Großbritannien 2004 · 105 min. · FSK: ab 0 Regie: Shona Auerbach Drehbuch: Andrea Gibb Kamera: Shona Auerbach Darsteller: Emily Mortimer, Gerard Butler, Sharon Small, Jack McElhone u.a. |
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Jack McElhone als Frankie |
Vom ersten Moment an, in dem wir Lizzie sehen, ist sofort klar, sie flüchtet vor etwas. Die Art des Gangs und die Länge der Schritte, der eilige aber wachsame Ausdruck ihrer Miene: alles deutet darauf hin. Ihren neunjährigen, tauben Sohn Frankie sowie ihre mürrische Mutter Nell im Schlepptau, geht’s per Minivan mit wenig Gepäck, in den womöglich letzten Winkel einer schottischen Küstenstadt. Ein Lüge ist der Grund für diese Flucht, die Lüge einer Mutter, die ihrem Kind vormacht sein Vater arbeite auf hoher See und könne deshalb nicht bei der Familie sein. Letztendlich bedeutet dies aber auch Flucht vor der Vergangenheit und der Gefahr, der Vater könne ihnen auflauern.
Frankie ist eigentlich ein ganz normaler Junge. Gut, er ist gehörlos und deshalb auch ein wenig verschroben, aber er geht zur Schule und findet Anschluss. Das Fehlen seines Vaters und die ständigen Umzüge gehen aber nicht spurlos an ihm vorüber. In sich gekehrt verbringt Frankie viel Zeit in einer Fantasiewelt, einer Welt der Seefahrt, des Meeres und der Vorstellung seinen Vater zu treffen. Mit kleinen Fähnchen, die er auf eine Weltkarte spickt, wird die Route des Schiffes genau verfolgt. Weder Schiff noch Vater sind Hirngespinste, doch die Kombination dieser, ist eine geschickt fingierte Aktion der Mutter, ihrem Sohn den Vater vorzuenthalten. Briefe mit abenteuerlichen Seemannsgeschichten, die in Wirklichkeit Lizzie verfasst, sind einziges Mittel diese Fiktion aufrecht zu erhalten. Was jahrelang ganz gut funktionierte wird zum Verhängnis, als das mutmaßliche Schiff im lokalen Hafen einlaufen soll. Ihre Angst vor der Wahrheit und ihre Unfähigkeit, sich der Lüge zu stellen, treiben Lizzie dazu, über ihre Freundin Marie einen Mann zu engagieren, der für einen Tag den Vater spielen soll. So tritt der Unbekannte in das Leben der Kleinfamilie, der nicht nur Frankies Lebensfreude und Herz aufblühen lässt, sondern auch das der Mutter in Wallung bringt. Unvermittelt taucht der richtige Vater wieder auf, der sterbend nur einen Wunsch hat, noch ein letztes Mal seinen Sohn zu sehen.
Shona Auerbachs Film feierte unter Jubel beim Tribeca Filmfestival seine Premiere. Bei Un Certain Regard in Cannes stieß er bei Kritikern aber auf weniger Zustimmung. Für die positive Aufnahme beim Publikum spricht sicherlich die sich stetig aufbauende Atmosphäre. Wirken die Aufnahmen auf den ersten Blick recht kühl – raue Küstenlandschaft, triste Wohngegend oder auch die spartanisch eingerichtete Wohnung –, so sind es die Charaktere, die wie eine Fackel in einer Höhle, Wärme und Licht in den Film bringen. Angefangen mit der ausdrucksstarken Leistung des jungen Jack McElhone, der dem gehörlosen Frankie viel Charisma durch bloße Mimik und Körpersprache einhaucht, über Emily Mortimer (Lizzie) die einmal mehr zeigt, dass sie zu Englands besten Schauspielerinnen gehört, bis hin zu Gerard Butler. Zuletzt in der Titelrolle von Joel Schumachers Phantom der Oper zu sehen, mimt er hier souverän (mehr gibt die Rolle aber auch nicht her) einen selbstlosen sowie charismatischen Retter in der Not. Dass der Film dennoch seine Tücken hat, liegt an der teilweise dünnen und konstruierten Story. Warum zieht die Familie gerade an den Heimathafen des Schiffes, auf dem angeblich der Vater arbeitet, vor dem man flüchtet? Auch ein Job fliegt der Protagonistin mal eben zufällig ins Haus bei dem gleichzeitig auch die neue beste Freundin im Paket dazu gehört. Storytechnisch treiben diese Zufälle den Film voran, aber sehr realistisch und ausgewogen wirken sie dabei nicht. Wer sich daran nicht stören mag, bekommt dennoch einen atmosphärisch dichten Film geboten, der passend zur Jahreszeit, die warmen Gefühlsregionen anregt.