USA 2002 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Mark Romanek Drehbuch: Mark Romanek Kamera: Jeff Cronenweth Darsteller: Robin Williams, Connie Nielsen, Michael Vartan, Dylan Smith u.a. |
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Sy Parrish (R. Williams) im Supermarkt |
Er steht in einem langen weißen Gang aus leergeräumten Regalen, endlos. Ein Bild, das in Reduktion und deshalb Intensität der Farbwahl, in seiner extremen Tiefe, von Kubrick sein könnte. Die Einstellung auf sein Gesicht wird größer und einen kehligen Basston später macht er die Augen auf. Sie sind rot, rot vom Blut, das dann in Strömen aus dem Schädel fließt. Man denkt an die Ankunft des Aufzugs in Shining und wie sich der Blutstrom in die Eingangshalle des Overlook-Hotels ergießt.
Die Szene ist der Albtraum Sy Parrishs, Protagonist in Mark Romaneks One Hour Photo, und es ist eines dieser Bilder, die im Zentrum eines Films stehen, die anderen Bilder um sich verteilen, ihnen ihre Bedeutung geben, sie in eine bestimmte Richtung lenken. Sy hat Angst, Angst vor dem Verlust seiner Wahrnehmung, vor dem Wahnsinn, dem Tod. Er war vielleicht ein netter Kerl, der seinen Job als Fotomann in einem der leblosen amerikanischen Einkaufsmärkte liebte. Die Kunden kannte, wusste wo sie wohnen. Aber er ist auch einer dieser einsamen Nonames, John Does, an die sich, wenn sie sterben, niemand mehr erinnern kann. Die ein Nächster in ihrem Leben niemals so sehr geliebt hat, dass er ein Photo von ihnen gemacht hätte. Und in der Melancholie der Einsamkeit, der Isolation, entsteht die Obsession, die sich in Sys Fall in einer Bilderwand in seinem Wohnzimmer manifestiert, an der er penibel sortiert Abzüge der intimen Familienphotos seiner Ersatzfamilie und ehemaligen Kundschaft, der Yorkins, aufgehängt hat.
Schnappschüsse sind Momente, die der Zeit entrissen werden, singuläre Augenblicke, aber in der Serie entfaltet sich das narrative Moment. So wird die Familiengeschichte der Yorkins sichtbar. Die schwangere Nina, Sohn Jake mit Mum und Dad, nachdem er auf die Welt gekommen ist usw. Photographien hängt der Geruch des Todes an, weil sie immer die Vergangenheit, das Gewesene, das nicht mehr Lebendige abbilden. Den Höhepunkt ihrer Morbidität erreichen sie allerdings erst in ihrer Aktualisierung, wenn sich Sy in die Bilder der Yorkins vom letzten Wehnachtsfest hineinträumt.
One Hour Photo lebt von der Kollision zweier Welten. Es gibt eine wunderbare Parallelmontage die das nur allzu deutlich macht. Auf der einen Seite Nina, die Mutter, die ihrem kleinen, mitfühlenden Jungen nachts im Bett erklärt, dass Sy bestimmt nicht einsam ist. Auf der anderen Seite Sy, der »nach Hause« kommt, wieder in einem leeren Gang steht. Sein Körper verschwindet in der Tristesse, den grau-braunen Farben fast, als würde ihn der Erdboden gleich verschlucken. Die Ausstattung kleidet Sy des öfteren in die Farben des übrigen Bildes. Der Mann ist bedroht vom Übergang ins Nichts, ins Vergessen. Er muss kämpfen, um jeden Zentimeter seiner Existenz. Er verwandelt sich in den loner, einen Grenzgänger, der der Welt seine Definition von Moral aufzwingen will und auch vor übertriebener Gewalt und Grausamkeit nicht zurückschreckt. Dabei mutiert er selbst zum Regisseur, in einem abgerissenen Hotelzimmer inszeniert er die Auswüchse seiner Obsession in einer Vehemenz und Perversität wie es seit John 'Scottie' Ferguson in Hitchcocks Vertigo niemand mehr gewagt hat.
Regisseur Romanek, Jahrgang 1959, hat bisher nur einen Film gemacht: Static von 1985. Er hat allerdings eine erstaunliche Karriere als Musikclip – Regisseur hinter sich und dabei zwei der außergewöhnlichsten Videoclips überhaupt in Szene gesetzt. Beide für nine inch nails. »The Perfect Drug« und »Closer«. Für letzteres wurden die Photographien von Joel-Peter Witkin in begehbare tableaux vivants verwandelt. Ins Leben zitiert. Auch dort der extreme Bezug zum Tod. Romanek kennt sich aus mit der fixierten Vergangenheit, die wieder in der Bewegung auftaucht.
Vielleicht ist es die gemeinsame Biographie als Clipregisseur, vielleicht ist es auch die Tatsache, dass sie beide mit dem gleichen Kameramann Jeff Cronenweth zusammenarbeiten, aber die Nähe zu David Fincher lässt sich nicht leugnen. Sy und der Erzähler in Fight Club sind dieselben Kopien von echten Menschen, degeneriert ins Abseits der modernen Gesellschaft. Beziehungslose Somnambule, nur dass der Zynismus Finchers Film dominiert, während Sy mehr ein Opfer fehlgeleiteter Liebe zu sein scheint. Aber beider Leben ist austauschbar. Die Besetzung Robin Williams ist ein guter Zug für diese Rolle, weil das sexuell-aggressive, das vielleicht Kevin Spacey hineingetragen hätte, zu keiner Zeit erscheint. So wirkt es an manchen Stellen wirklich, als könnte sich »Sy-the-photo-guy« in Onkel Sy, einen Teil der Kleinfamilie, verwandeln.
One Hour Photo ist ein Tonfilm, ein echter, das Sounddesign bestimmt die Stimmung, die Emotion in fast jeder Szene und unterstreicht dadurch die seltsam ästhetisiert-unwirkliche Form von filmischer Wirklichkeit. Sy wirkt in der hellblauen Aquariumslandschaft der Mall mit seinen blondierten Haaren wie das Produkt einer überdrehten Phantasie. Ein Überirdischer, Außerirdischer, ein Bicentennial Man auf der Suche nach einer Liebe, als deren Teil er sich fühlen darf. Tom Foden war für das Produktionsdesign verantwortlich und in seiner Vita findet man auch Tarsem Singhs The Cell. Ein weiterer Regisseur, der vom Videoclip in den Langfilm kam. Und vielleicht ist das schon eine kleine »Bewegung«. In Static arbeitet der Protagonist Ernie Blick in einer Fabrik, die am Fließband Jesuskreuze produziert. Die deformierten Stücke – Jesus hängt falsch herum am Kreuz, wie ein Embryo kauert er in der oberen Hälfte seines Kreuzes – lässt er in seinem Rucksack verschwinden, trägt sie nach Hause und nagelt sie sich an die Wand. Auch hier das serielle Moment und, was vielleicht noch wichtiger ist und was Romaneks Arbeit an die von Fincher und Singh rückbindet und verdichtet: Es ist eine Kollektion des Abartigen, des Deformierten. Ein Reich, in dem auch John Doe in Se7en zu Hause ist, oder in dem sich das konstitutive Moment für die Albtraumlandschaften Carl Starghers in The Cell voll entfalten kann. Auf der einen Seite der verwirrte, digitale Geist. Auf der anderen Seite der perverse Schmerz der Körper. Tyler und der Fight Club, die Morde in Se7en, Stargher, der sich Eisenringe ins Fleisch jagt und sich daran meterhoch in die Luft zieht. Dem Grad an Künstlichkeit stehen die Welten dieser Filme in nichts den Videoclips nach. Nur scheint keine der Figuren in ihnen leben zu können. Das Kino hat sich formal verändert, ist noch ein Stück weit »perfekter« geworden, aber die »Jungen« Fincher, Singh und Romanek befinden sich in ihren Erzählungen in bester amerikanischer Tradition. Denn die Universen ihrer Filme schöpfen letztlich aus den Abgründen, aus denen auch Travis Bickle, der Taxi Driver, und Jack Torrance, Kubricks »Held« in Shining, entstiegen sind.