USA 2002 · 145 min. · FSK: ab 12 Regie: Steven Spielberg Drehbuch: Scott Frank, Philip K. Dick Kamera: Janusz Kaminski Darsteller: Tom Cruise, Colin Farrell, Samantha Morton, Max von Sydow u.a. |
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Samantha Morton und Tom Cruise |
Es sind nicht zufällig die Klänge von Schuberts »Unvollendeter«, die den Anfang begleiten. Virtuos ist dieser Auftakt, öffnet ein Panorama von Themen und Fragen, zeigt uns eine Bluttat, die im Nu rückgängig gemacht wird durch das Eingreifen des Helden. Wie Gott selbst vermag der durch Zeit und Raum zu reisen, wie ein Allmächtiger in die Seelen der Sterblichen zu schauen, und ihre Wirklichkeit zu verändern.
Die Grundidee von Minority Report ist faszinierend: Nehmen wir einmal an, es gäbe eine Möglichkeit, in die Zukunft zu schauen. Genau dies vermag »Precrime«, eine Polizeiinstitution im Washington des Jahres 2054. Ihre Polizisten, angeführt von ihrem Chef John Anderton (Tom Cruise) bringen zukünftige Verbrecher hinter Schloss und Riegel, haben die Kriminalitätsrate mit Hilfe dreier in die Zukunft blickenden Medien, sogenannte »Precogs«, auf nahezu Null gesenkt. Das Dilemma dieser Situation liegt ebenfalls auf der Hand: Die »Täter« sind gar keine, sie werden erst zu welchen; genaugenommen verhaftet »Precrime« nur Unschuldige. Genau dies widerfährt eines Tages Anderton selbst, als er erfährt, dass er selbst binnen einer Woche zum Mörder werden wird. Er versucht, dieser Tat auszuweichen, wird währenddessen aber von seiner eigenen Behörde verfolgt, die ihn routinegemäß als zukünftigen Täter verhaften will.
Das eigentliche Thema von Steven Spielbergs neuem, virtuos inszenierten Science-Fiction-Paranoia-Thriller Minority Report, der auf die gleichnamige Kurzgeschichte des Kultautors Philip K. Dick zurückgeht, ist überraschend aktuell: Es ist zum einen die Idee perfekter, sogar die Zukunft und das potentielle Tun der Menschen einschließender Überwachung, der Traum der Deterministen von der vollständigen Berechenbarkeit und Kontrolle menschlicher Handlungen – zugleich ein Alptraum von der Abwesenheit der Freiheit. Nicht weniger lässt dieses Szenario auch an derzeit grassierende Gedanken eines Präventivkrieges denken – es sind die gleichen Grundideen, die hier auf weltpolitischer Ebene handlungsleitend werden, mit denen Spielberg seine fiktiven Charaktere ausgestattet hat: Der Menschheitstraum von der völligen Abwesenheit und Vernichtung des Bösen, verbunden mit der Paranoia, dieses Böse sei immer und überall.
Seit Jahren setzte sich Spielberg – ungewöhnlich für diesen Schnellarbeiter – mit diesem Stoff auseinander, und man sieht dem Film die Genauigkeit, Detailversessenheit und Leidenschaft an. Ganz im Geist von Philip K. Dick in düsteres Blaugrau gefasst, von Verlorenheit, Depression und Hoffnungslosigkeit geprägt, gewinnt die Grundsituation dabei schnell eine zusätzliche Farbe durch den inzwischen unverwechselbar gewordenen »Spielberg-Touch«: Die an Fixiertheit grenzende Konzentration auf »EINEN« Helden, dessen Inneres in all seiner Doppelbödigkeit entfaltet wird. Er ist, wir erfahren es schnell, ein traumatisierter Detektiv: sein Kind war Opfer eines Verbrechens – daher der Wahn, das Böse aus der Welt zu tilgen.
Wie so oft bei Spielberg besteht die Grundsituation aus dem Dreieck Vater-Mutter-Sohn, das hier doppelt entfaltet wird: Anderton ist auch ein Sohn, der hier zur ödipalen Rebellion gegen den Vater gezwungen wird. Auch das zweite Leitmotiv vieler Spielberg-Filme, das Aufbegehren gegen ein Schicksal – das Schindler mit John Miller (Saving Private Ryan) mit David (A.I. – Artificial Intelligence) und Theodore (Amistad) verbindet – ist dominant. Auch hier begleitet man einen verlorenen Sohn, der endlich nach Hause finden will. Minority Report ist mit alldem nicht so sehr ein einfallsreicher Science-Fiction – da boten Matrix, The Fifth Element und viele andere Besseres. Es ist eine im Gewand eines Unterhaltungsfilms auftretende, stellenweise tiefgründige, und zumeist bestechend inszenierte Reflexion über das Fragmentarische und die Geschlossenheit, den Überwachungsstaat der Zukunft, und das Schicksal des Individuums in ihm. Es wäre kein Film von Spielberg, wäre er nicht stellenweise sentimental und in seinen Botschaften grundsätzlich konservativ. Es wäre aber auch kein Spielberg-Film, dürfte man am Ende nicht ein wenig Hoffnung schöpfen. Dass er beides dabei nicht gleichsetzt, macht seine Stärke aus.