Deutschland 2005 · 81 min. · FSK: ab 0 Regie: Rainer Knepperges, Christian Mrasek Drehbuch: Rainer Knepperges Kamera: Matthias Rajmann Darsteller: Nina Proll, Claudia Basrawi, Rainer Knepperges, Mario Mentrup, Klaus Lemke u.a. |
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Wir fordern gelbe Telefonzellen |
In Uruguay, da haben sie irgendwann einfach aufgehört, dieses ganze Fortschritt- und Wachstums-Dings mitzumachen. Da reparieren sie lieber ihre alten Autos, als sich dauernd ums Finanzieren und Anschaffen von neuen zu sorgen. Und da leben sie nun gücklich und zufrieden im warmen, gelben Licht der Besonnenheit.
Klar ist das ein Fantasie-Uruguay, von dem die junge Katja da erzählt. Keine Ahnung, was im echten Uruguay so abgeht und wie glücklich die Leute dort sind. Aber »Uruguay«, das klingt schon so ein bisschen nach »Utopie«, und es geht eh nicht um Fakten, sondern ums Prinzip.
Bzw. erstmal geht es um die schönen, alten, gelben Telefonzellen. Die Quereinsteigerinnen ist ein Film von Menschen für Menschen, die nie wirklich eingesehen haben, warum die gelben Häuschen durch häßliche, grau-magentafarbene Telefonsäulen ersetzt werden mussten. Womit die Telefonzellen eben ein Symbol sind für’s Prinzip: Für’s Prinzip des ewigen, kapitalistischen »Forwärts« und »Mehr«, das unablässig, zwangsläufig am Laufen gehalten werden muss, auch wenn die Leute eigentlich zufrieden wären da, wo sie grade sind, und mit dem, was sie haben.
Barbara (Nina Proll) und Katja (Claudia Basrawi) sind zwei Freundinnen – junge Frauen eigentlich, aber eher wie Mädchen wirkend – die die gelben Telefonzellen wiederhaben wollen. Irgendwie schon auch als Zeichen, s.o., aber wohl zunächst doch, weil sie die einfach mochten. Und drum entführen sie den »Boss« (Aufsichtsratsvorsitzenden? Konzernchef? Wer weiß das schon genau...) der Telekom, Harald Winter, in ein kleines Ferienhaus im Wald.
Barbara und Katja sind hinreißend unbeholfene Entführerinnen. Sie kidnappen ungefähr so, wie man sich das nach Lektüre von zuviel Ennid Blyton-Büchern und dem Sammeln von zuviel Yps-Heft-Geheimagenten-Gimmicks zurechtlegt. Mit Kommunikation in Kinder-Geheimsprache (»Gebeheibeimsprabachebe«), Fesselspielchen und mühsam formuliertem Erpresserschreiben, das am Dorfbahnhof einer alten Zugreisenden zum Einwerfen in Hamburg mitgegeben wird, um die Spuren zu
verwischen.
Harald Winter (Rainer Knepperges) nimmt nichts davon ernst, lässt das alles über sich ergehen, sauer nur, dass er grade ein freies Wochenende verpasst. (Bis ihm langsam dämmert, dass er in dieser Gefangenschaft so unfrei gar nicht ist...) Und vor allem genervt und insgeheim beleidigt von der Unprofessionalität des Unternehmens.
Die Quereinsteigerinnen ist – in Theorie und Praxis – ein großes, wunderbares Loblied auf die Unprofessionalität. Wie die Bewohner des Utopie-Uruguays setzt er die Bastelei und die Erhaltung des Alten über das Design und die Mode. Es ist ein Film, der aus seinem sichtlich niedrigen Budget nicht einfach nur clever eine Tugend macht. Es ist ein Film, der wahrscheinlich gar nicht wüsste, was er mit mehr Geld hätte anfangen sollen.
Oft wirkt er,
als wären da einfach eine Handvoll sympathischer Leute mit einer Kamera in ein Ferienhaus gefahren und hätten dort improvisierend ihren Spaß gehabt. Der Eindruck ist beabsichtigt – aber man darf sich von ihm nicht täuschen lassen: Die Regisseure Knepperges und Mrasek sind sehr präzise und mit wohlüberlegten Gründen hinter dem Feeling einer speziellen Art von Kino her. Das Ganze ist kein beliebiger Wurf aus einer bloßen Laune heraus, ist in Wahrheit weniger improvisiert,
als es scheint.
Klaus Lemke, ein nimmermüder Querkopf des deutschen Films, spielt in einer Nebenrolle den toughen Sonderagent der Telekom, der den Entführerinnen auf der Spur ist. (Das Letzte, was den Film interessiert, ist irgendeine Form von »Realismus«.) Und Lemke ist auch einer der stilistischen Schutzheiligen: Die Quereinsteigerinnen knüpft an bei den europäischen Traditionen der Sechziger und Siebziger, als Filmemachen für die jungen
Menschen zu einer fröhlichen Mischung aus Abenteuer, Hobby, Spiel, Revolution und Möglichkeit zum Anbandeln wurde.
Noch nie haben DV-Kamera-Bilder so zwanglos an die Ästhetik von Seventies-Urlaubsfilmen erinnert. Und wenn aus den Schränken des Ferienhauses die Kunstpelz-Jacken und Häkel-Umhänge ausgepackt werden, wenn die Rhythmusautomatik der Heimorgel grooved, der Eierlikör fließt und Herb Alpert auf dem Plattenspieler die Trompete bläst, dann ist das keine aufgespreizte Retro-Coolness, kein Mode-Gag. Dann ist der Film einfach nur da angekommen, wo er die Heimat seines Herzens hat.
Die Quereinsteigerinnen hat ein Sommer der Liebe-Feeling, ist prima entspannt am Rand der Geschichte entlangerzählt, unter Umschiffung all der groß dramatischen, eindeutigen, zuspitzenden Momente, die man sofort im Kopf hat, wenn man nur die Inhaltszusammenfassung liest: Der Fluchtversuche, des Aufkeimens der Liebe.
Bei einer der Vorführungen auf dem Münchner Filmfest war Rainer Knepperges nicht nur von der generell famosen Stimmung im Saal angetan
– er war speziell glücklich darüber, dass die Lacher so wenig uniform waren. Um es eine Ecke zu pathetisch zu formulieren: Es ist ein sehr demokratisches Lachen, das der Film hervorruft. Er überfällt einen selten mit »Gags«. Er macht eher Angebote der Komik, und unterbreitet diese Angebote zudem mit einem herrlichen Understatement – oft ist es nur die Art, wie ein Satz formuliert ist, oder auch nur der spezifische Tonfall, das Timing einer Situation, die einen
plötzlich unwiderstehlich kitzeln. Und das Schöne daran ist eben, dass jeder für sich einen anderen Lieblings-Moment entdecken wird. Man fühlt sich weniger wie beim Anschauen einer klassischen Filmkomödie als wie an einem leicht beschwipsten Abend mit Freunden: Beim Nacherzählen ist es dann oft schwer, genau zu erklären, weshalb dies und jenes so rasend lustig war. You just had to be there. Ich erspare es mir drum jetzt auch, auf einer halben Seite darzulegen, warum ich im Kino lang
nicht mehr so spontan, ehrlich und tief gelacht habe wie bei »Die Bratpfanne – vor der hat er Angst!«.
Die Quereinsteigerinnen ist... nein, nicht mal so sehr eine Antwort auf die derzeitige Welle an deutschen Unbehagen-am-System-Filmen mit proto-revolutionären Träumen à la Die fetten Jahre sind vorbei, sondern eine Alternative: An der Oberfläche nimmt er sich weniger wichtig und ernst, führt alle große Attitüde auf’s Schönste ad absurdum. Aber in dem, was er
tut, ist er konsequenter. Weil er konkret vorführt, dass man, wenn man nur will, sich den (ästhetischen) Moden und vermeintlichen Fortschritten tatsächlich entziehen kann – und dabei ungleich mehr Freude bereiten, als die allermeisten angestrengten Surfübungen auf der jüngsten Zeitgeist-Brandung.
Man mag sich mehr oder minder entfernt erinnert fühlen an den definitiv schönsten deutschen Film 2004, Helge Schneiders Jazzclub – Der frühe Vogel fängt den Wurm: Gelebte Verweigerung ohne jede Verbissenheit. Schlicht der Beweis, dass es noch immer anders geht. Ein Lichtblick in der Dauermisere des deutschen Kinos, von dem man wieder ein paar Monate zehren kann.
Einen naheliegenden Vorwurf gibt es gegen Die Quereinsteigerinnen: Dass seine Sehnsucht nach dem utopischen Uruguay fern der Zwänge des Globalkapitalismus, dass seine Wiederauferstehung der Siebziger nur ein naives Rückzugsgefecht sei, eine Flucht in eine imaginäre Welt der Kindheit (Knepperges und Mrasek sind Jahrgang 1965 und 1970), die in Wahrheit auch nicht menschlicher und besser war, sondern die man damals lediglich aus einer Geborgenheit
der Unwissenheit heraus wahrnahm.
Soviel daran ist wahr: Der Film ist eine pure, utopische Fantasie. Woraus er auch nie einen Hehl macht. Aber das Listige an ihm ist, dass er die vermeintlichen »Realitäten« in ihrem Ursprung auch erstmal als Fantasien begreift – nur welche, die ruchloser durchgesetzt wurden. Die Quereinsteigerinnen enträt klugerweise aller großen politischen Diskussionen. Aber nebenbei – wie alles Wichtige in diesem Film
– schleicht sich dann doch ein bisschen was ein von einem Weltbild. Und da ist dann eben diese zentrale Frage, warum eigentlich die gelben Telefonzellen wegmussten. Es gibt dafür viele und komplexe Gründe. Einerseits. Andererseits läuft es aber auch darauf hinaus, dass Menschen in entsprechenden Machtpositionen sich das, einer bestimmten Fiktion von Welt folgend, als Notwendigkeit eingebildet haben.
Barbara redet mal mit Harald Winter über dessen Job und wie das denn so ist, wenn er mit seinen Kollegen zusammensitzt und Dinge beschließt. Man stellt sich das unweigerlich so ähnlich vor wie die Planungen von Barbara und Katja. Nur eben weniger sympathisch – und ungleich professioneller. Weil das wohl der entscheidende Unterschied ist zwischen dem Amateurtum und den Profis: Dass letztere es als Selbstverständlichkeit ansehen, dass die Welt ihrem Willen und
Vorstellungen gehorcht.
Im vielleicht hinterhältigsten Dialog des Films fragt Barbara dann Harald: »Wessen Lieblingsfarben waren eigentlich Grau und Rosa?«