GB/E 2000 · 88 min. · FSK: ab 16 Regie: Jonathan Glazer Drehbuch: Louis Mellis, David Scinto, Andrew Michael Jolley Kamera: Ivan Bird Darsteller: Ben Kingsley, Ray Winstone, Ian McShane, Amanda Redman u.a. |
||
Ray Winstone und Ben Kingsley im Zwielicht |
England ist Gangsterland.
Während bei uns namhafte Gangster wie die Gebrüder Sass erst durch Spielfilme dem Vergessen entrissen werden, hegen und pflegen die Engländer ihr Andenken, ihre Bewunderung und ihre Faszination für legendäre Kriminelle, beginnend bei Jack the Ripper über die berühmten Eisenbahnräuber (allen voran natürlich Ronald Biggs) bis hin zu Unterweltkönigen wie den
Kray-Brüdern.
Auch der englische Film kann sich dieser Begeisterung nicht verweigern und so läßt es sich kaum ein englischer Regisseur nehmen, zumindest einmal einen Gangsterfilm zu inszenieren. Get Carter von Mike Hodges, Mona Lisa von Neil Jordan, Stormy Monday von Mike Figgis oder neuerdings die
Filme von Guy Ritchie, sind nur einige bekannte Beispiele für dieses scheinbar uneinheitliche Genre, dessen Abgrenzung zum amerikanischen Pendant am schönsten in Mike Newells Donnie Brasco klar wird. Der Engländer Newell inszeniert zwar in Amerika, mit amerikanischen Schauspielern, eine Geschichte über die italoamerikanische Mafia und trotzdem hat der Film stimmungsmäßig mehr mit dem
Londoner East End als mit den New Yorker Mean Streets zu tun.
Während amerikanische Gangsterfilme (ohne das qualitativ zu werten) zu opernhafter Größe neigen – große Gefühle, große Freundschaft, großer Verrat, große Häuser, große Waffen – und die Verbrecher als clevere Gewinnertypen gelten (vom meist tragischen Ende einmal abgesehen), denen nur von außen Gefahr droht, zeigen die englischen Filme die Routine, den Dreck, die Trostlosigkeit im Leben der Kriminellen,
wobei diese, gequält von Zweifel, Angst und dem Gefühl ein Versager zu sein, meist selber ihr größter Feind sind.
Auch Stephen Frears machte sich vor Jahren daran, seine Geschichte von englischen Gangstern zu erzählen und ausgerechnet im sonnigen Spanien fand er den richtigen Platz dafür. In seinem Film The Hit entführen der sehr schweigsame John Hurt und der sehr junge und sehr angespannte Tim Roth den cleveren Terence Stamp (dessen Rolle in The Limey durchaus als Reminiszenz von Steven Soderbergh an den englischen Gangsterfilm zu verstehen ist) aus seinem spanischen Domizil, in das er sich zurückgezogen hat, nachdem er zum Verräter, zur »Ratte« geworden war. Ihre endlose Autofahrt durch das heiße Spanien, der Hinrichtung Stamps entgegen, ist ein intelligent lakonisches Drama, das seinen Reiz aus dem Aufeinanderprallen der so verschiedenen Charaktere zieht.
Fast 20 Jahre nach The Hit hat es nun im Film Sexy Beast von Jonathan Glazer wieder einen Gangster nach Spanien gezogen. Doch Gal (Ray Winstone) musste nicht untertauchen. Er hat vielmehr das wahr gemacht, wovon in tausend anderen Gangsterfilmen (in der Regel vergeblich) geträumt wird. Er hat sich zur Ruhe gesetzt, was manchem Exkollegen aber ähnlich verwerflich erscheint wie Verrat.
Zufrieden liegt Gal in der prallen Sonne, genießt
mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar das Leben in vollen Zügen und seine Sorgen drehen sich um so schillernde Themen wie der Frage, welche Farbe er dem Wasser seines Pools geben soll.
Doch in dieses Glück hinein bricht Don Logan (Ben Kingsley), ein Kamerad aus alten Tagen, der extra aus England kommt, um Gal für einen besonderen Auftrag zu engagieren. Der Spaß ist dahin, denn Don ist das, was man in England gemeinhin als »pain in the ass« bezeichnet. Laut, gemein, brutal, niederträchtig, ziemlich durchgeknallt und das er nicht einmal Angst vor dem Teufel hat, ist durchaus wörtlich zu nehmen. Doch das Schlimmste ist: Don akzeptiert keine Absage Gals. Der psychische Zweikampf zwischen dem gemütlichen Gal, der vom gefährlichen Geschäft des Verbrechens nichts mehr wissen will und dem unerbittlichen Don kann beginnen. Dieses endlose Hin und Her wird fast die Hälfte des Films beanspruchen und am Schluß verlieren beiden. Lachender bzw. faszinierter Dritter ist der Zuschauer, der diesen mentalen Zweikampf verfolgen darf.
Gal fährt schließlich nach London, um bei dem geplanten Raub mitzumachen und damit wechselt der Film sein Gesicht. Waren bisher die vorherrschenden Farben Rot (alleine schon die sonnenverbrannte Haut von Ray Winstone!), Gelb oder Orange, so ist London blau, grün und grau. Es sind die entsprechenden Farben, um Gals Stimmung in seiner alten Heimat zu beschreiben. Er will eigentlich nicht hier sein, er hat mit dem verregneten, tristen England schon lange abgeschlossen und zu allem
Überfluß trägt er auch noch ein ziemlich tödliches Geheimnis mit sich herum.
Wie in einem düsteren Alptraum durchlebt Gal die Vorbereitung des großen Raubes, immer misstrauisch belauert vom Obergangster Teddy Bass (Ian McShane), dessen Gefährlichkeit, im Gegensatz zu der des gewalttätigen Don Logan, bedeutend subtiler ist.
Der eigentliche Einbruch ist dann beinahe eine Nebensache (wenn auch sehr originell und untypisch inszeniert), ohne das große Gedöns, das in solchen Filmen
sonst um den perfekten Coup gemacht wird. Viel spannender ist hier die Frage, wie bzw. ob Gal aus der Sache wieder herauskommt und ob er sein geliebtes Spanien jemals wiedersieht.
Glazer gelingt somit ein Gangsterfilm in bester britischer Tradition, indem er nicht das Verbrechen, sondern die Verbrecher und ihre Miseren in den Mittelpunkt stellt. Sexy Beast ist eine wunderbare Reflexion darüber, wie Menschen mit Zwängen und Erwartungshaltungen umgehen, wie sie versuchen sich daraus zu befreien und sich bei diesem Versuch nur noch weiter darin verstricken.
Dass der Film dabei kein moralisches, trockenes Lehrstück ist, dafür sorgt
die frische und kreative Inszenierung Glazers, der ein intelligentes Drehbuch, hervorragende Darsteller (allen voran natürlich Ray Winstone, der schon 1997 in dem wunderbaren Gangsterfilm Face von Antonia Bird brillierte und Ben Kingsley – der Mann der Gandhi und Moses spielte!!! – der mit beinahe 60 Jahren einen selten gesehenen (körperlich) harten, brutalen und abstoßenden Kotzbrocken darstellt) und eine exzellente visuelle Umsetzung zu einem
nahtlosen Ganzen zusammenfügt und auch noch gekonnt mit Latino-Rhythmen von Roque Banos, elektronischen Beats von UNKLE und verschiedenster Source Music kommentiert.
Der richtige Einsatz der Musik ist für Glazer kein Problem, da er vor seinem Spielfilmdebüt mit Sexy Beast Werbung und Musikvideos drehte. Nun sollte man eigentlich meinen, dass das Vorurteil, das manche Kritiker gegen Regisseure mit einer derartige »Vorbildung« hegen, mittlerweile ausgestorben ist, da die Kinorealität immer wieder den Gegenbeweis liefert (man denke nur an David Fincher oder Spike Jonze). Trotzdem werden jetzt wieder Stimmen laut, die
Sexy Beast zwar als schön, rasant und technisch einfallsreich loben, die aber bemäkeln, der Film bleibe an der psychologischen Oberfläche. Solche Kritik ist aber gerade hier lächerlich, da es ausgerechnet Glazer ist, der es allein durch Musik und Bilder schaffte, sogar seinen Videos (z.B. für UNKLE oder Massive Attack) so etwas wie psychologische Tiefe zu geben.
Emotionen werden bei Glazer nicht durch tonnenschwere Dialoge, sondern durch suggestive
Szenerien, die direkt in unser Gehirn treffen, vermittelt.
Manchen erscheint dies offensichtlich als filmischer Fehler. In Wirklichkeit sind es aber diese magischen Bilder, die seit jeher die wahre Faszination des Kinos ausmachen.