Frankreich 2003 · 94 min. · FSK: ab 16 Regie: Yann Samuell Drehbuch: Jacky Cukier, Yann Samuell Kamera: Antoine Roch Darsteller: Guillaume Canet, Marion Cotillard, Thibault Verhaeghe, Joséphine Lebas-Joly u.a. |
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Vertreibung aus dem Paradies |
Manchmal ist das Leben unerträglich. Z.B., wenn man noch ein kleiner Junge ist und die Mutter im Sterben liegt. Oder wenn man ein »Polacken«-Mädchen ist, dem die Kinder den Schulranzen auskippen. Manchmal hilft dann nur noch eines: eine eigene Welt bauen, mit eigenen Regeln und eigenen Prioritäten.
Genau das machen Julien und Sophie, zwei 8-jährige Dreikäsehochs, Freunde fürs Leben, die es faustdick hinter den Ohren haben. Das Spiel, dass sie spielen heißt Top oder Flop, Cap ou pas cap? – ein Reigen tollkühner Wetten, Streiche und Mutproben, zu denen Sie einander herausfordern. Wer traut sich mehr? Wer sagt »cap(able) – Das schaff' ich« zum nächsten Streich? Der Hauptgewinn ist das Gefühl, gemeinsam unverwundbar zu sein, mit einer Blechbüchse im Karusselldekor als Wanderpokal. Dafür nehmen die Kinder einiges in Kauf: Rügen, Strafen, Schläge – egal. Alles prallt an ihnen ab, solang nur das Spiel in die nächste Runde geht. Und wenn sie erst mal groß sind, will er Tyrann werden und sie ein Pudding.
Anfangs zielt der Schabernack der Unzertrennlichen vor allem auf die Erwachsenen. Julien pinkelt ins Büro des Schulrektors, Sophie ruiniert mit seiner Hilfe die Hochzeit der Schwester. Doch das Blechkarussell dreht sich unerbittlich: Je älter Sophie und Julien werden, desto perfider werden die Aufgaben. Immer öfter sind sie selbst die Opfer. Irgendwann steht Sophie im Abendkleid mit verbundenen Augen auf den Schienen – und ein Zug braust heran. Sie riskieren alles – außer einander ihre Liebe zu gestehen. Und mit jeder neuen Runde wird der Absprung aus dem sich hochschaukelnden Spiel schwieriger.
Ersonnen wurde die bitterböse Liebesgeschichte von dem Illustrator Yann Samuell. Phantastische Effekte sind sein Metier, und so strotzt das Erstlingswerk von wunderbar kunterbunten Traumsequenzen und schrägen Ideen. Gern wird der Film mit Amélie verglichen. Doch während in Jeunets Universum versponnene Romantik den Ton angibt, wird Samuells Film im Laufe der Handlung immer härter und kälter. Wo Jeunet einen Film schaffen wollte »der die Menschen glücklich macht«, streut Samuell boshaft Unbehagen. Er hält dem Zuschauer einen Zerrspiegel vor, der zeigt, was aus Liebenden wird, wenn sie sich in Machtspielchen aufreiben.
Im Rausch der visuellen Effekte und mit wachsender Lust am grausamen Spiel geht die Empathie mit den Figuren allerdings zunehmend verloren. Fasziniert, doch seltsam ungerührt schaut man dem selbstzerstörerischen Treiben der beiden Starrköpfe zu. In der ersten wie der letzten Einstellung ragt das kostbare Blechkarussell mahnend aus erstarrtem Beton. Wenn es in diesem düsteren Liebesfilm ein Happy-End gibt, so ahnt man, dann nur ein rabenschwarzes. Wetten dass?