Großbritannien 2001 · 96 min. · FSK: ab 6 Regie: Ken Loach Drehbuch: Rob Dawber Kamera: Barry Ackroyd Darsteller: Dean Andrews, Thomas Craig, Joe Duttine, Steve Huison u.a. |
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»Habt ihr nichts zu tun?!« |
Es ist allgemein bekannt, dass viele Ressourcen auf unserer Welt ungerecht verteilt sind. Da das Kino in vielerlei Hinsicht ein Abbild der Welt ist, verwundert es nicht, auch hier das ein oder andere Missverhältnis festzustellen.
Während etwa die Filmindustrie in Amerika händeringend nach Stoffen, Inhalten und Themen für ihre visuell und technisch perfekten Filme sucht und selbst ein Mann wie Christopher Nolan (der seine erstaunliche Kreativität mit Memento nun wirklich unter Beweis gestellt hat) bei seinem aktuellen (sehr gelungenen) Werk Insomnia auf den gleichnamigen norwegischen Film aus dem Jahre 1997 zurückgreifen muss, scheint es dagegen dass manche europäische Regisseure gar nicht mehr wissen, wohin mit all den Geschichten, Aussagen und
Botschaften, sich jedoch schwer tun, diese Inhalte in eine ansprechende (was nicht heißt gefällige) Form zu bringen.
Ken Loach ist ein solcher Regisseur. Ein kritischer, analytischer Filmemacher, der seit über 30 Jahren Geschichten über das untere Drittel der englischen Gesellschaft erzählt, der im Gegensatz zu manchem seiner Weggefährten des British Cinema nie dem Ruf nach Hollywood folgte und der sich auch in seiner Heimat erfolgreich dagegen verwehrte, Filme zur reinen Unterhaltung und ohne sozialkritischen Hintergrund zur drehen. Der Name Loach steht somit unverändert für nüchterne
Filme über den oft tristen Alltag von gewöhnlichen Menschen, die mit sozialen Problemen und einer abweisenden Bürokratie bzw. Arbeitswelt zu kämpfen haben.
Mag diese konsequente Ablehnung des Kommerziellen in der heutigen Zeit auch sehr bemerkens- und bewundernswert sein, so erschwert sie doch zugleich den Zugang zu Loach' Filmen und somit zu den von ihm aufgezeigten Missständen.
Auch die grundsätzliche Frage danach, ob ein Spielfilm mehr sein soll bzw. sein muss, als nur
die abgefilmte Realität, drängt sich bei der Betrachtung vieler Ken Loach Filme regelmäßig auf.
Dieser Realität so nahe wie irgend möglich zu kommen, ohne dabei aber einen richtigen Dokumentarfilm zu drehen, scheint Loach' Ziel auch bei The Navigators gewesen zu sein.
An originalen Schauplätzen, mit authentischen (Laien)Darstellern und einem Drehbuch, in dem sich wohl selbst die absurdesten Skurrilitäten durch wahre Begebenheiten belegen lassen, erzählt Loach die Geschichten von einem eingeschworenen Trupp Eisenbahnarbeitern, die die
Privatisierung der britischen Eisenbahn miterleben und miterleiden.
Die Privatisierung kommt unverhofft und trifft die Arbeiter mit voller Härte und teilweise bizarren Folgen. Aus ehemaligen Kollegen werden plötzlich mögliche Spione der verhassten Konkurrenz; aus dem Mann, der den Boden fegt, wird ein Subunternehmer; anstelle eines guten Betriebsklimas braucht man nun ein »Mission Statement«; aus Imagegründen zerstört man neuwertige Ersatzteile, die man aus Wettbewerbsgründen nicht an die Konkurrenz verkaufen will.
Zermürbt von solchem
Unsinn und gelockt von Abfindungen, kündigt so ein Mitarbeiter nach dem anderen, um dann in den Dienst einer Leiharbeitsfirma zu treten und schließlich mit den selben Kollegen von früher, die selbe Arbeit wie bisher, nur zu bedeutend schlechteren Bedingungen und unter kaum zumutbaren Umständen zu verrichten. Da dauert es nicht lange, bis sich die Probleme in der Arbeit negativ auf das Privatleben auswirken.
Die klare Absage des Films gegen diese brutale Form des Kapitalismus, die ihren zynischen Höhepunkt darin findet, die Arbeitsbedingungen so weit zu verschlechtern, dass Unfälle beinahe unvermeidlich werden, um dann ein »erträgliches Maß an Todesfällen« festzulegen und die nur einer Hand voll Geschäftsleuten nützt, dem Rest der Gesellschaft aber Schaden zufügt, ist absolut berechtigt und Ken Loach hätte damit einen exemplarischen Film über den Wahnsinn und die Idiotie
unserer schönen neuen Geschäftswelt machen können. Warum ihm das aber nicht wirklich gelungen ist, warum er mit The Navigators keinen Platz neben einem kritischen Klassiker wie Michael Moores Roger And Me einnimmt, zeigt sich im direkten Vergleich dieser beiden Filme.
Roger And Me
ist ein Dokumentarfilm, wenn auch ein eher untypischer, aber immerhin. Loach dagegen hält daran fest, einen Spielfilm zu machen, ohne wirklich etwas dafür zu tun.
Die Kamera ist bei Loach statisch, Effekte jeder Art scheinen verboten, die Dramaturgie verläuft nach einem schlichten »und dann, und dann, und dann«-Prinzip und selbst der Einsatz der Filmmusik bleibt im besten Fall blass und gerät im schlimmsten Fall arg peinlich, wenn etwa bei jeder Liebesszene prompt ein schmuddelig-kitschiges Saxophon einsetzt (vom Komponisten George Fenton kennt man sonst Besseres).
Das hat natürlich nichts mit einem möglichen Unvermögen von Ken Loach zu tun,
sondern ist alles beabsichtigt, um eine möglichst realistische Stimmung zu erzielen. Aber ist das erstrebenswert?
Es gibt Leute, die sich mit Begründungen wie »Probleme habe ich selber«, grundsätzlich keine ernsten, schwierigen Filme ansehen. Diese Haltung ist engstirnig, da sie verkennt, dass einem ein guter Film (so wie auch jeder gute Dokumentarfilm, der eben auch über das sture Dokumentieren hinausgeht) neue Perspektiven eröffnet, neue Zusammenhänge herstellt, dass er überhöht, zuspitzt, relativiert.
Loach und sein Anspruch auf die Realität dagegen eröffnet keine neuen
Perspektiven. Er bildet eine Situation ab, mit der ohnehin die Mehrzahl aller Berufstätigen direkt oder indirekt zu tun hat bzw. zu tun hatte.
Als Zuschauer nimmt man bei The Navigators bald die Position des unbeteiligten Beobachters ein, so, als ob man in einem Lokal das angeregte Gespräch am Nebentisch mit verfolgt. Im Geheimen lacht man auch über die gelungenen Witze die dort gemacht werden, schüttelt über die verrückten Geschichten die dort erzählt werden den Kopf, nickt zustimmend bei der nachvollziehbaren Kritik an tumben Vorgesetzten. Doch sowie das Bier ausgetrunken, die Rechnung
bezahlt und das Lokal verlassen ist, vergisst man die Menschen vom Nebentisch.
Bei den Eisenbahnern aus Ken Loach Film geht es einem nicht anders. Das ist bedauerlich.