USA 1997 · 113 min. · FSK: ab 12 Regie: Alan Rudolph Drehbuch: Alan Rudolph Kamera: Toyomichi Kurita Darsteller: Julie Christie, Nick Nolte, Lara Flynn Boyle, Jonny Lee Miller |
Hätte man im achtzehnten Jahrhundert das Wort Yuppie gekannt, auf ihn hätte es wohl zugetroffen: Lord Byron, Wunderkind der Londoner Literatenszene, Bestsellerautor. »Mad, bad and dangerous to know« wurde er genannt und sein Charisma grenzte ans Unheimliche.
Jeffrey Byron the 3rd ist ebenso jung, ebenso professionell, ebenso erfolgreich wie sein legendärer Namensvetter. Lediglich mit dem Charisma hapert es und mit der sexuellen Potenz. Hölzern wirkt das pflichtbewußte Kompliment an die Sekretärin, und doch möchte Jeffrey gar zu gerne der Verführer sein, charmant, und unwiderstehlich. Manchmal träumt er davon, das Unmögliche zu tun. Dann tritt er auf den Balkon seines noblen Büros hoch über den Straßen von Montreal und balanciert auf dem Geländer. Der Tanz über dem Abgrund muß kompensieren, was Jeffrey unter allen Umständen zu meiden sucht: das Abenteuer des Alltags.
Ehefrau Marianne dagegen möchte den Sprung in die Zukunft, das Ungewisse, vor allem ein Kind. Mit oder ohne Jeffreys Hilfe. Da kommt der Handwerker Lucky Fix-it Mann gerade recht. Der nämlich hat Glück bei den Frauen. Und während Lucky seine Eroberungen ins Ritz führt, sitzt Ehefrau Phyllis zuhause auf dem Sofa und sieht alte Horrorfilme im Fernsehen. Eine menage à quatre entwickelt sich, die das Leben der Beteiligten nachhaltig verändern wird. Alle Träume aber können sich nicht erfüllen. Als Schlußbild bleibt eine Vision: das Gesicht der verlorenen Tochter der Manns.
Jeffrey Byron the 3rd ist kein Dichter. Dennoch ist Afterglow ein poetischer Film. Altmeister Alan Rudolph zelebriert Kino in der subtilen Bildgewalt eines G.W. Pabst, mit dem Zartgefühl der Personenzeichnung eines Edgar J. Ulmer. Rudolphs Umgang mit dem Medium ist selten geworden angesichts der sinn- und sinnlichkeitslosen Overkill-Produktionen eines Steven Spielberg und Konsorten. Gegen das technische Bombardement der Industrial Lights and Magic setzt Rudolph eine ganz andere, ungleich verführerische Magie der Bilder, die ohne Spezialeffekte auskommen. Rudolph hat Zeit für seine Charaktere, führt die Kamera in langen, ruhigen Einstellungen. Und immer wieder wird deutlich, daß diese stillen Momente ebenso viel, vielleicht mehr bewirken können zwischen den Menschen als amoklaufende Saurier, Wirbelstürme, Erdbeben oder Vulkanausbrüche.
Unter der Oberfläche brodelt es aber auch in Afterglow. Seit sich Jennifer Jones und Gregory Peck in King Vidors Duel In The Sun über das Reiten unterhielten, waren Dialoge nicht mehr so eindeutig zweideutig. Damals freilich waren es die Zensur und Produktionsbedingungen, die eine derartige Kodierung verlangten. Fast ein halbes Jahrhundert später zensieren sich die Charaktere selbst. Rudolph ist ein genauer Beobachter. Wo alles gesagt werden darf, kann man sich nicht mehr ausdrücken, aus Furcht vor der Ablehnung, aus Angst vor dem Versagen. Oder einfach nur aus Spaß an der Doppelbödigkeit.
Afterglow ist ein intensiver, ein dichter Film. Selten gelingt die Ausgewogenheit zwischen Komischem und Traurigem, zwischen Anrührendem und Ernüchterung, zwischen Optimismus und Pessimismus in vergleichbarer Weise. Wo der deutsche Verleihtitel Liebesflüstern allerdings eine heiter-banale Komödie vermuten lassen könnte, spiegelt der Originaltitel die Atmosphäre des Films weitaus treffender: etwas Melancholisches liegt über Afterglow, die Nostalgie einer bittersüßen Erinnerung an flüchtige Glücksmomente. Etwas wie der leise verklingende Ton eines Jazz-Saxophons.
Rudolph interessiert sich für Menschen und ihre Geschichten. Zu keinem Zeitpunkt bleiben die Manns und Byrons eindimensionale Zelluloidcharaktere. So gegensätzlich sie auch sein mögen, so unterschiedlich, ja konträr ihre Ängste und Hoffnungen: Rudolph fällt keinen Schuldspruch, verteilt keine Sympathiepunkte. Letztendlich können wir jeden Einzelnen ins Herz schließen, verstehen. Dies liegt nicht zuletzt an der hervorragenden Besetzung. Trainspotting-Star Jonny Lee Miller und die Twin Peaks-erprobte Lara Flynn Boyle verleihen dem Ehepaar Byron trotz Designerappartement und aalglatter Fassade eine liebenswerte, fast kindliche Unschuld. Nick Nolte spielt den Herzensbrecher Lucky Mann mit rüdem Charme und einer Lebensphilisophie, die die Amerikaner street wise nennen würden. Großartig schließlich Julie Christie, die unlängst erst in Kenneth Branaghs Hamlet brillierte. Mit ihrer Darstellung der Phyllis Mann dürfte sie sich endgültig als Grande Dame des Films erwiesen haben.
Publikum und Kritik gingen in jüngster Vergangenheit nicht gerade glimpflich um mit Alan Rudolph. Mrs. Parker And Her Vicious Circle fand nicht allzuviel positive Resonanz. Umso erfreulicher, daß Produzent Robert Altman nicht auf Einspielergebnisse schielt und weiterhin sein Vertrauen in Rudolph setzt. Afterglow ist großes Kino, ist Emotion und Intimität, ist magisches Kino. Es steht zu hoffen, daß das Publikum den lohnenden Versuch wagt, sich auf diese Magie einzulassen. Denn wenn es Filme wie Afterglow und Regisseure wie Alan Rudolph nicht mehr gibt, wenn sie die Saurier überrannt und die Twister verweht haben, wird das Kino viel verlieren: das Zauberhafte und das Schwerelose, das so mühelos die Brücke schlägt zwischen Leinwand und Zuschauerraum. Afterglow ist ein Meisterwerk.