Deutschland 2002 · 95 min. · FSK: ab 12 Regie: Anne Wild Drehbuch: Anne Wild Kamera: Wojciech Szepel Darsteller: Henriette Confurius, Juliane Köhler, Leonard Lansink, Gabriela Maria Schmeide u.a. |
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(Foto: Nighthawks) |
»Mach Deine Augen zu und Alles, was Du siehst, gehört Dir«, verspricht Herbert Dole. Ein Versprechen, das ihr erstes Wunder bedeutet. Das Wunder einer außergewöhnlichen Liebe.
Doles Mutter Franziska, von Juliane Köhler gewohnt fahrig verkörpert, ist alleinerziehend. Im Sommer fährt sie mit Dole ans Meer. Während sich Franziska dem Hotelmanager Philipp zuwendet, schlägt Dole den Trotz-Kurs ein, und verweigert sich dem Familienspiel. Familienvater Herbert (Leonard Lansink) geht es ähnlich, er gehört auch nicht dazu. Dem eigenen Sohn ist es vor den anderen Kindern peinlich, daß Herbert immer überall dabei sein will und am Strand die größten Sandburgen baut. Auch die eigene Frau nimmt seinen Spieltrieb nicht ganz ernst. Von Doles eigenbrötlerischen Tauchgängen ist Herbert sofort fasziniert. Als Dole abends impulsiv die bedrückende Pseudo-Idylle eines Abendessens mit Philipp, durch den sie ihren Liebesvorrang bei der Mutter bedroht sieht, verlässt, will Herbert sie von einem Baugerüst retten und ruiniert dabei in seiner Tolpatschigkeit die ganze Baustelle. Bei der gemeinsamen Strafarbeit zur Schadensbeseitigung kommen Dole und Herbert sich näher, und er beginnt, ihr seine Welt zu zeigen. Eine kindlich – poetische Welt, die von Elfen regiert wird. Leonard Lansinks unverschämt ehrlichem Gesicht glaubt man seinen Glauben an die Träumerein. Schon jetzt ist klar, daß der gutmütige Kerl in der Erwachsenenwelt völlig verloren sein muß.
Mit einer Unterwasser-Kamera dringen die beiden, nach Phantastischem suchend, auf den Grund des Meeres vor, und Dole fotografiert den Tanz der geheimnsivollen Wesen, die sich – laut Herbert – am liebsten von Wackelpudding ernähren.
Das ungleiche Paar stößt auf Ablehnung bei Herberts Familie. Für Dole, von Henriette Konfurius herzzerreißend echt und forderd dargestellt, bricht eine Welt zusammen, als Herbert die Existenz ihrer Fantasiewelt verleugnet.
Wieder zu Hause, kommt sie mit dem quälenden Schulalltag nicht zurecht und sehnt sich ans Meer zurück. Herbert staunt dagegen bei der Entwicklung der Urlaubsfotos: durch eine Doppelbelichtung sind darauf tatsächlich Doles Elfen zu sehen! Regisseurin Anne Wild zeigt hier einen wunderschönen Moment, in dem sich Traum und Realität berühren und ein einfacher, technischer Vorgang Unsichtbares sichtbar werden lässt.
Herbert macht Dole in ihrer Schule ausfindig, die innige Freundschaft der beiden blüht wieder auf. Sie treffen sich regelmäßig. Ihre außergewöhnlich sensible Wahrnehmung verbindet sie. Franziska und Herberts Frau Margot verbieten schließlich den Kontakt. Dole sucht Herbert bei einer Familienfeier auf und sagt schlicht: »komm, wir gehen«. In diesen Worten liegt eine derartig unausweichliche Unbedingtheit, daß Herbert einfach mit ihr gehen muß. Auf ihrer Reise zurück ans Meer hinterlassen die beiden eine Spur von Glück. Überall, wo sie gewesen sind, scheint es hinterher ein wenig mehr zu leuchten. So wie die Elfen, die nur für Dole und Herbert unter Wasser tanzen.
Franziska und Margot verfolgen die Spur der Flüchtigen. Auch diese Reise dient einer Erkenntnis: Margot erkennt, was ihr Herbert eigentlich bedeutet, und Franziska rauft sich wohl oder übel mit Margot zusammen, die ihr durch ihr schlichtes Gemüt die Augen über ihren versnobten Lebenstil öffnet.
Die Ausbrecher verlieren währenddessen mehr und mehr den Bezug zur Realität. Vor allem Herbert steigert sich in etwas hinein, was er bisher immer unterdrücken mußte. Dole soll nur ihm allein gehören, sie allein versteht ihn.
Nie werden im Film gewisse Grenzen des zwar intimen, aber nicht sexuellen Verhältnisses der beiden Hauptfiguren überschritten. In schlichten, poetischen Bildern wird die innere Brüchigkeit der Protagonisten spürbar. Wer an Pädophilie denkt, liegt gründlich falsch. Herberts Liebe zu Dole hat vielmehr mit Bewunderung und der gemeinsamen Eroberung einer wundersamen Welt zu tun, die manchen Menschen stets verborgen bleibt. In Mein erstes Wunder beschreibt Anne Wild auf eigenwillig-einfühlsame Weise die Reinheit einer Zuneigungsform, für die es keine rationale Erklärung gibt. Trotzdem werden Dole und Herbert von ihrer Umwelt als »Liebespaar« gesehen. Wie zwei einsame Helden einer verlorenen Zeit folgen sie ihrem Traum vom Glück, der in der Hektik des gegenwärtigen Alltags keine Haltbarkeitschance zu haben scheint und nicht nur von der Außenwelt bedroht wird.
Berührend und tragisch zugleich ist die Erkenntnis, wie groß die spielerische Macht dieses jungen Mädchens über einen erwachsenen Mann sein kann, der sich nichts mehr wünscht, als einen Menschen, der seine Kindlichkeit teilt. Dole wiederum braucht jemanden, der ihr erstmal zeigt, was Kindsein bedeutet. Nur dann kann sie erwachsen werden – und wird es auch. Herbert dagegen ergibt sich mehr und mehr einer grenzenlosen Verspieltheit. Eine weise Melancholie, die zwei Seelen anhaftet, die sich aufgrund einer gemeinsamen Weltsicht finden und aneinander festhalten. Dann entwickeln sie sich in unterschiedliche Richtungen, »wachsen« buchstäblich aneinander vorbei und drohen daran zu zerbrechen, wenn sie sich nicht wieder trennen.
Leise und nicht ohne einen Hauch liebevoller Ironie beobachtet Anne Wild ihre vielschichtigen Figuren, führt sie ohne erhobenen Zeigefinger der Unausweichlichkeit ihres Schicksals entgegen und verliert nie die Nähe zu ihrer Innerlichkeit. Eine warmherzige und ganz besondere Geschichte über das Erwachsen- und wieder Kind Werden, verborgene Sehnsüchte und Seelenverwandtschaft.
Nichts ist schöner als der poetische Blick auf zwei Menschen, die den Alltag bestaunen, als sei er ein Wunder in sich. Das ist Anne Wild gelungen und macht Mein erstes Wunder so unbestritten sehenswert. Alles, was Du eben gesehen hast, könnte Dir gehören!