Dänemark 2014 · 95 min. · FSK: ab 12 Regie: Bille August Drehbuch: Christian Torpe Kamera: Dirk Brüel Darsteller: Ghita Nørby, Morten Grunwald, Paprika Steen, Danica Curcic, Jens Albinus u.a. |
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Ohne falsche Sentimentalitäten |
Bille August hat es die letzten Jahre nicht leicht gehabt. Nach schrecklichen Belanglosigkeiten über biederbanal umgesetzte literarische Vorlagen (zug nach Lissabon, Marie Krøyer), schien ihn tatsächlich der Fluch des One-Hit-Wonders auf den Schritt zu folgen und der Ruf eines Don Mcleans des Films nicht mehr zu verlassen. Augusts »American Pie« waren immerhin gleich zwei Werke: die brilliante Umsetzung von Martin Andersen Nexøs Klassiker Pelle der Eroberer und dann sein Magnus Opum, die auf einem Drehbuch von Ingmar Bergmann basierende Beziehungs-Analyse von Bergmann Eltern, die großartigen, 1992 in Cannes mit der goldenen Palme ausgezeichneten besten Absichten. Von diesem filmischen Kraftakt an gnadenloser Beziehungsaufarbeitung hat sich August anscheinend geich jahrzehntelang mit Seichtigkeiten erholen müssen.
Diese Zeit scheint nun endlich vorbei zu sein. Denn was August mit seinem neuen Film Silent Heart liefert, ist nah dran an dem, was er einst mit den besten Absichten bewiesen hat: Dass ein fast schon psychoanalytischer Ansatz auch im Film funktionieren kann – und seien die Erfolgsaussichten auch noch so schlecht.
August porträtiert in Silent Heart das Wochenende von drei Generationen einer Familie. Was wie ein normales Zusammentreffen in der Vorweihnachtszeit aussieht, entpuppt sich jedoch sehr schnell als delikates Psychodrama. Denn Esther (Ghita Nørby) hat in Absprache mit ihrem Mann Poul (Morten Grunwald) beschlossen, sich wegen ihrer unheilbaren, amyotrophen Lateralsklerose, am Ende des Zusammentreffens selbst zu töten. Dieser Schritt ist auch deshalb so wichtig, weil die Zeit drängt, da die Krankheitsschübe stärker werden und ein vermeintlich legaler Selbstmord nur dann ohne strafrechtliche Konsequenzen für ihren Mann möglich ist, solang Esther noch die Kontrolle über ihren Körper hat. Mit dem Ende vor Augen schwindet jedoch auch die Zeit, ungeklärte Familienzwiste zu lösen. Dementsprechend verzweifelt versuchen Esthers Töchter Heidi (Paprika Steen) und Sanne (Danica Curcic), die beide mit ihren Familien angereist sind, Konflikte zu thematisieren. Dadurch entstehen neue Konflikte, die mit den alten kollidieren und Esthers ursprüngliche Intentionen, im Kreis der Familie einfach nur »Abschied« nehmen zu wollen, immer wieder durchkreuzen.
August versteht es hervorragend, diese Verschachtelung der Konflikte nicht nur transparent zu gestalten, sondern auch ohne falsche Sentimentalitäten zu erzählen. Dass es ihm zudem auch noch gelingt, immer wieder humorvolle Sequenzen – wie die des gemeinsamen Joints – einzubetten, gibt Silent Heart die leichten Momente, die es tatsächlich braucht, um Augusts konsequente Konzentration auf den bevorstehenden Tod tragen zu können und tragen zu wollen. Denn erst die von August hartnäckige und empathische Bestandsaufnahme eines Lebens mit all seinen Verfehlungen und Erfüllungen erklärt, warum wir den Tod so gern verdrängen und wie wichtig es im Grunde wäre, sich auch im gesunden Zustand immer wieder zu fragen, ob es sich noch lohnt weiterzumachen oder ob ein frei gewählter Tod nicht die richtige Antwort auf die ernüchternde Tatsache ist, dass wir das Leben ganz und gar nicht frei gewählt haben.
Dass diese erstaunliche Kombination von Leichtigkeit und Schwere in Silent Heart so gut funktioniert, dürfte allerdings auch Jesper Morthorst als Produzenten und Christian Torpe als Drehbuchautor zu verdanken sein, denen bei dänischen Serienformaten wie Rita und Hjørdis ähnliche Gratwanderungen geglückt sind und Silent Heart zu dem machen, was Rita und Hjørdis für den Schulbetrieb sind – ein wichtiger Beitrag zu einem Thema, dass jeder nur allzu gut zu kennen glaubt, aber auch nur allzu gerne wieder ausblendet und vergisst.