Deutschland 2010 · 83 min. · FSK: ab 0 Regie: Sinem Sakaoglu, Jesper Møller, Helmut Fischer Drehbuch: Katharina Reschke, Jan Strathmann Kamera: Angela Poschet Darsteller: Bruno Renne, Valeria Eisenbart, Ilja Richter, Julia Richter u.a. Stimme: Volker Lechtenbrink |
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Käpt'n Miko auf großer Fahrt durchs Traumland |
Ja, so war das damals, in der DDR: Dem Volk von klein auf Sand in die Augen gestreut. Die geheimsten Träume ausspioniert, feinstsäuberlich protokolliert und auf ewig archiviert. Und den Kindern das Ganze dann auch noch als freundschaftlichen Dienst am Jungvolk verkauft! Und wer partout nicht glauben will, dass das Ost-Sandmännchen beim Geheimdienst war: Ja, der schau sich doch nur dessen Gefährt an! Woher hat der Traumhüter denn so ein hochmodernes, auf Knopfdruck wandlungsfähiges Fliewatüt wie »Rosinante«? Das kennt man doch sonst nur von James Bond!
Und nicht, dass jemand glaubt, zwei Jahrzehnte nach der Wende würde das Sandmännchen sein Mäntelchen nach dem Wind hängen – nein, das ist immer noch so rot wie eh und je. So rot wie die Mütze, wie die Rosinante, und das Ampelmännchen, das jetzt einmal auf ihrer Schnauze auf einem Fähnchen flattert.
Aber im Ernst: Ideologische Indoktrination ist von Das Sandmännchen – Abenteuer im Traumland nicht zu befürchten. Der Film wird höchstens von Nostal-, aber nicht von Ostalgie durchweht. Sein Herz hängt nur ein wenig an den Zeiten, als der Himmel in Puppentrickfilmen noch voller veritabler Wattewolken hing. Ansonsten ist es völlig mitteleuropäisches, spätkapitalistisches Kinderkino – mit klarer Parteinahme für westliche Animationstraditionen. Die deutlichsten Vorbilder in visuell-stilistischer Hinsicht sind Henry Selick/Tim Burton und Nick Parks Aardman Studios; ein paar Nebenfiguren sind direkte Zitate aus Nightmare Before Christmas und den Wallace & Gromit -Filmen. Und die kurzen Realfilmsequenzen atmen mehr als einen Hauch von Jeunet-Bewunderung. Da kann man durchaus sagen: Immerhin, nicht die schlechtesten Leitgestalten. Und man muss allein schon die Schlafmütze ziehen, weil der Film von Jesper Møller und Sinem Sakaoglu sich angesichts solch hochfliegender Träume nicht blamiert.
Optisch kann sich das allemal sehen lassen, hat ein paar richtig starke surreale Bilder (ein Schwarm wie Vögel fliegender Schirme etwa) und clevere Ideen. Wo es auch ab und zu mit seinen Idolen halbwegs mithalten kann, ist bei der Charakterkomik einzelner Randfiguren – etwa bei einem Traumanalytiker in Schneckengestalt und mit Wiener Akzent. Das Freud einen doch! (Und, ja, mit Kalauern kann der Film auch reichlich aufwarten. Und damit hat er mich ja schnell auf seiner Seite...)
Wo’s hingegen ein wenig hapert, ist bei dem grundsätzlichen Handwerk des Drehbuchs. Und zwar, weil’s etwas zu glatt und funktional nach Kinderfilm-Dramaturgievorschrift gestrickt ist. Die zentrale Figur ist nicht das Sandmännchen selbst, sondern ein Bub aus der Wachwelt, der allein den gestohlenen Traumsand von dem Bösling Habumar zurückerlangen kann. Was nur geht, wenn er seine eigenen Ängste überwindet. Je nun, die Rosinante in ihrem Lauf halten weder Albtraum noch Habumar auf, und es endet freilich alles gut mit der wiedererlangten Totalkontrolle des Sandmännchens über alle Kinderträume. Aber wie und warum der Plot da hin kommt, wo er hin muss, das folgt weniger innerer Notwendigkeit und Überzeugung, als dem Zwang der Markt- und Lehrbuchregeln. Das ist da halt, wie’s in Kinderfilmen immer so ist. Was dafür sorgt, dass es auch letztlich »nur« ein Kinderfilm bleibt, wo seine Vorbilder schlicht Filme (und großartige Filme!) sind.
Und eine Sache verzeihen wir Sandmännchen – Abenteuer Im Traumland auch nicht: Wie kann ein Film (und noch dazu einer, der sonst keinen Kalauer auslässt) nur Ilja Richter als Leuchtturmwärter besetzen – und ihn dann kein einziges Mal »Licht aus – Spot an!« sagen lassen. Was für eine vertane Großchance...
Auf dem Filmfest München 2010 wird Das Sandmännchen zu folgenden Terminen gezeigt: Sa. 26.6. 14:30 Gasteig, Carl-Orff-Saal und Mo. 28.6. 9:00 Gasteig, Vortragssaal