USA/Georgien 2003 · 85 min. Regie: Paul Devlin Drehbuch: Paul Devlin Kamera: Paul Devlin, Valeri Okidadse Schnitt: Paul Devlin |
»Manchmal habe ich Angst, gelyncht zu werden«, sagt Piers Lewis. Der hemdsärmelige junge Mann mit Pferdeschwanz und Brille gehört zum Top-Management des amerikanische Energiegiganten AES Corporation, der die privatisierte Elektrizitätsgesellschaft im georgischen Tiblissi übernommen hat. Lewis undankbare Aufgabe ist es, den Georgiern beizubringen, dass man in postsowjetischen Zeiten für Strom zahlen muss. Als AES zum ersten Mal allen Schuldnern den Strom sperrt, kommt es zu wütenden Tumulten. »Momentan zahlen nur zehn Prozent der Haushalte«, berichtet Lewis. Seine Haare, so hat er gelobt, schneidet er erst dann, wenn es 90 Prozent sind.
Rund 25 Dollar kostet der Strom für eine Durchschnittsfamilie im Monat. Für viele ist das deutlich mehr als sie überhaupt verdienen. Eine Delegation alter Leute spricht im Büro des Konzernleiters Michael Scholey vor. Sie haben keinerlei Einkünfte und bitten, dass man bei ihnen eine Ausnahme machen möge – vergeblich. »Möge Gott Ihnen so helfen wie Sie uns geholfen haben«, sagt einer der alten Herren grimmig. Andere denken sich immer raffiniertere Methoden aus, um kostenlos an Strom zu kommen. 40 Prozent der Haushalte im Land versorgen sich über illegale Leitungen.
Wie Spinnweben ziehen sie sich über die maroden Hauswände, hangeln sich lianengleich zwischen baufälligen Häusern. Ein Labyrinth verrotteter Kabel, bei dem längst niemand mehr weiß, wie es überhaupt zusammenhängt. »Diese Anlagen sind nicht gefährlich, sie sind tödlich«, erklärt ein weiterer Mitarbeiter von AES, der das Knäuel entwirren und sanieren soll: ein Gordischer Knoten mit Millionen Volt. Regelmäßig kommen Menschen ums Leben, bei dem Versuch, Licht und Wärme für ihre Familien zu organisieren. »Ohne Strom ist es, als ob Du tot bist«, erzählt ein junger Georgier, »dann ist es kalt, dunkel und still«.
Regisseur Paul Devlin beobachtet den Wandel des vormals kommunistischen Landes zur Marktwirtschaft. Und dabei zeigt sich, dass der Titel Power Trip durchaus doppeldeutig ist: Auch in Fragen des Stromes geht es nicht nur um Energie, sondern immer wieder auch um Macht. Seit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion haben Bürgerkriege das Land am Fuße des Kaukasus wirtschaftlich und politisch ruiniert. Hartnäckig klammern sich Privilegierte an ihre Pfründe. Korruption erstreckt sich bis in hohe Ministerien. Ein populärer Journalist, der die Missstände anprangert, wird ermordet.
Der Film gibt faszinierende Einblicke in die Mentalität der Menschen, die ungeheuren Schwierigkeiten, die das Leben in diesem Land mit sich bringt und die Chuzpe, mit der sich Georgier immer auf neue mit der Dauerkrise arrangieren. Devlin scheitert jedoch daran, die gesellschaftlichen Zusammenhänge in diesem Land transparent zu machen. Sie erweisen sich als ebenso undurchschaubar wie das Gewirr der illegalen Stromnetze. Die postmodernen Managementmethoden des Konzerns mit flachen Hierarchien, Eigenverantwortung und Spaß an der Arbeit wirken vor dieser Kulisse seltsam surreal.
Auch wenn Piers Lewis Engagement und Zuneigung zum georgischen Volk glaubwürdig erscheinen, macht sich Unbehagen breit, wenn der amerikanische Konzern zum Hoffnungsträger und Heilsbringer stilisiert wird. Wenn AES scheitert, gehen in Georgien die Lichter aus, so lautet der Tenor des Films. Wenn dem so ist, dann gute Nacht. Auch bei AES herrschen seit der Krise auf den amerikanischen Märkten wenig Risikofreude. Dass die Amerikaner sich aus Georgien zurückziehen, scheint nur eine Frage der Zeit.