmen, damit sie es wieder zu schätzen lernen – und damit sie einmal zu jener Konzentration genötigt sind, die sich einstellt, wenn man das Spiel von Grundauf neu lernt.
Wie viele von ihnen unter diesen Bedingungen in der Lage wären, ein ansehnliches Ergebnis zu produzieren, ist heute wohl eher fraglich. Wenigstens aber gibt es überhaupt noch Leute wie
Kaurismäki – und Filme wie Juha. Und dafür sollten wir den Kino-Göttern innigst danken.
Amen.
Kaurismäkis neuer Film ist ein reinrassiger Stummfilm mit Musikuntermalung. Das überrascht zunächst wenig, zeichneten sich doch die besten Arbeiten des finnischen Regisseurs, wie Ariel oder Das Mädchen aus der Streichholzfabrik durch eine ausgesprochene Dialogarmut aus. Fast entschuldigend schreibt der Regisseur im Begleitheft zum Film, etwas Stille könne heutzutage, wo die Menschen unentwegt und ohne Grund reden, nicht schaden. Dabei ist es genau die Stille, die in Juha im Vergleich zu seinen vorherigen Arbeiten fehlt. Ganz stummfilm-typisch sorgt nämlich der durchgehende, melodramtisch-schwermütige Score von Anssi Tikanmäkis für den notwendigen Spannungsauf- und abbau und eine konstante Musikuntermalung.
Aber auch sonst merkt man Juha in jeder Sekunde an, daß Kaurismäki sich genau mit den Stummfilmvorbildern auseinandergesetzt hat. Alles stimmt bis auf genaueste: Übertriebene Gesten, weit aufgerissene Augen, verzerrte Grimassen, plakatives Make-up und grelle Szenenausleuchtung mit harten schwarz-weiß Kontrasten lassen eine vergangene Filmära wieder auferstehen. Auch die Story selbst ist Stummfilm-typisch simpel gehalten und basiert auf dem bereits dreimal verfilmten Roman des finnischen Autors Juhani Aho. Es handelt sich um eine klassische Dreicksgeschichte zwischen dem einfältigen Bauer Juha (Sakari Kuosmanen), seiner Frau Marja (Kaurismäki-Veteranin Kati Outinen), und dem reichen Großstädter Shemeikka (André Wilms). Letzterer bleibt mit seinem Sportwagen in der Nähe des Bauernhofes liegen, und bedrängt Marja sogleich, den hinkenden Juha und die ärmlichen Verhältnisse zu verlassen, um mit ihm in die Stadt zu kommen. Marja läßt sich schließlich überzeugen, und das Drama nimmt seinen Lauf. Von dem Moment an, als Shemeikka nach dem ersten Geschlechtsverkehr mit Marja am Flußufer einen sich niedersetzenden Schmetterling brutal mit seinem Absatz zerquetscht, ist klar, daß die Idylle nur von kurzer Dauer sein wird. In der Stadt angekommen stellt sich Marheikka als geldgieriger Zuhälter heraus, der Marja in ein Bordell verschleppt. Nur Juha kann jetzt wieder für Recht und Ordnung sorgen.
Kaurismäkis Film ist eine perfekte Stummfilm-Kopie. Im Gegensatz zu seinen früheren Filmen ordnet er sich ganz dem Diktat der alten Meister unter, und verzichtet mit Ausnahme einiger Geräuscheffekte auf jegliche eigenen Ideen oder Abweichungen von den Originalen. Somit ist Juha auch Kaurismäkis bisher ungewöhnlichster Film: Zeichneten sich seine vorherigen Arbeiten vor allem durch einen eigenständigen Stil, präzis-trostlose Milieuschilderungen und einen lakonischen, trockenen Humor aus, so ist in Juha nichts mehr davon zu sehen. Juha ist ein reines Melodram, eine Kopie, die bis ins letzte Detail stimmig ist, aber trotzdem nichts weiter als eine Kopie bleibt, und kein Eigenleben entwickelt. So wirken die Personen durchgehend seltsam blaß und vom Betrachter entfernt. Das Resultat ist eine Gleichgültigkeit, die sich bald auf den gesamten Film und seine Geschichte überträgt. Juha enthält keine neuen, eigenen Ideen, und schafft es deshalb im Gegensatz zu anderen Stummfilm-Reverenzen wie Charles Lanes Sidewalk Stories oder Mel Brooks Silent Movie nicht, einen Bezug zur Gegenwart herzustellen. Der Film ist deshalb nichts weiter als ein Gesellenstück, ein seelenloser, leerer Beweis für Kaurismäkis beachtliche technische Fähigkeiten.