Dänemark/GB/Südafrika 2014 · 93 min. · FSK: ab 16 Regie: Kristian Levring Drehbuch: Anders Thomas Jensen, Kristian Levring Kamera: Jens Schlosser Darsteller: Mads Mikkelsen, Eva Green, Jeffrey Dean Morgan, Eric Cantona, Mikael Persbrandt u.a. |
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Fulminanter Remix |
Wenn es das Genre Western noch nicht gebe – es müsste für Mads Mikkelsen neu erfunden werden. Zum Glück ist das nicht nötig, denn zum Glück hat sich der dänische, einstige Dogma-Regisseur Kristian Levring einen alten Regietraum erfüllt und einen fulminanten Remix des klassischen amerikanischen und italienischen Western gedreht. Dabei hätte für The Salvation schon allein Mikkelsen Körpersprache, seine subtile Mimik genügt, zufrieden zu sein. Aber ähnlich überraschend wie 1976 Hark Bohm mit seinem in Bayern gedrehten Tschetan, der Indianerjunge die Westernfläche des Autorenfilms betrat, geht auch dieser dänische Western über die Anleihen des klassischen Western hinaus, emanzipiert sich, um ihm gleichzeitig Tribut zu zollen.
Das liegt zum einen an einer faszinierenden monochromen Farbgebung der in Südafrika fotografierten Landschaften und einer Kamera (Jens Schlosser), die berauschende Synapsen zwischen eben diesen Landschaften und dem Personal des Plots erzeugt. Zum anderen aber ist es tatsächlich die ganz und gar eigenartige Mischung aus klassisch-archaischem Rache-Western und ethnografisch-historisch präzisen und neuen Inhalten, die auch Spät-Western wie Ciminos Heaven’s Gate oder Kelly Reichardts Meek’s Cutoff zu berauschend und beunruhigenden Erlebnissen hat werden lassen.
Levring und sein exzellenter Drehbuchautor Anders Thomas Jensen (Nach der Hochzeit, Love Is All You Need, Regie u.a. bei Adams Äpfel) konzentrieren sich in The Salvation verständlicherweise auf eine dänische Minderheit, die versucht in Amerika Fuß zu fassen: die beiden Brüder Jon (Mads Mikkelsen) und Peter (Mikael Persbrandt) entschließen sich nach der Niederlage im preussisch-dänischen Krieg 1864 nach Amerika auszuwandern. Nach sieben Jahren holt Jon Frau und Kind nach, verliert sie jedoch kurz nach ihrer Ankunft an eine Gruppe von Outlaws, an denen er sich zwar rächen kann, deren wirtschaftliche Gier und Macht er allerdings unterschätzt und sich kurz darauf einem Mehrfronten-Krieg ausgesetzt sieht.
Auch wenn die Handlung unweigerlich Assoziationen an Eastwoods Texaner oder Fremder ohne Namen weckt, die Einsamkeit und Absurdität der Rache an Corbuccis Filme erinnert und allein die Rolle der ambivalenten Frauenrolle durch eine fantastische Eva Green (300: Rise of an Empire) fast augenblicklich Sergio Leones Claudia Cardinale ins Blickfeld treten lässt, vermischen sich diese Zitate und Anleihen dann doch zu einer eigenen Geschichte. Nicht nur durch die wohldosierten, fein gesponnenen Dialoge und eine ausgesprochen poetische Dramaturgie samt einem schauspielerischen Ensemble, das jeden Moment zu einem großen Moment werden lässt, sondern vielleicht vor allem durch die immer wieder dezenten Brückenschläge in die jüngste Gegenwart, die durch Levrings und Jensens elegant gesetzten historischen Einschübe offensichtlich werden.
Wie Europa ein paar Jahre zuvor ausgesehen hat und warum es mehr als eine Grund gab die Heimat zu verlassen, hat Edgar Reitz eindrücklich in seiner letzten Heimat vorgeführt. Und es liegt bei so kurzen historischen Intervallen auf der Hand, das Eindeutige mit Erschrecken zu erkennen: war wir Europäer damals waren, sind heute Syrer, Libanesen oder Kongolesen. Die in einer anderen neuen Heimat genauso ums Überleben kämpfen müssen wie damals Dänen, Deutsche oder Polen in Amerika. Und die es sich wohl genauso wenig vorstellen können, Grundlage und Teil einer Nation zu werden, wie die damaligen Einwanderer. Damit ist The Salvation nicht nur delikates Genre-Kino, sondern auch brillanter Geschichtsunterricht mit einem tödlichen »Schuss« Gegenwartsbezug.
Mads Mikkelsen, Eva Green, und der französische Ex-Fußballnationalheld Eric Cantona – das ist schon für sich genommen eine überaus schräge Kombination. Wie überhaupt der ganze Film: Ein Western aus Dänemark, gedreht in Südafrika! Trotzdem ist The Salvation ein genuines Wild-West-Drama, das alles erfüllt, was man von diesem Genre mit Recht erwartet: Härte, Heldentum, Männerwelt-Coolness, Schießereien und einen blutigen Showdown.
All dies bewegt sich in der Tradition jener desillusionierten Spät-Western, die in Europa als Spaghetti-Western berühmt wurden: Dabei waren es gar nicht Regisseure wie Sergio Leone und Sergio Corbucci, die damit anfingen, europäische und ausrangierte US-Stars in Europa dem uramerikanischsten Genre eine eigene Färbung hinzuzufügen. Es begann vielmehr in Frankreich und in beiden Deutschlands mit Lederstrumpf- und Karl-May-Verfilmungen kurz nach 1960. Bald machten das andere nach, die Italiener am besten, die billigen europäischen Produktionsbedingungen und Hollywoods Krise besorgten den Rest und Ende der Sechziger kam der Trend dann in die USA: Regisseure wie Don Siegel und Sam Peckinpah aktualisierten die Italo-Western für »New Hollywood«.
The Salvation stammt nun vom Dänen Kristian Levring, der vor über zehn Jahren den vierten »Dogma«-Film realisierte. Mads Mikkelsen und Mikael Persbrandt spielen zwei dänische Brüder, die in den 1870er-Jahren nach Amerika ausgewandert sind, und dort ihr Glück zu machen. Als es gelungen ist, lässt Jon (Mikkelsen) Frau und Sohn nachkommen doch nur Stunden nach ihrer Ankunft werden sie brutal ermordet. Nun wird Jon vom braven Bürger zum gnadenlosen Racheengel und Gerechtigkeitskämpfer, zu einer Art Kohlhaas des Wilden Westens – eine Pointe, weil Mikkelsen ja erst vor genau einem Jahr tatsächlich den Kleistschen Helden gespielt hat: In Arnaud des Pallières' etwas unter Wert gewürdigter Verfilmung. Levrings Film liefert nun genau jene Action-Sequenzen und das Tempo nach, das manchen damals fehlte.
Jon rächt den Mord und weitere Schicksalsschläge blutig, und dringt dabei immer mehr in eine Hölle auf Erden vor, in der nicht allein Ausbeuter herrschen, sondern Sadisten. Der Wahnsinn hält Einzug ins Land von John Ford und Howard Hawks. Dafür steht besonders Eva Greens atemberaubende, zwischen Gut und Böse schillernden Figur: Eine lebenslang gezeichnete Frau namens Princess, schön, verführerisch und überlegen, zugleich stumm. Denn ihr wurde von Indianern einst die Zunge herausgeschnitten, als sie ein Kind war, weil sie, so wird erzählt, ununterbrochen schrie, während sie die Ermordung ihrer Eltern mitansehen musste – das erinnert an die Frauenfigur in John Ford »Searchers«. Doch dieses Trauma hat sie verhärtet, und so dient sich selbst dem Bösen – wäre dies ein Märchen, wäre sie eine Hexe zwischen Gut und Böse, anbetungswürdig und gefährlich, die vom Ritter Jon erlöst wird. Im Western, erst recht im späten, geht das leider etwas weniger einfach.
Die Handlung von The Salvation bleibt nach sehr gutem Beginn am Ende dann doch eine reine Genrevariation. nicht schlecht, aber auch nicht originell. Ein Film, der nicht über sich hinausreicht. Das gelingt aber den Darstellern: Die Stars sind die Stars in diesem Dänen-Western, neben Green auch der stoische, zugleich augenzwinkernd-ironische Ex-Mancherster-United-Stürmer Eric Cantona, der hier nach Ken Loachs Looking for Eric (wo er noch sich selber spielte) ein zweites Mal seine enorme Leinwandpräsens beweist. Star Mikkelsen lehnt sich auch im Spiel an Michael Kohlhaas an: Mit wie in Marmor gemeißeltem unbewegtem, irgendwie traurigen, aber auch klassisch-schönem Gesicht. Ein unerlöster Rachegott.