Deutschland/F 2014 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Christoph Hochhäusler Drehbuch: Christoph Hochhäusler, Ulrich Peltzer Kamera: Reinhold Vorschneider Darsteller: Florian David Fitz, Lilith Stangenberg, Horst Kotterba u.a. |
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Bewusster Scherenschnitt |
Man könnte schon verzweifeln, wenn man sich diesen Gegensatz einmal so richtig vor Augen hält: eine sich zunehmend mit dem Privaten verzahnende wirtschaftspolitische Landschaft mit all ihren natürlichen Krebsgeschwüren, aber kaum ein Filmemacher, der sich dieser gefährlichen Entwicklung annimmt. Zumindest in Deutschland. Schon allein deshalb ist Christoph Hochhäuslers Die Lügen der Sieger eine echte Bereicherung.
Dabei ist es nicht Hochhäuslers erster Versuch dieser Art. Konzentrierte sich Hochhäusler allerdings in Unter dir die Stadt auf ein Porträt der Hochfinanz und ihrer Konstruktion von Macht und deren Auswirkungen auf die intimsten Lebensbereiche, erweitert er in Die Lügen der Sieger sein Blickfeld und erzählt von der Konstruktion von Wahrheit in unserer von digitalen Transparenz durchsetzten Gegenwart.
Ganz verzichtet Hochhäusler allerdings nicht auf die Mechanismen seines früheren Films. Auch in seinem neuen Werk stehen Stellvertreter der Wirtschaft im Zentrum der Kritik. Doch ist es dieses Mal nicht die vermeintlich glitzernde Welt der Banker, sondern die der im Verborgenen agierenden Lobbyisten, die die Grenzen zwischen Legalität und illegalem Handeln aufzulösen versuchen. Hochhäusler platziert um diesen Tatbestand die Geschichte des investigativen Reporters Fabian (Florian David Fitz) und seiner Praktikantin Nadja (Lilith Stangenberg), die versuchen, den vermeintlichen Konstruktionen von Wahrheit auf die Spur zu kommen, dabei aber selbst zunehmend ins Strudeln geraten.
Passenderweise bedient sich Hochhäusler dafür aus dem Repertoire des Genres »Politthriller«. Es gibt verdeckte Übergaben, geheime Beobachtungen, grell kontrastierende Lebenswelten und durchgehend stereotyp gezeichnete Charaktere: Fabian ist der einsame Wolf, der mit niemandem zusammenarbeiten möchte und er ist auch noch Spieler und Vintage-Porsche-Fahrer – mehr geht eigentlich kaum. Das gleiche gilt für das übrige Personal, das durchgehend scherenschnittartigen Abziehbildern gleicht. Durch diese Überzeichnungen wird schnell deutlich, dass es Hochhäusler nicht nur um eine Kritik unserer wirtschaftspolitischen Realität und der Glaubwürdigkeit medialer Wahrheiten geht, sondern auch um die Dekonstruktion des Genres Polit-Thriller: Da, wo gemeinhin das Tempo angezogen wird, verlangsamt Hochhäusler; da, wo sonst Fakten stehen, gibt es plötzlich Leerstellen und da, wo standardmäßig eine tiefere charakterliche Schraffur erwartet wird, operiert Hochhäusler mit dem Radiergummi.
Hochhäusler schafft damit eine zusätzliche, völlig überraschende, höchst subversive und kluge Meta- und Reflexionsebene und distanziert sich damit von im Ansatz ähnlichen und ebenfalls ambitionierten, politischen Produktionen wie etwa Zal Batmanglijs The East oder Paolo Virzis Die süße Gier. Doch der Preis ist hoch, denn gleichzeitig entzieht er seinem Plot damit die im Kern angelegte, pulsierende Kraft und die für einen engagierten, politischen Film zwingenden Identifikationsebenen.
Das bedeutet schließlich auch, dass selbst das gläserne Ende der Erkenntnis beliebig erscheint und die Trauer und Wut in Lawrence Ferlinghettis titelgebenden und am Ende zitiertem Gedicht mehr berührt und angreift als der eigentliche Film: Geschichte wird gemacht / aus den Lügen der Sieger. / Aber man würd’s nicht erkennen / an den Titeln der Bücher.
Ein Hamsterrad. Es dreht und dreht sich und in ihm rast wie um sein Leben ein kleines Nagetier. Solche Räder haben es, neben dem Charme der puren Bewegung, an sich, dass man sich als Betrachter irgendwann fragt, ob es wirklich das Tier ist, das da das Rad antreibt, oder nicht viel mehr ein Tier versucht, mit dem sich immer schneller drehenden Rad Schritt zu halten. System oder Individuum, was entscheidet am Ende?
Das ist überhaupt die Frage in Christoph Hochhäuslers neuem Film Die Lügen der Sieger, einem der interessantesten deutschen Filme der letzten Monate.
Der Film erzählt von einem investigativen Journalisten, der für ein – wie es heißt – »Hamburger Magazin« politischen Skandalen in der postmodernen Berliner Republik auf der Spur ist.
Der Fall, um den es hier geht, und dem der Mann zusammen mit seiner jungen Assistentin Nadja (Theaterschauspielerin Lilith Stangenberg in ihrer ersten Kinorolle) auf die Spur kommt, ist überaus kompliziert und vermischt einen vertuschten Bundeswehr-Skandal mit dem sinistrem
Treiben der Giftmüll-Industrie – aber um diesen Fall, um das Indentifizieren von Schuldigen, geht es nur am Rand.
Denn die wahren Täter bleiben sowieso im Dunkeln – das ist die Lehre aller anständigen Polit-Thriller, spätestens seit den 1970er Jahren.
Zwar beschwört auch diese Reporter-Figur mitunter das Ideal des unbestechlichen investigativen Journalismus, ist aber alles in allem keineswegs ein Wiedergänger von Robert Redford in Allan J. Pakulas Die Unbestechlichen, dessen heroische Aura Hochhäusler ebenso zitiert, wie die inherente Paranoia dieser Filme. Eher jedoch erinnert dieser Fabian Groys (Florian David Fitz in einer
ungewöhnlich differenzierten Rolle) an seinen Namensvetter, den Titelhelden von Erich Kästners »Fabian«, einem Journalisten im Berlin der Weimarer Republik: Ein Gleichgültiger, ein Flaneur durchs eigene Leben, ein Spielsüchtiger, der auch mit sich selbst und seinen Mitmenschen spielt, und dem in merkwürdiger Weise die Bodenhaftung fehlt.
Es ist seine Arbeit, die den Takt seines Daseins vorgibt, und Fabian überhaupt in gewisser Weise am Leben erhält. Ruhe findet er nur beim
Blick auf sein Haustier im Hamsterrad.
Die luftige Kühle dieser Hauptfigur kontrastiert Hochhäusler mit überhitzten Bildern aus Spielhöllen und Fechtkämpfen, die Fabian besucht, Fahrten im Porsche-Oldtimer durch den urbanen Dschungel und kurzen flirrenden Großstadt-Passagen, die nicht von ungefähr an Walter-Ruttmans Berlin-Symphonien erinnern.
Neusachlich ist auch das Vorgehen einer Lobby-Agentur, die aus dem Hintergrund für die Industrie die Strippen zieht, und Fabian solange entsprechende Informationen zuspielt, bis der mediale und damit auch der politische Konsens fabriziert ist.
Hochhäuslers komplexer, hervorragend gefilmter Film interessiert sich dafür, wie man Eindrücke zu einer Erzählung verdichtet, für Wirklichkeit als Konstruktion.
Der Regisseur stellt die Frage:, was eigentlich wirklich ist? Man kann ihm vorwerfen, dass sein Film Wahrheitsansprüche allzu leichtfertig preisgibt, dass er mit dieser sehr allgemeinen Form der Kritik, als deren Ergebnis wir Zeitungen und Fernsehen besser gar nichts mehr glauben sollten, feine, aber entscheidende Unterschiede eher verwischt, und der Paranoia des Publikums auch Vorschob leistet.
Aber er legt die Finger in die offene Wunde unserer Medien, die sich zwar gern mit dem Etikett des »Qualitätsjournalismus« schmücken, hinter solchen schönen Worten aber Stellen streichen, Seiten kürzen und alle moralisch-politischen Ansprüche gleich mit.
Hochhäusler zeigt ein Deutschland, das den Mächtigen zur Beute geworden ist. Demokratie ist nur noch der Name fürs Manipulationsspiel. Aber das politische Publikum will es nicht hören, will lieber in künstliche Welten entführt werden. Die Konsensfabrik beginnt im Kopf.
Repräsentativ ist dieser ebenso kluge wie kurzweilige Film für ein zunehmendes Interesse an Stoffen und Stories, die versuchen, den grassierenden Privatismus des deutschen Films hinter sich zu lassen, und gesellschaftspolitische Themen ins Zentrum zu rücken, und ohne Rücksichtnahmen, schnelle Antworten oder wohlfeile Banalisierung zu behandeln.
So weit so gut. Repräsentativ ist er allerdings auch noch für etwas anderes: Denn überraschenderweise fügt sich der Film weit besser in den Zeitgeist, als man es von Hochhäusler erwartet hätte. Denn zu dem passt die Resignation, das Fazit, dass die Mächtigen siegen, nur gar zu gut. Denn dann ist man nicht selber schuld, wenn sich die Dinge nicht ändern. Diese Ansicht, dass der Einzelne nichts ausrichten könne, es auf ihn nicht mehr ankomme, ist gerade der fabrizierte Konsens.
Warum eigentlich kann man heute »von Verschwörungen ... nicht mehr erzählen wie vor rund vierzig Jahren, als Alan J. Pakula Zeuge einer Verschwörung und Die Unbestechlichen drehte oder Henri Verneuil I wie Ikarus«, wie Peter Körte in der FAS behauptet? In Zeiten von Snowden? Der
Ukraine-Krise?
Der Kalte Krieg mag vorbei sein, genug heiße Kriege gibt es aber.
Oder von anderen Medienmanipulationen: Dem Erzeugen künstlicher Feind- und Freundesbilder wenn es um die USA, um Russland, um China, um den Iran und Syrien geht, wären ein Thema, Affairen wie alles rund um Edathy, der gläserne Reichstag, die wahrscheinliche Korruption bei der Waffenbeschaffung im Verteidigungsministerium, und so weiter...
Die Ansicht, die Konturen von Gut und Böse seien verschwommen – sollten sie Hochhäusler und sein Co-Autor Ulrich Peltzer teilen – ist jedenfalls ein Irrglaube, ist selbst Teil »des Systems«, das genau davon profitiert, dass auf der einen Seite Resignation verbreitet wird, und auf der anderen das Publikum in künstliche Welten entführt und abgelenkt wird.
Hochhäusler selbst zeigt, wovon man unter anderem erzählen könnte: Die Tätigkeit jener Lobbys, die die Öffentlichkeit manipulieren. Er erzählt allerdings nur einen Teil davon, weil er offenbar auch ein Projekt hat, das man erzieherisch nennen muss: Dem Publikum keine Illusionen zu lassen und keine kleine Erleichterung durch einen Erfolg der Hauptfiguren, die Helden nicht genannt werden dürfen, zu gönnen.
Da wirkt Hochhäusler ein wenig, wie ein Mann, der zu viel wusste. So kann man über einiges in Die Lügen der Sieger streiten, aber Hochhäuslers herausragender Film stellt schon einmal die richtigen Fragen, und seine Antworten fordern heraus.