Deutschland 2014 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Jochen Alexander Freydank Drehbuchvorlage: Franz Kafka Drehbuch: Jochen Alexander Freydank Kamera: Egon Werdin Darsteller: Axel Prahl, Kristina Klebe, Josef Hader, Devid Striesow, Robert Stadlober u.a. |
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Axel Prahl im Bau |
2009 hat der deutsche Regisseur Jochen Alexander Freydank den Oscar für den besten Kurzfilm für den zu NS-Zeiten spielenden Spielzeugland erhalten. Jetzt folgt mit Kafkas Der Bau Freydanks Spielfilmdebüt. Obwohl das Psychodrama den Namen des großen böhmischen Autors explizit im Titel trägt, ist der Film nur eine sehr lose Adaption einer kurzen Erzählung Kafkas, bei der zudem das Ende verschollen ist. Bei Kafka ist »Der Bau« ganz wörtlich zu verstehen, als der aus weitverzweigten Gängen bestehende Bau eines Dachses oder eines Maulwurfes. Um welches Tier es sich genau handelt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da »Der Bau« aus der Ich-Perspektive des Erbauers heraus erzählt ist. Aufgrund dieser subjektiven Perspektive kann der Bau bei Kafka auch als ein reines Fantasiegebäude des Erzählers interpretiert werden.
Bei Freydank wird Kafkas Dachs zu dem Banker Franz (Axel Prahl). Der zieht im Alter von knapp 50 Jahren mit seiner Familie in eine großzügige Eigentumswohnung in einem hochmodernen und komplett videoüberwachten Hochhaus ein. Franz' langgehegter Traum vom hemmungslosen Cocooning scheint endlich wahr geworden zu sein: Jetzt hat er sein eigenes Reich – einen eigenen Bau – in den er sich komplett von der ungeliebten Außenwelt abschotten kann. Doch immer stärker mehren sich die Anzeichen dafür, dass mit dem Gebäude etwas grundlegend nicht in Ordnung ist. Hinzu kommt, dass sich Franz von einem Unbekannten verfolgt wähnt. Zunehmend paranoide schleicht er mit einer Digicam bewaffnet im Gebäude herum und observiert verängstigt den Hauseingang.
In der Art, wie Freydank die allgemein beklemmende Stimmung und Franz' zunehmenden Wahn visuell umsetzt, liegt die große Stärke des Films. Die stark farbentsättigten Bilder verstärken das Abweisende dieser Welt. Nur einzelne Farbakzente fokussieren den Blick auf besonders mit Bedeutung aufgeladene Objekte. »Der Bau« ist eine modernistische Kiste, die fast wie ein überdimensionaler Container wirkt: Das Gebäude erscheint von außen in knalligem Rot. Im Inneren dominieren ein kaltes Grau und Stahlblau. Das hier etwas entschieden nicht stimmt, deutet sich bereits früh anhand von in die Handlung eingestreuten Bildern an. Diese zeigen, wie irgendwo im Gebäude Obdachlose in dunstigen Räumen kniehoch durch Wasser waten. Ihr träger Gang geht vorbei an Dreck, Gerümpel und an achtlos liegengelassenen Leichen.
Vor dem Gebäude treten Sicherheitsmänner lachend einen wehrlosen Penner zusammen. Innen wird Franz von einem sinister grinsenden Mann empfangen, der den Neuankömmling kichernd mit den Worten begrüßt: »Seine Nachbarn kann man sich ja nicht aussuchen.« Je mehr Franz' Paranoia zunimmt, desto stärker kippen die Winkel seiner Wohnung, sowie der Flure und des Treppenhauses expressiv aus der Horizontalen heraus. – »Dutch Angle« nennt man das in Hollywood, wobei mit »dutch« eigentlich nicht niederländisch, sondern »deutsch« gemeint ist. Rüdiger Suchsland zeigt in seiner Dokumentation Von Caligari zu Hitler, worauf sich dieser Ausdruck ursprünglich bezog: der deutsche Expressionismus der Weimarer Republik. – Aber dies nur am Rande.
In den gelungensten Momenten kommt in Kafkas Der Bau tatsächlich eine genuin kafkaeske Atmosphäre auf. Leider wird jene immer dann empfindlich gestört, wenn Franz seinen Mund aufmacht. Damit ist nicht gemeint, dass Axel Prahl mit seiner Rolle überfordert wäre. Ganz im Gegenteil gelingt es dem Mimen exzellent, die sehr verschiedenen Facetten seiner Figur erfahrbar zu machen. Nur leider ist Prahl das Opfer einer kreativen Fehlzündung von Seiten Freydanks. Der Filmemacher legt seinem Protagonisten nämlich immer wieder lange Passagen aus Kafkas Originaltext in den Mund, die Franz undeutlich vor sich hin nuschelt, während er den beständig zunehmenden Auswüchsen seiner Paranoia frönt. Hier will Freydank offenbar zeigen, dass er ein wahrer »auteur« ist und zerstört so wieder das, was er bereits aufgebaut hatte. Es scheint fast so, als ob auch Freydank ein wenig orientierungslos durch den von ihn errichteten Bau – welcher der Film selbst ist – schwankt.
In seiner im Verlaufe der Handlung zunehmenden Desorientierung, vermag sich der Filmemacher auch immer weniger entscheiden, ob jetzt nur Franz einen kräftigen Sprung in der Schüssel hat oder ob nicht doch gleich die ganze Gesellschaft den Bach hinuntergeht. Und da er sich nicht so recht entscheiden mag, zeigt Freydank einfach gleich beides. Daraus entsteht kein Zuwachs an Komplexität, sondern ein rapide zunehmender Schwund an Klarheit. Was als eine starke Parabel begonnen hat, gerinnt so zunehmend zu einer diffusen Soße. Es heißt zwar, dass viel Köche den Brei verderben. Aber in diesem Fall hätte Freydank wahrscheinlich besser daran getan, wenn er einen Drehbuchautor zu Hilfe gezogen hätte, um seinem kafkaesken Geköchel eine prägnante Note zu verleihen.