Deutschland 2010 · 88 min. · FSK: ab 16 Regie: Alexander Adolph Drehbuch: Alexander Adolph Kamera: Jutta Pohlmann Darsteller: Christian Berkel, Bibiana Beglau, Leo Conzen, Jule Ronstedt, Elisabeth Krojer u.a. |
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Da hilft nur noch: vor sich hinstarren |
»Der Barbar hat es leicht, gesund zu sein, für den Kulturmenschen ist es eine schwere Aufgabe.« – Sigmund Freund
Männer sind jetzt auch krank. Endlich! Burnout heißt das neoliberale Update des alten Gefühls der Melancholie, sozusagen die egalitäre Variante eine aristokratischen Gefühls. Jason Reitmans Up in the Air machte daraus vor zwei Jahren noch eine Komödie; Alexander Adolphs neuer Film, Der letzte Angestellte, erzählt davon jetzt in Form eines Horror-Psycho-Thrillers und führt uns damit mitten ins Herz unserer Pathologie-Gesellschaft.
Ralf Rangnick war sozusagen die Kirsche auf der Sahne jenes kollektiven Modekuchens, den wir unter dem Namen »Burnout« kennen. Jetzt beeilen sich alle, ihr Coming-out nachzulegen. Volkskrankheit. Modekrankheit. Die Gesellschaft brennt kollektiv aus. Burnout ist hip, denn wir alle können uns damit als Kapitalismusknechte beschreiben – und gleichzeit noch im Narzißmus des Leistungszwangs sonnen: Denn Ausbrennen kann nur, wer vorher gebrannt hat. Oder umgekehrt: Wer kein
Burnout kennt, der hat nie gebrannt. Und das geht doch nicht!!
Die Zahl psychisch Erkrankter steigt seit Jahren rapide – das melden zumindest alle Medien. Waren es 2006 noch 157 Tage pro 100 Versicherten, die Arbeitnehmer wegen einer psychischen Erkrankung nicht an ihrem Arbeitsplatz verbringen konnten, schnellte der Wert 2010 auf 196 hoch. Immer mehr Menschen sind wegen Stress, Depressionen und Burnout arbeitsunfähig. Die Zahl der Frühverrentungen steigt. Den Betroffenen
droht ein Leben in Armut.
Das ist kein Zufall, sondern hat politisch-soziale Methode: Unsere Welt im 21. Jahrhundert ist weder eine »Risikogesellschaft« (Ulrich Beck) noch eine »Erlebnisgesellschaft« (Gerhard Schulze), sondern eine Pathologie-Gesellschaft. Krankheit definiert unser Sein, unser soziales Zusammenleben und formiert unsere gesellschaftlichen Strukturen. Bereits in seiner Studie »Das erschöpfte Selbst« analysierte der französische Soziologe Alain Ehrenberg die Überforderung des
Einzelnen: »Die Depression ist die Krankheit einer Gesellschaft, deren Verhaltensnorm nicht mehr auf Schuld und Disziplin gründet, sondern auf Verantwortung und Initiative. ... Sie speist sich aus dem Gefühl der Überforderung in einer Welt, in der alles möglich sein soll.«
Insofern kommt Alexander Adolphs subtiler Psychothriller Der letzte Angestellte genau zur richtigen Zeit. Und insofern ist es eine Ironie des Schicksals, dass die missliche Lage der
deutschen Filmlandschaft hier einmal dafür sorgt, dass ein Film, der fast zu früh fertig war, pünktlich in die Kinos kommt.
Das Büro ist leer, so wie es sein soll. Alle Angestellten sind entlassen. Rationalisierung bis zum Nullpunkt. Eigentlich müsste David Böttcher (Christian Berkel) glücklich sein, denn er hat seinen Job getan. Endlich wieder. Der gelernte Jurist war mehrere Jahre arbeitslos, und hatte nach seinem beruflichen Aufstieg auch als Patient Karriere gemacht, unter anderem in der Psychiatrie. Wegen Angstzuständen war er dort länger in Behandlung. Das soll jetzt alles vergessen sein. Aber wir Zuschauer wissen es besser: Schon von Anfang an entpuppt sich David als Sensibelchen, definitiv der falsche Mann an diesem Ort. Manchmal flackert das Licht im leeren Office, manchmal rauscht das Radio. Die Gattin dreht an der Schraube des Erwartungsdrucks. David will ja kein Versager sein. Gewissensbisse und Sozialkritik. Dann wieder Atmosphäre: Türen schließen von allein, das Böse ist immer und überall und Zombie-Geister sind im Großraumbüro. Höllenfahrt. Die böse Schwiegermutter nervt, aber sie weiß wie wir: Und längst schon knabbern Angst und Krise an Davids Seele. Eine derjenigen, denen er gekündigt hatte, hat ihn beschimpft. Und David war schwach, man könnte auch sagen: menschlich. Er hat sie nach Hause gebracht, war gar zu nett. Trotzdem hat sie sich aufgehängt. Und lebt jetzt weiter in seinen Alpträumen. Oder ist das Gespenst etwa real? Sind wir nicht in einem deutschen, sondern in einem japanischen Horrorfilm, wo man die Präsenz des Transzendenten ganz anders zu akzeptieren gelernt hat. David kämpft gegen den Goliath, und man weiß, wer hier der Stärkere ist. Aber das kann nicht gut gehen. Nicht in diesem Film.
Ein Film, der – was weniger oft vorkommt, als es die Leute schreiben – zum Nachdenken anregt. Was für Gedanken löst er aus?
Zum Beispiel den: Wie gut Adolph die moderne Arbeitswelt samt Optimierungswahn und Flexibilitätsanforderungen auf die Leinwand bringt. Etwas mehr Exzess wäre zwar wünschenswert, nach Außen gekehrt sie man hier nur die Depression, während der Stress verinnerlicht ist. Adolph zeigt Selbstausbeutung, grassierendes Mobbing und viel, viel Stress. In den eiskalten Arbeitsbildern, ist der alltägliche Wahnsinn zu Hause. Wie groß dieser Wahnsinn ist, das beginnt das Kino gerade erst für sich zu entdecken: Beim Dokumentarfilmfestival von Leipzig lief kürzlich ein überaus bemerkenswerter Dokumentarfilm aus Deutschland: Work Hard – Play Hard von Carmen Losmann. Abgründige Innenansichten aus der Welt der Manager und ein detailliertes, facettenreiches Portrait entfremdeter Arbeit: Die »non-territorialen Arbeitsplätze« der Grossraum-Büros – »workplace 2.0« sagt ein Volldepp im Anzug – sind in Rot, Weiß und Orange ausgestattet, aber »keine Braunfarbtöne, die viel zu sehr an ein Zuhause erinnern. ... ein Stück Nest, Heimat, im Rahmen eines Business-Umfelds«. In die Räume kommt man nur noch mit irgendwelchen bescheuerten Chipkarten; die Flow-Theorie, der neueste Schrei; vor allem die Managersprache dazu, in der von »einem hohen Maß an Lösungsgeschwindigkeit« die Rede ist, von »besser und verstärkter kommunizieren«, »Prozesse zielführender erledigen«, die wie eine Sekte ein eigenes isoliertes Bezugssystem aufbaut, in dem die, die diese Sprache sprechen, sich bald verheddern, und den Ausweg vergessen.
Oder den Gedanken: Es ist am Ende doch wohl eine fromme Lüge des Kinos und der Kunst überhaupt, dass sie uns immer wieder – wie hier in dieser David-Figur – diese Funktionsträger des Neoliberalismus als heimliche Moralisten vorführt, behauptet, sie hätten alle haufenweise Gewissenbisse. Haben sie nämlich nicht! Sie glauben an das, was sie tun, das gerade macht sie zu Horror-Figuren. Im Einzelnen mag das immer richtig sein, im Ganzen ist es aber immer falsch. Es zeigt uns ein schiefes Bild, es färbt schön. Das Kino sollte uns, will es ehrlich sein, mehr Arschlöcher zeigen. Mehr Gläubige, Fundamentalisten des Marktes, nicht Zweifler und Agnostiker. Natürlich liegt dies nicht daran, dass die Regisseure dies nicht wollten, sondern daran, dass ihnen keiner in Förderung und Fernsehen solche systemkritischen Stoffe finanziert.
Schließlich: Vielleicht sind wir weiterhin nur Hysteriker. Und nun herrscht eben eine Weile die Burnout-Hysterie, bis zum nächsten Modethema. Burnout ist aber ein überaus schwammiger Begriff. Anerkannte Diagnosekriterien fehlen. Nicht jeder, der sich müde fühlt, und mal Urlaub braucht, hat »Burnout«.
Dazu noch einmal Ehrenberg: »Ich glaube nicht, dass Gesellschaft auf unmittelbare Weise psychische Pathologien verursacht. Wenn es heute um geistige Gesundheit geht, geht es
nicht mehr nur um Gesundheit, sondern auch um die Gesellschaftlichkeit des modernen Menschen.«
Literaturhinweise: