USA 2013 · 117 min. · FSK: ab 12 Regie: José Padilha Drehbuch: Joshua Zetumer Kamera: Lula Carvalho Darsteller: Joel Kinnaman, Gary Oldman, Michael Keaton, Abbie Cornish u.a. |
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Zum Greifen nahe Unsterblichkeit |
1. A robot may not injure a human being or, through inaction, allow a human being to come to harm.
2. A robot must obey the orders given to it by human beings, except where such orders would conflict with the First Law.
3. A robot must protect its own existence as long as such protection does not conflict with the First or Second Law.
(Isaac Asimov, I, Robot, 1950)
Ähnlich wie Zal Batmanglijs The East, der den Skandal um Edward Snowden vorwegnahm, ist auch José Padilhas RoboCop einer der faszinierenden Momente, in denen ein Film technopolitische Gegenwart nicht nur angemessen kommentiert, sondern auch visionär kartographiert. Denn es reicht ein schneller Blick zurück: Erst vor kurzem kaufte Google den Robotics-Spezialisten Boston Dynamics und das Startup für künstliche Intelligenz DeepMind (sowie nebenbei noch kleinere, verwandte Puzzleteile wie Bot & Dolly, Meka Robotics, Holomni, Redwood Robotics, Schaft und ein weiteres KI Startup, DNNresearch), hat die Drohnen-Thematik Eingang ins tagespolitische Geschehen gefunden, reißen die medizinischen Erfolgsnachrichten von Cyborg-ähnlichen Implantaten nicht ab. Obgleich diese Bereiche bislang nicht fusioniert haben, scheint es nur eine Sache der Zeit, dass Google oder einer der anderen technologischen Giganten sich eben dieser Möglichkeit bedient.
In dieser nahen Zukunft bewegt sich José Padilhas RoboCop. Statt Google ist es OmniCorp, das über seinen charismatischen CEO Raymond Sellars (Michael Keaton) versucht, ihre Sicherheitsroboter auch in den USA als festen Bestandteil der Polizeikräfte zu implementieren, so wie es schon weltweit Standard ist. Doch Amerika ist in dieser Vision einmal nicht die Welt, sondern wehrt sich, weil es sich um den menschlichen Faktor sorgt, der etwa in Bezug auf kriminalisierte Kinder unschätzbar scheint. Erst als OmniCorp auf das Cyborg-Terrain ausweicht und den bei einem Anschlag schwer verletzten Polizisten Alex Murphy (Joel Kinnaman) zu einer Mensch-Maschine transformiert, beginnt sich das Blatt zu wenden.
Dieser im Kern scheinbar geradlinige und immer wieder handlungsbetonte Plot gleicht aber nicht nur themenhistorisch ein wenig dem Drachen der Weisheit in Michael Endes »Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer«. So wie aus der einstigen Brutalität und Simplizität des Drachen eine uneindeutige, einsichtige Wahrheitssucherin geworden ist, so ist es auch um die Geschichte menschlicher Robotervisionen bestellt. Aus Isaac Asimovs 64 Jahre alter literarischen Roboter-Reflexion einer unbedingt technoiden Gesellschaft und dem Wunsch nach Kontrolle ihrer selbst erschaffenen Dienerschaft wurde im Lauf der Jahre über faszinierende filmische Marksteine wie Blade Runner und diverse Star Trek: The Next Generation-Staffeln auch der Boden für dystopische Varianten geebnet – und damit der Einsicht, dass eine Kontrolle über Gesetze bestenfalls ermahnen, niemals aber kontrollieren kann. Einer der schillerndsten Beispiele dafür ist Paul Verhoevens 1987 erschienener SF-Klassiker Robocop, der auch die Blaupause für José Padilhas Remake darstellt.
Doch konzentrierte sich Verhoeven in seinem wuchtigen Original noch ganz auf den dystopischen Kern der Geschichte und vermahlte Medienkritik, Gentrifizierung, Korruption, kapitalistische Gier und Autoritätsgläubigkeit zu einem entsetzlich stinkenden Brei, sehen bei Padhilhas RoboCop die Dinge nicht mehr ganz so eindeutig aus, sind die Grenzen zwischen Wahnsinn und Vernunft fließend, verbreitet der Brei auch Wohlgeruch und stärkt die Nerven. Zwar verrät Padhila nicht die Vorlage, passt sie aber der Gegenwart an. Schon das charismatische Auftreten des OmniCorp-CEOs Raymond Sellars ist eine schauspielerisch brillante, fein austarierte Gratwanderung zwischen positiv konnotierter visionärer Kraft und kaum zu kontrollierender kapitalistischer Gier. Den Blick, den Padhila dabei gleichzeitig auf die Konzernstruktur und seine mediale Wirkung wirft, ist von überraschend analytischer Finesse, kritischer Intelligenz und dabei selten gesehener filmischer Umsetzung getragen. Offensichtlich zehrt Padhila nicht nur von einer genauen Betrachtung gegenwärtiger Konzernstrukturen, sondern auch von seinen bisherigen Erfahrungen als brasilianischer Dokumentarfilmer und fiktionaler Film-Erzähler. Vor allem Padhilas semi-fiktionalen Filme Tropa de Elite und TROPA DE ELITA 2 über die rigiden und nicht immer gesetzeskonformen, durchaus ambivalenten Sondereinheiten der brasilianischen Polizei in Rio de Janeiro sehen sich im Nachhinein fast wie reale Gegenwartsübungen für das ultrareale Projekt Zukunft in RoboCop.
Doch ganz im Sinne des Originals belässt es Padhila auch im Remake nicht bei diesem monothematischen Ansatz, sondern geht weiter als Verhoeven, weiter als der Philosoph Slavoj Žižek, der 1992 zum Original schrieb: »Falls es ein Phänomen gibt, dass die 'grundlegende Sehnsucht der gegenwärtigen Massenkultur' genannt werden kann, dann ist es diese Sehnsucht der Wiederkehr der lebenden Toten: die Sehnsucht eines Menschen, der nicht tot sein will und immer wiederkehrt, um eine Gefahr für die Lebenden zu sein.« Auch hier passt Padhila an, ist die Perspektive weiter und weiser geworden. Nicht nur wird das Frankenstein-Thema zwischen Ingenieur und Objekt, Arzt und Patient, Vater und Sohn, Mensch und Maschine differenzierter gehandhabt, es ist vor allem die Menschmaschine selbst, die weitaus komplexer ist. Mehr noch als eine latente Gefahr für die Lebenden zu sein, ist der heutige Cyborg vor allem Rollenmodell für eine Gesellschaft, die sich nicht nur nach absoluter Sicherheit sehnt, sondern zugleich nach einer erstmals in der Menschheitsgeschichte zum Greifen nahen Unsterblichkeit.