Hongkong 1997 · 85 min. Regie: Patrick Yau Drehbuch: Wai Ka Fai Kamera: Cheng Siu Keung Darsteller: Kaneshiro Takeshi, Carman Lee u.a. |
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Die Cineasten hierzulande wissen es spätestens seit Filmen wie A Chinese Ghost Story, Peking Opera Blues oder The Killer: in Hong Kong blüht seit einigen Jahren mit das vitalste und aufregendste Kino, das diese Welt zu bieten hat. Seit durch den Erfolg dieser Filme Produkte des fernöstlichen Hollywood-Pendants mit erhöhter Regelmäßigkeit auch hiesige Gestade erreichen, hat man zwar (vielleicht sogar mit einer gewissen Erleichterung) feststellen können, daß auch in Hong Kong genug an wenig begeisternder Dutzendware produziert wird. Doch selbst nach dem politisch bedingten Weggang solcher Regie-Größen wie John Woo, Tsui Hark und Ringo Lam hat die ehemalige britische Kronkolonie immer noch genug cineastische Leckerbissen zu bieten. Und Dank der Bemühungen des kleinen Verleihs rapideyemovies, der es sich vornehmlich zum Ziel gesetzt hat, Perlen des jungen, asiatischen Genrekinos auf deutsche Leinwände zu befördern, kann sich dessen derzeit jeder anhand von The Odd One Dies versichern.
Mo (Kaneshiro Takeshi) ist einer, der im Leben stets auf der Verliererseite steht; aber er tut dies mit Stil und Würde. Extrem wortkarg, kehrt er immer zurück an den Ort des Verlustes, nur um dort noch mehr einzustecken – aber auch um zu zeigen, daß er, gleich wie ihn Schicksal und Feinde beuteln und mißhandeln, so nicht unterzukriegen ist.
Da ihn wieder einmal die Spielschulden plagen, läßt er sich als Auftragskiller anheuern. Den Vorschuß trägt er selbstverständlich
sofort zum nächsten Black Jack-Spiel. Doch diesmal reicht das Geld so lange, daß das Unglaubliche geschieht: nachdem er wieder und wieder verliert, unter stetiger Verdopplung des Einsatzes, wendet sich plötzlich das Blatt, und mit einem mal steht Mo als Besitzer eines Haufens Bargeld da.
Weil sein Herz nicht gerade am Job als bezahltem Mörder hängt, weiß er auch gleich, wofür er einen Teil des Spielgewinns investieren möchte: jemand anderer soll für ihn den unangenehmen Aufrag
erledigen. Doch für den Dumping-Preis, den er zu zahlen gewillt ist, findet sich niemand als die junge Carmen (Carman Lee) bereit, den Job zu übernehmen.
Selbstverständlich verliebt sich Mo sehr bald in die eigenwillige Frau (die für ihr Handeln ihre ganz eigene Motivation hat), und bald hat er noch mehr Probleme als zuvor.
Mos Welt ist stets in Gefahr, aus den Fugen zu geraten, und seine schiefe Weltsicht findet sich in der Optik des Films gespiegelt: fast den ganzen Film über bleibt die Kamera konsequent um etliche Grad aus der Horizontalen gekippt; rote, künstliche Farbtöne herrschen vor; ungewöhnliche Einstellungen und Schnitte vervollständigen das seltsame Bild.
Dennoch ist Patrick Yau meilenweit davon entfernt, eine clevere, kalte Stilübung abzuliefern. Durch ihre Konsequenz hört die
eigenwillige Optik nach kurzer Zeit auf, bewußt aufzufallen, und stattdessen entwickelt sie eine ganz eigene, atmosphärische Qualität, die alleine schon dafür sorgt, daß der Film keinen einzigen Moment lang konventionell oder langweilig wirkt.
Erzählt wird lakonisch und präzise, aber nie gehetzt, und stets mit genug Zeit für wunderbare Vignetten, während die Dasteller, allen voran der durch Fallen Angels zum Star gewordene Kaneshiro Takeshi, durch ihr sympathisches und subtiles Spiel dafür sorgen, daß die Figuren trotz minimalster Dialoge überzeugend zum Leben erwachen und dem Publikum ans Herz wachsen, ohne dabei ihre Exzentrizität zu mildern.
Unter der schweigsamen, lakonischen Oberfläche aber lebt die Sehnsucht, und insofern liegt der vom Verleih bemühte Vergleich zu den Filmen Aki Kaurismäkis gar nicht mal so daneben.
(Wozu auch die voll-synthetische, immer am Rande zur Ironie schwebende Musik von Raymond Wong paßt, die mit ihrem Repertoire von Bossa über Swing bis Kanton-Pop stark an Kaurismäkis Vorliebe für kitschige Schlager erinnert.)
Alles, was wichtig ist, bleibt unausgesprochen, und doch spricht aus
Blicken und Gesten immer wieder der Wunsch nach Menschlichkeit und Liebe, und danach, den großen Sprung zu schaffen, der Gewalt adieu zu sagen und die ver-rückte Welt für eine bessere zu verlassen.
In einem Film aus dem Hong Kong des Jahres 1997 (der zudem zur Jahreswende spielt) hat dies auch eine deutlich politische Dimension, aber die Stärke von The Odd One Dies ist, daß er auch auf wesentlich universalerer Ebene funktioniert.
Denn was den Film letzlich so wunderschön macht ist, daß er den Mut hat, die zarte Hoffnung auf die Erfüllbarkeit der Träume zu bewahren. Mit grandiosem Understatement gelingen The Odd One Dies
Momente, in denen die herzlosen Regeln außer Kraft gesetzt werden. Ein Hotelmanager läßt das junge Paar in die Luxussuite, obwohl einheimische Gäste nicht zugelassen sind; ein trauriger Blick und ein bittendes »Nein« genügen, um die genreübliche Spirale der Gewalt zu durchbrechen; Mo stellt sich dem Chef des Glücksspielsyndikats – und entschuldigt sich.
Sicher, das erträumte Paradies entstammt einer Kitschpostkarte. Doch das macht eben das Hong Kong-Kino auch aus: so sehr man die kulturindustriellen Konventionen der Sehnsucht als künstlich durchschaut hat, so sehr ist auch noch der starke Glaube an die Möglichkeit des Glücks vorhanden. Und plötzlich entdeckt man wieder, daß hinter dem verachteten Kitsch, auf den man schon längst nicht mehr hereinfällt, Sehnsüchte stehen, die zu haben nichts anderes ist als menschlich.