GB/DK/USA 2016 · 117 min. · FSK: ab 16 Regie: Nicolas Winding Refn Drehbuch: Nicolas Winding Refn, Mary Laws, Polly Stenham Kamera: Natasha Braier Darsteller: Elle Fanning, Karl Glusman, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee u.a. |
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Vanitas im Neonlicht |
Die Eröffnungs-Credits des Films sind bereits ein ästhetisches Bekenntnis: Zum rockigen Elektro-Score von Cliff Martinez sieht man die Schrift in Neonfarben auf schwarzem Grund. Ziemlich oft taucht die Buchstabenkombination NWR – großgeschrieben – auf. Das Kürzel steht für den Regisseur, den Dänen Nicolas Winding Refn, der hier hier auch als Autor und Coproduzent fungiert. Ästhetizismus und Egozentrik des Regisseurs werden also von Beginn an ausgestellt, und durch Offenheit schon wieder reflektiert – ob ironisch ist dabei noch die Frage. In jedem Fall müssen sie hier benannt werden, denn sie sind essentieller Teil des Kunstwerks. Ein Refn-Film ist ohne sie nicht zu haben – das hat dieser Regisseur in den letzten Jahren geschafft, und sich damit immerhin in eine Liga mit wenigen anderen Großen katapultiert, bei denen Regisseurs-Persona und Werk verschmelzen. Der Däne gehört so oder so zu den eigenwilligsten Filmemachern der Gegenwart. Feier der Oberflächen und Provokation sind essentieller Teil seiner Kunst. Nach Drive und Only God Forgives heißt sein neuer Film jetzt: The Neon Demon.
Refns neuer Film ist in der Model-Szene von Los Angeles angesiedelt: Man lernt ein Mädchen kennen, Jesse (gespielt von Elle Fanning). Sie kommt aus der Provinz, ist neu in L.A. und der Film begleitet sie bei den ersten Schritten ihrer Model-Karriere: Vertrag mit einer Agentur, ein vorgetäuschtes Alter (eine 16-Jährige soll für 18 durchgehen), ein Abend in einem Club mit einer lesbischen Maskenbildnerin, von der später zu erfahren ist, dass sie nebenberuflich auch Tote schminkt, und
eine Begegnung mit anderen Models. The Neon Demon ist ein L.A.-Film, der seinen Schauplatz ausstellt. Und er ist eine Reflexion über »Casting«, das längst weit über Model-Trash-Shows im Privatfernsehen hinaus zu einer universellen Gesellschaftsmetapher angeschwollen ist.
Etwa nach einem guten Viertel des Films kommt es zu einem Vorsprechen und einem der entscheidenden Momente des Films, von fern an jene »This is the girl!«-Szene in David
Lynchs Mulholland Drive erninnernd: Jesse betritt einen Raum, und alle Augen richten sich auf sie. Sie sei »die Sonne, die die Nacht zum Tag macht«, sagt kurz darauf ein Photograph zu ihr. Refn reizt diesen Moment ins Extreme aus. Immer wieder kommt es in The Neon Demon zu solchen Szenen, in denen Augenblicke in provozierender Langsamkeit
zerdehnt werden.
Es gibt auch Szenen, in denen der Film in die völlige Abstraktion hineingleitet und sich die Figuren in vollkommen weißen oder schwarzen Räumen bewegen. Es gibt abstrakte Bilder, wie ein pinkes Dreieck aus Neon-Lampen, das an die barocke Darstellung des Auges Gottes erinnert.
Neben den Banalitäten eines betont oberflächlich gezeichneten Model- und Modeszenen-Alltagslebens gibt es in den Dialogen der Figuren zwei thematische rote Fäden: Die Unschuld des Neuankömmlings aus der Provinz wird mit dem Zynismus der Metropole und ihrer Glamourwelt konfrontiert. Das junge Mädchen weiß selbst nicht recht, wie ihr geschieht, warum sie plötzlich von allen für ihre natürliche Schönheit verherrlicht wird. Zugleich wird sie von vielen Seiten angefeindet und von den anderen Models neidisch beäugt. Es scheint kein Interesse an ihr ohne Hintergedanken zu geben, auch ein junger Mann, dem sie begegnet, nutzt sie aus, ebenso der Wirt des heruntergekommenen Motels, in dem sie untergebracht ist.
Was die zweite thematische Linie, die die oft von aller Narration losgelösten Szenen und erhabenen Einzelbilder des Films – etwa ein wilder Puma, der plötzlich in ihrem Zimmer auftaucht – verbindet, ist die Frage nach Bedeutung und Wert von Schönheit: »Wahre Schönheit ist die höchste Währung, die wir haben«, sagt hier ein Produzent, »wäre jemand nicht schön, würde man gar nicht anfangen, genauer hinzusehen.«
Wohlwollend interpretiert geht es The Neon Demon genau um diesen Diskurs über Schönheit und Oberflächen und die daran anschließenden Fragen: Wie fühlt es sich an, wenn sich alle Augen auf einen richten? Für das Objekt der Betrachtung, wie für die Betrachtenden, das Publikum? Refns Film ist eine Meditation über das Sehen, über Schönheit und jenes »Auge des Betrachters«, in dem sie vermeintlich liegt, aber mehr noch über das, was man gern als
Charisma oder Aura bezeichnet, und das sich zwar in seiner Wirkung beschreiben lässt, das zugleich aber in seinen Ursachen extrem schwer zu fassen und zu analysieren ist.
Refn fragt nach Träumen, nach Phantasien – nicht dem Phantastischen, sondern dem Imaginären unserer Gegenwart, und dem Bezug, den dieses Imaginäre zur Welt hat. Was sublimieren unsere Vorstellungen von Schönheit, von körperlicher Perfektion, aber auch unsere Phantasien der Zerstörung dieser Perfektion
– beides hängt untrennbar zusammen, nicht nur in diesem Film. Welche Begierden sind in unserer Verehrung ganz bestimmter Ideale wirksam? Und im Fetischismus, an dem The Neon Demon selbst Anteil hat.
Man muss dem Film aber auch seine Prätention vorhalten, die Tatsache, dass er seinen Ästhetizismus zu sehr in die Abstraktion zieht, und dadurch trocken und aseptisch wird – ganz seinem Gegenstand entgegengesetzt.
Doch im Showdown der letzten Viertelstunde scheint der lange, sehr lange Anlauf des Films einen zweiten Sinn zu erhalten, und auch das Titel-Wort »Demon« seinen Sinn zu bekommen: Da macht The Neon Demon einiges wieder gut, und aus dem Model-Melo wird ein Girl-Slasher. Film-Zitate von Basic Instinct über Samurai-Dramen bis zum Kannibalen-Kino bestätigen den schon lange vor Refn entwickelten Befund, dass das Zeigen von Oberflächen und Fetischismus mit guten Gründen der Sinn des Kinos genannt werden können. So erlebt man eine visuelle Orgie, die selbst in seltener Konsequenz, vom Kino als Ort des visuellen Exzesses und der Schauwerte gefeiert.
Die Titeleinblendung: The Neon Demon in wechselnden leuchtenden Farben vor einem gleichfalls unablässig die Farbe wechselnden leuchtenden textilartigen Hintergrund. Der auf die Netzhaut des Zuschauers projizierte Sinneseindruck ist dermaßen stark, dass die leuchtenden Lettern weit vor dem textilen Untergrund in der Luft zu schweben scheinen. 3D ohne Brille. Die Wirkung oberirdischer Schönheit wird zusätzlich potenziert durch die sphärischen Elektroklänge von Cliff Martinez. Perfekte Synthese von Bild und Ton. Audiovisueller Angriff auf das Lustzentrum im Hirn. Rechts unten das Gütesiegel: NWR.
So schlicht diese Titelsequenz in ihrer sprachlichen Beschreibung ist, so viele Elemente aus dem kulturellen Gedächtnis schwingen bereits mit: Die vor einem textilen Untergrund schwebende Schrifteinblendungen, die von einem sich sofort einprägenden Score begleitet werden, evozieren augenblicklich den entsprechenden Anfang von David Lynchs Psycho-Noir-Meisterwerk Blue Velvet (1986): Hier schwebt der Filmtitel vor einem wogenden Vorhang aus blauem Samt.
Der Elektroscore von Cliff Martinez – der bereits Nicolas Winding Refns Werke Drive und Only God Forgives akustisch veredelt hatte – wirkt vollkommen zeitgenössisch und ruft zugleich alte 1980er-Soundtracks, wie beispielsweise aus den Filmen von John Carpenter in Erinnerung. Eine auditive Einstimmung auf die folgende Verbindung aus Schönheit und Horror, so bestimmend für The Neon Demon.
Das schlichte Monogramm NWR erinnert nicht von ungefähr an das berühmte Markenzeichen YSL. Zum einen will Nicolas Winding Refn damit natürlich auf die Tatsache aufmerksam machen, dass er selbst längst eine weltbekannte (Qualitäts-)Marke im Filmgeschäft geworden ist. Es ist ein Äquivalent zum Beginn von Kill Bill: Vol. 1, wo der vierte Film von Tarantino angekündigt wird. Nur macht der egomane Däne diese Ansage mit wesentlich mehr Stil und in einer Weise, welche der im Film gezeigte Fashionwelt entspricht.
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Mit The Neon Demon kehrt Nicolas Winding Refn nach dem in Bangkok spielenden Rachethriller Only God Forgives in das mythische Los Angeles aus seinem Neo-Noir Drive zurück. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der Filmemacher nach dem umstrittenen Vorgänger nun wieder auf alte Stärken besinnt – und somit auf ein sicheres Terrain begibt. The Neon Demon ist sogar noch radikaler, als das hoch artifizielle und ultrabrutale Drama Only God Forgives. Wer mit dem Film bereits den Untergang des Abendlandes kommen sah, der wird sich jetzt in seiner Prognose bestätigt fühlen.
Dass NWR mit seinem Model-Thriller von vornherein einen weiteren Schritt nach vorne geplant hatte, deutet sich schon anhand der Tatsache an, dass er den Film ursprünglich auf der gegenüberliegenden Pazifikküste in Tokio drehen wollte. Die neonglitzernde Megalopolis wäre vermutlich auch keine schlechte Wahl gewesen. Immerhin hatte sie des Dänen Buddy Gaspar Noe in Enter the Void (2009) gleich in mehrfacher Hinsicht zu ganz neuen kreativen Höhenflügen inspiriert. Doch Nicolas Winding Refns Frau hatte keine Lust, so lange in der Nippon-Kapitale zu leben und legte deshalb ihr Veto ein.
Erst dadurch ging die filmische Reise zurück in die Stadt der Engel, also nicht in den real existierenden Westküstenmoloch, sondern in ein mythisches L.A., wie es erst Hollywood erschaffen hatte. War Drive noch fest in einer Neo-Noir-Parallelwelt verortet, in welcher der Existenzialismus von Filmen wie Walter Hills The Driver (1978) und Michael Manns Thief (1981) mit dem poppigen Chick von Miami Vice zu einem ganz eigenen unwiderstehlichen Amalgam verschmolzen, so schwebt The Neon Demon bereits in den luftigen Höhen des Olymps der griechischen Götter – wo die Luft äußerst dünn wird.
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The Neon Demon erzählt eine klassische Sage im poppig modernen Gewand von dem ewigen Kampf des Echten und Wahren gegen das Falsche und Verlogene. Dieser Kampf verläuft rein äußerlich zwischen der blutjungen und bildhübschen Vollwaisen Jesse (Elle Fanning), die aus der tiefsten Provinz nach L.A. kommt, um Karriere als Model zu machen und den sie um ihre natürliche Schönheit und ihre Blitzkarriere beneidenden Kolleginnen.
Schon auf dieser Ebene zeigt sich, dass Nicolas Winding Refn mit The Neon Demon ganz gewiss kein klassischer narrativer Film vorschwebte: Dialoge hölzern und artifiziell wie aus einem Comic zeigen eine Parabel über den Kampf zwischen dem Lebendigen und dem Abgestorbenen, das Tote in schaurig schöner Glätte zugleich zelebriert und verdammt. Es ist eine kalt glitzernde Glätte makelloser Schönheit und maximaler Seelenlosigkeit, ein köstlicher Panzer, an der alle tieferen Gefühle abprallen müssen.
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Für diese Liebe zu der reinen Oberfläche und zu dem Toten findet Nicolas Winding Refn starke und zunehmend krassere bildliche Metaphern, die von weit mehr als der reinen Lust an der Provokation zeugen. Deshalb werden Jesses Gegnerinnen am Ende als lebende Schaufensterpuppen abgelichtet, deren extremer Fetischismus direkt auf den deutschen Fotografen Helmut Newton verweist, der selbst der Stadt der Engel verfallen war, wo er vor 12 Jahren nach einem Unfall mit seinem Cadillac starb.
Eine wesentlich ambivalentere Rolle spielt die schwer durchschaubare Stylistin Ruby, mit der sich Jesse anfreundet, die jedoch auch mit deren Widersacherinnen befreundet ist. Diese mysteriöse Figur wird verkörpert durch Jena Malone, an die man sich insbesondere als das Gretchen aus Richard Kellys Kultklassiker Donnie Darko (2001) erinnert. Rubys besondere Stellung zeigt sich anhand der Tatsache, dass sie mit dem gleichen sachlichen Professionalismus Models und Leichen optisch verschönert.
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Nicht nur Ruby schwankt in The Neon Demon zwischen der Welt des Lebendigen und des Toten. Bereits der Filmtitel bezieht sich explizit auf den Kampf zwischen Gut und Böse, der sich in Jesses eigenen Inneren abspielt. Sie selbst verwandelt sich in den »Neon Demon«, als sie zulässt, dass ihre dunkle Seite zunehmend die Führung übernimmt. Zugleich steckt genau hierin eine große Vitalität, die dazu führt, dass Jesse sehr selbstbewusst sagen kann: »Ich bin nicht so hilflos, wie es scheint.«
Diese ambivalente Rolle dieser aggressiv-animalischen Kraft in Jesse zeigt sich auch darin, das kurz vor ihrer Hinwendung zu ihrem inneren Dämon ein Raubtier in ihrem Motelzimmer erscheint, in welchem direkt der Noir-Horrorklassiker Katzenmenschen (1942) von Jacques Tourneur widerhallt – ein Film über eine nicht geduldete animalische weibliche Kraft.
Man kann es drehen und wenden, wie man mag. Am Ende kommt man unweigerlich immer wieder zum gleichen Punkt: Mit The Neon Demon betritt Nicolas Winding Refn endgültig den Bereich reiner Kunst.