USA 2020 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Gavin O'Connor Drehbuch: Brad Ingelsby Kamera: Eduard Grau Darsteller: Ben Affleck, Al Madrigal, Janina Gavankar, Michaela Watkins, Brandon Wilson u.a. |
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Jetzt mal schön stark bleiben | ||
(Foto: Warner Bros.) |
Eine Baustelle, auf der eine riesige Straßenbrücke errichtet wird. Schweißbrenner, Kräne, heftig ratternde Maschinen, harte körperliche Arbeit – sofort mit der ersten Szene des Films sind wir mittendrin in einer proletarischen Welt, wie man sie so gut wie nie in einem deutschen Film zu sehen bekommt: Das weiße Amerika der Armen, Abgehängten, des White Trash, »weißen Mülls«, wie diese Schichten nicht einmal verächtlich, sondern einfach nur realistisch genannt werden. Jack, gespielt von Ben Affleck, arbeitet hier, als ganz normaler Bauarbeiter.
Vielleicht hat Jack vor vier Jahren Donald Trump gewählt. Denn er ist zwar erst um die 40, hat aber sein Leben im Grunde schon hinter sich: Einst ein Basketball-Star, gewann er Pokale und die Herzen der Fans, jetzt ist das Feierabendbier, das er sich auf der Autofahrt nach Hause gönnt, keineswegs sein erstes, denn das gab es schon morgens unter der Dusche, das zweite zum Frühstück, und in der Wasserflasche, mit der er sich zuvor den Staub des Tages aus den Zähnen spülte, ist, das ahnen wir bald, Wodka – Jack ist Alkoholiker.
Zuhause ist der Kühlschrank randvoll mit Bier gepackt, oft genug aber leer, bevor der Abend ganz zu Ende ist, morgens, wenn andere einen Kaffee holen, kauft er sich die Ration für den Tag, und in der Kühltasche auf dem Autorücksitz liegt die eiserne Reserve – Alkohol ist permanent anwesend in diesem Film.
Jacks einziger echter Kontakt außerhalb dieses Trinker-Universums ist seine Schwester. Irgendetwas ist passiert, dass alles so kam, sie sagt, sie wolle nur, dass er glücklich wird, aber irgendetwas ist zerbrochen in diesem muskulösen, gut aussehenden Mann, dass er trotz aller Kraft oft genug nur noch ein Sack Selbstmitleid ist.
Dann wird Jack – und das ist nicht die einzige notwendige »suspension of disbelief« in diesem Film – von dem Durchschnitts-Team, bei dem er einst spielte, angesprochen, ob er die Mannschaft, die in dieser Saison vollends am Ende ist, trainieren könnte.
Klar, dass das zur dramaturgischen Gelegenheit wird, um aus der existenziellen Sackgasse herauszukommen und den American Dream noch einmal zum Glühen zu bringen…
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Dies ist kein klassischer Sportfilm, sondern darüber hinausgehend mehr ein persönliches Drama à la Leaving Las Vegas. Es ist auch ein durchaus berührender, stellenweise sogar fesselnder Film.
Dies allerdings mehr in den Szenen über Sport und Teambuilding, nicht in den gelegentlich moralisierenden, immer von depressiv angehauchter Klimpermusik untermalten Alkoholismus-Szenen – nichts ist mehr übrig von jenen früheren Zeiten, wo es im Kino auch mal amüsante und gutgelaunte Säufer gab, wie die Chaplin-Figur in Lichter der Großstadt, oder Missgeschicke Betrunkener Anlass zum Lachen waren – all das gilt dem Kino von heute als anrüchig, als Anlass zum Fremdschämen. Solches Kino hat heute immer auch ein bisschen Therapie und Lektion fürs Publikum zu sein.
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Out of Play ist übrigens nicht etwa der amerikanische Originaltitel, sondern – man staune! – der deutsche. Im Original heißt der Film The Way Back, also Der Weg zurück.
Es ist der zweite Film, den Hollywood-Routinier Gavin O’Connor als Regisseur und Ben Affleck zusammen drehen – nach The Accountant, dem hübschen kleinen Film über einen unscheinbaren Schreibtischhengst, der sich als Mafia-Buchhalter entpuppt.
Für Ben Affleck ist das eher unterdurchschnittliche Drehbuch »a gmahde Wiesn«, um sich darstellerisch auszutoben: Alkoholikerrollen sind Oscarkandidatenrollen, und Affleck, der sowieso zu den besten seiner Generation gehört, zeigt hier im Gegensatz z.B. zu Nicholas Cage, dass großes Schauspiel auf Reduktion gründet, auf Understatement.
»Defence Creates Offense!«, bringt Afflecks Jack den Jungs bei, und von der Verteidigung geht auch die Figur in den Angriff über – und so wird aus dem Alkoholiker-Drama und Sport-Drama die Geschichte von der Sehnsucht eines vereinsamten Mannes nach Normalität, Hoffnung, im Wortsinn Ernüchterung und Erlösung.
Dabei ist dieser Film zuallererst einmal ein ziemlich normaler, auch im guten Sinn konventioneller Film: Er überrascht nicht, er bietet das, was man als Zuschauer mit gutem Recht vom Kino erwarten darf. Er tut dies solide, ohne negative Überraschungen; aber eben auch ohne über sich selbst in irgendeiner Weise hinauszuwachsen.
Es bleibt am Ende die gute alte amerikanische Geschichte vom Aufstieg der Underdogs von ganz unten, vom Wenden des Nachteils in einen Vorteil, vom persönlichen Triumph; die Geschichte vom Einzelnen, der nur richtig wollen muss, dann kann er schon können.
Eine Geschichte, bei der Siege und Erfolge nicht nur über Willen und Selbstüberwindung der inneren Dämonen kommen, sondern auch über den Körper und über Sport: Trainieren, Sich-Quälen, Sich-Stählen, Sich-Überwinden; nur im gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist – das sind so die Werte und moralischen Ingredienzien dieses Films. Man kann das ideologisch nennen. Man kann es als leere Behauptungen empfinden; man kann sagen, dass Willenskraft und gute Absichten alleine – das hat sich oft genug gezeigt – eben nicht ausreichen, um auch etwas zu erreichen, im Leben und im Job.
Aber wenn dies auch eine Ideologie ist, dann ist es zumindest eine schöne, nicht unsympathische Ideologie und vor allem ist es definitiv die Ideologie unseres Zeitalters – die wir alle in der einen oder anderen Weise teilen. Dieser Film ist gerade auch dadurch ein Mainstream-Film, dass er uns nicht in diesem unserem Denken herausfordert, sondern im Gegenteil bestätigt, dass er uns ein gutes, allzu gutes Gefühl gibt.
Aber es macht eben fraglos großen Spaß, Ben Affleck dabei zuzusehen, wie er sich selbst darüber kuriert, dass er zur Leitfigur für einen Haufen desorientierter junger Menschen wird; wie er filmisch in längeren Montagesequenzen gebündelte Erfolgssträhnen feiert, und sein Team wieder auf Vordermann bringt – und dadurch sich selbst.