USA 2010 · 107 min. · FSK: ab 6 Regie: Gore Verbinski Drehbuch: John Logan Musik: Hans Zimmer |
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Tragik des Lebens aus zweiter Hand |
Von zwangsläufig zu zwanghaft ist der Weg meist nicht weit; so wie der vom Piraten- zum Westernfilm im Grunde auch nicht. Beiden Genres gelang fast zeitgleich Durchbruch, Höhepunkt und Niedergang aufeinander abzustimmen und auch die Verballhornungen, Wiederbelebungsversuche und postmodernen Reflexionen können sich im Mahlstrom der Gezeiten die Hand reichen. Fast zwangsläufig muss deshalb auch für Gore Verbinski während des Drehs am zweiten Fluch der Karibik-Film diese Verbindung aufgefallen sein und statt für den vierten Piratenfilm in Folge die Regie zu übernehmen, entschied er sich für einen Western. Und weil Abschied ja meist doch weh tut – auch wenn der Weg wie schon gesagt nicht weit ist – und man es andererseits selten einfacher hat, fragte er den am Set anwesenden Johnny Depp, ob der die Stimme des animierten Westernhelden übernehmen könne. Symbiotischer geht es kaum und Depp sagte zu. Warum auch nicht einmal einem Chamäleon in der Lebenskrise die Stimme leihen statt einer Piratenanimation den Körper? Ein Chamäleon, das nicht nur seinen Namen erst noch lernen muss und dabei betont unabsichtlich die Filmgeschichte des Western anzitiert, um sie im gleichen Atemzug dem Klamauk zu verscherbeln: aus Franco Neros Django & John Waynes Ringo in Stagecoach wird so zwangsläufig Rango. Aber dabei bleibt es nicht; auch im Weiteren muss sich der Held zur Überwindung seiner Krise durch einen Western-Parcours quälen, der an Zitathürden kaum zu überbieten ist.
Da diese Zitatblöcke durch Verbinskis zwanghafte Liebe zum Genre fast permanent und ähnlich multiplex wie in der Namensgebung des Helden eingestreut und animiert werden, gerät der an sich simplexe Plot um eine gegen Trockenheit und gegen das Böse kämpfende Kleinstadt immer wieder ins Straucheln – und erinnert beklemmend an das, was der Philosoph Arno Plack über die Natur der besitzergreifenden Liebe geschrieben hat: »Die Liebe, die den Anderen sich einverleiben möchte, die ihn „seelisch“ ganz in sich saugen will, ist mehr als ambivalent, sie ist im Grunde tragisch. Wer ganz den Anderen zu eigen haben möchte, so, als sei dieser schon ein Teil von ihm selbst, der kann dies nur erreichen, indem er ihn als eigen-willige Person vernichtet.« (A. Plack: Die Gesellschaft und das Böse, S. 52). Verbinski vernichtet zwar keine Person, aber immerhin ein Genre.
Ähnlich wie in Verbinskis Piratentrilogie überdecken jedoch zumindest partiell auch in Rango schrille, laute, bizarre und immer wieder überraschende Actionsequenzen und ein darauf abgestimmtes Personal diese Schwäche. Die erstmals von Industrial Light & Magic progammierten CGI-Animationen besitzen zudem eine faszinierende Bandbreite: verblüffend fotorealistische Szenarios werden von einem figürlichen Panoptikum bevölkert, dessen groteske Charaktere an die besten Zeichnungen eines Benoît Sokal heranreichen. Es sind dann auch wohl diese Elemente, die den Film für das eigentliche Zielpublikum »Familie« kompatibel – und sehenswert machen. Die ständig auf zwölf Uhr vorrückende Uhr hingegen oder ein sich als »Geist des Wilden Westens« materialisierender Cowboy in der Gestalt Clint Eastwoods aka Joe aus Leones Für eine Handvoll Dollar oder der griechische Tragödienchor in Gewandung einer Mariachi-Band aus Eulen dürften ohne großes Staunen schlichtweg ignoriert werden. Und das zurecht – erinnern sie doch schmerzlich an das eigentliche Dilemma dieses Films, der, um noch einmal mit Arno Plack zu sprechen, zwanghaft versucht ein Leben aus zweiter Hand zu leben.